# taz.de -- Kommentar SPD in der Groko: Weck den Dobrindt in dir!
       
       > Will die SPD überleben, muss sie von der CSU lernen. Sie muss ihre
       > soziale Agenda so großmäulig vertreten wie Dobrindt und Co. ihre
       > flüchtlingsfeindliche.
       
 (IMG) Bild: Wer bestimmt? Nahles, Kauder und Dobrindt bei der Koalitionsklausur auf der Zugspitze
       
       Es klingt absurd, ist aber wahr. Will die SPD überleben, muss sie von der
       CSU lernen. Die bayerische Regionalpartei führt seit Wochen vor, wie man
       aggressives Agenda-Setting betreibt. Seehofer sagt, der Islam gehöre nicht
       zu Deutschland. Söder hängt [1][Kreuze in Behörden] auf. Und Dobrindt
       dominierte zuletzt mit seinem Wettern gegen eine angebliche
       [2][„Anti-Abschiebungsindustrie“] in Deutschland den Diskurs.
       
       Was solche populistischen Vorstöße bewirken, wurde zu Recht oft und scharf
       kritisiert: Die CSU schürt billige Ressentiments gegen Geflüchtete, sie
       feuert Ängste an, weil sie glaubt, mit einer Wir-gegen-die-Stimmung ihre
       absolute Mehrheit verteidigen zu können. Dobrindts Geschwafel diskreditiert
       Kirchen, Ehrenamtliche und Flüchtlingsinitiativen, die Geflüchtete bei
       Klagen begleiten – und spricht jenen indirekt die Nutzung legitimer
       Rechtsmittel ab.
       
       Aber lässt man die Inhalte mal beiseite und bewertet die CSU-Strategie nach
       Kriterien des Marketings, bleibt eine nüchterne Erkenntnis: Die CSU agiert
       hochprofessionell, ja: genial. Sie zwingt uns, sich mit ihr zu
       beschäftigen.
       
       Das ist eine enorme Leistung. In der Aufmerksamkeitsökonomie konkurriert
       auch und gerade die Politik um das knappe Gut Aufmerksamkeit. Mit immer
       neuen Zuspitzungen bestimmt die CSU die Schlagzeilen über diese Koalition.
       Sie besetzt offensiv den Diskursraum, von dem sie vermutet, dass er
       WählerInnen besonders wichtig ist.
       
       ## Eine sich selbst verstärkende Spirale
       
       Hinter dieser Strategie steckt harte, kühl kalkulierende Arbeit. Ein
       knapper, aber Assoziationen frei setzender Begriff wie
       „Anti-Abschiebungsindustrie“ muss einem erst einmal einfallen. Dobrindt
       platzierte ihn in der Bild am Sonntag kurz vor dem Start einer
       Klausurtagung der Koalitionsfraktionen.
       
       Timing und Inszenierung sind perfekt. Die Reflexe der politischen
       Konkurrenz fielen entsprechend aus, all die wütenden Entgegnungen
       bescherten der CSU noch mehr Aufmerksamkeit. Es ist eine sich selbst
       verstärkende Spirale.
       
       Ob ein Vorstoß sinnvoll ist oder nicht, ist in diesem Konzept zu
       vernachlässigen. Vielmehr haben die CSU-Debatten oft gemeinsam, dass ihnen
       der konkrete politische Kern fehlt. Was folgt daraus, wenn der Islam nicht
       zu Deutschland gehört? Will Seehofer Moscheen verbieten, Muslime aus dem
       öffentlichen Dienst verbannen oder Artikel 4 des Grundgesetzes umschreiben
       (das ist der mit der Religionsfreiheit)?
       
       I wo. Seehofer geht es nicht um reale Änderungen, ihm geht es um Gefühle.
       Die CSU streichelt die deutsche Volksseele, oder zumindest das, was sie
       sich darunter vorstellt.
       
       ## Die SPD als fleißige Sachbearbeiterin
       
       Und die SPD? Die Sozialdemokraten regieren bisher geräuschlos mit, wie
       eigentlich immer. „Wir sind der Motor der Koalition“, sagt Andrea Nahles
       stolz. Doch der, um im Bild zu bleiben, schnurrt sanft und leise wie ein
       Kätzchen. Beim Streit um die Liberalisierung von Paragraph 219a, dem
       Werbeverbot für Abtreibungen, steckten die Sozialdemokraten zurück, weil
       sich die Unionsfraktion aufbäumte. Und Finanzminister Olaf Scholz
       präsentierte eine brave Finanzplanung, die keinen Millimeter vom Kurs
       Wolfgang Schäubles abweicht.
       
       Die Rolle der fleißigen Sachbearbeiterin ist der SPD bestens vertraut.
       Schließlich hat sie schon zweimal brav an der Seite Merkels regiert. Das
       Ergebnis waren 20,5 Prozent, ein historischer Tiefstand. Wann lernt die SPD
       endlich daraus? Wenn sie überleben will, muss sie tun, was ihre
       Spitzenleute seit Monaten mantrahaft verkünden. Sie muss neben der Union
       ein kantiges Profil entwickeln – und als linke Volkspartei erkennbar
       werden.
       
       Dazu gehört, auch mal kräftig auf den Gong zu hauen. Gesehen und gehört
       wird in der Mediengesellschaft, wer zuspitzt – und ins Risiko geht. Während
       die CSU auf einen ressentimentgeladenen Populismus setzt – und damit wenig
       Erfolg gegen die AfD hat –, müsste die SPD solidarische, inklusive
       Botschaften knackig platzieren. Warum hat die SPD den Streit beim Paragraph
       219a nicht eskaliert? Nahles hätte sagen können: Wir stehen an der Seite
       der Frauen. Punkt. Dann hätte Merkel den Streit in der Unionsfraktion
       gehabt.
       
       Oder Scholz und das Finanzministerium, auf das die SPD so stolz ist. Was
       hindert den SPD-Mann daran, vor der Haushaltspräsentation markig darauf
       hinzuweisen, dass Deutschland mit einer fairen Erbschaftsteuer seine
       Bildungsinvestitionen vervielfachen könnte? Dass die SPD im übrigen die
       große Ungleichheit für hochproblematisch hält? Man weiß es nicht.
       
       Warum pusht SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil nicht engagierter den
       Mindestlohn von 12 Euro, den Scholz und er im November forderten – im toten
       Raum zwischen Bundestagswahl und Sondierungen, als es um nichts ging? Soll
       doch die Union dagegen halten, dass der Mindestlohn zum Wohle der
       Unternehmen leider so niedrig bleiben muss, dass Arbeitnehmer später in der
       Altersarmut landen.
       
       Wenn sich die SPD weiter an Spiegelstriche des Koalitionsvertrages
       klammert, macht sie den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der Union zu ihrer
       Richtschnur. Das wäre selbstzerstörerisch.
       
       Politik funktioniert ja oft so: Was gesagt wird, hat große Chancen,
       irgendwann Wirklichkeit zu werden. Würde die SPD eine soziale Agenda so
       großmäulig vertreten wie die CSU ihre flüchtlingsfeindliche, wäre viel
       gewonnen. Für die Partei – und das ganze Land.
       
       8 May 2018
       
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