# taz.de -- Debatte Sondierungen und Asylpolitik: Bayrischer Triumph
       
       > In der Flüchtlingspolitik hätte sich die SPD die Sondierung sparen
       > können. Das Papier liest sich wie ein Copy & Paste aus dem CSU-Programm.
       
 (IMG) Bild: Die Bedingungen in Transitzentren sind erheblich schlechter als für alle anderen Asylbewerber
       
       Monatelang hatte sich die SPD geziert, noch mal mit der Union zu regieren.
       Falls das bewirken sollte, in der nächsten Koalition mehr durchsetzen zu
       können, hätte sie sich die Hängepartie sparen können – jedenfalls was Asyl
       und Migration angeht. Die Union konnte ihre Vorstellungen gleichsam per
       Copy & Paste in das Sondierungspapier einsetzen. Was ihnen vorschwebt,
       hatten die beiden Unionsparteien schon im Oktober in einem „Regelwerk zur
       Migration“ genannten Papier formuliert. Fast alles, was darin steht, findet
       sich im Sondierungsergebnis – oft wortgleich.
       
       Da wäre der Familiennachzug: Kaum ein Thema hatte die Politik seit den
       Wahlen ähnlich umgetrieben. Die SPD hatte immer wieder signalisiert, das
       Nachzugsverbot kippen zu wollen, die Union wollte genau das verhindern. Die
       Härte der selbsternannten Familienpartei in dieser Frage stand in
       eigentümlichem Gegensatz zur Größenordnung, um die es geht. Etwa 60.000
       potenziell Nachzugsberechtigte gibt es. Angesichts dessen, was zuzugsmäßig
       allgemein für verkraftbar gehalten wird, sind das nicht sonderlich viele.
       
       Gleichwohl ist zuletzt der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka auf die
       Union zugegangen. Er schlug erst jüngst vor, die Zahl der Visa für syrische
       Familienangehörige auf 40.000 im Jahr zu begrenzen. Lischka begründete das
       pragmatisch: Mehr Anträge könnten die Konsulate sowieso nicht bearbeiten.
       Damit hatte er zwar recht, andererseits fällt diese Begrenzung nicht vom
       Himmel.
       
       Jetzt jedenfalls sollen nur 1.000 Angehörige pro Monate kommen dürfen. Und
       bis August 2018 gibt es auch für Neuankömmlinge keinen Familiennachzug.
       Rechnerisch heißt das: Allein von den jetzt schon wartenden Familien
       könnten die letzten Angehörigen erst 2023 einreisen. „Umgefallen“ sei die
       SPD, sagte dazu die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke. Tatsächlich wollen
       Union und SPD also sehr wohl eine Obergrenze – nämlich für das
       Menschenrecht auf Einheit der Familie.
       
       ## Die Unterbringung von Flüchtlingen
       
       Der zweite Kernpunkt ist die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern. Die
       Union hatte sich vorgenommen, künftig alle neu Ankommenden in
       „Entscheidungs- und Rückführungszentren“ nach dem Vorbild etwa von Manching
       und Bamberg in Bayern zu stecken. Die dort „Transitzentren“ genannten Lager
       sind eine Erfindung der CSU. Sie wurden errichtet, um Menschen aus
       sogenannten sicheren Herkunftsländern oder mit „schlechter
       Bleibeperspektive“ zu kasernieren.
       
       Die Bedingungen in den Transitzentren sind erheblich schlechter als für
       alle anderen Asylbewerber: Arbeiten ist komplett verboten, statt Geld gibt
       es Sachleistungen, die Residenzpflicht gilt verschärft, Kinder werden
       halbherzig in Lagerschulen unterrichtet – eine Klasse für Grundschüler
       jeden Alters, eine Klasse für den ganzen Rest. Die Öffentlichkeit hat
       keinen Zutritt – Unterstützung von außen, Transparenz und soziale
       Beziehungen sind unerwünscht.
       
       Das also ist das bayrische Vorbild. Bundesweit sollen die Lager in Zukunft
       AnkER heißen: wohl eine Abkürzung für Ankunft, Entscheidung, Rückführung.
       Näheres steht nicht im Sondierungspapier. Aber es ist offenbar geplant, die
       bisherigen Erstaufnahmeeinrichtungen aller Bundesländer nach bayrischem
       Strickmuster in diese AnkEr-Zentren umzuwandeln. Dort heraus, in die
       Kommunen, dürfen dann nur noch zwei Gruppen: anerkannte Flüchtlinge und
       solche, deren Antrag wahrscheinlich Erfolg hat, allerdings erst, nachdem
       sie lange Zeit in diesen Lagern verbracht haben. Das kürzlich geänderte
       Asylgesetz erlaubt den Bundesländern, die Aufenthaltsdauer dort auf bis zu
       24 Monate heraufzusetzen.
       
       Keine Arbeit und keine sozialen Bindungen außerhalb der Lager: Es ist ein
       Programm der totalen Anti-Integration. Solche Lager unterlaufen ganz
       gezielt alle Bemühungen um zivilgesellschaftliche Willkommenskultur. Sie
       stigmatisieren die Insassen und erschweren das Ankommen nachhaltig. Die
       Separation in den kasernenartigen Großlagern ist der beste Weg, Menschen
       daran zu hindern, hier sesshaft zu werden. Die Union argumentiert, genau
       das sollen diese Menschen auch nicht: Sie würden schließlich ohnehin
       abgeschoben. Doch damit liegt sie falsch.
       
       ## Die Langzeit-Geduldeten
       
       Zum einen kommen aus Gründen der allgemeinen Abschreckung auch jene
       Flüchtlinge mit besseren Bleibeperspektiven zunächst in die Lager. Die
       durchaus erfolgreichen Bemühungen der letzten Jahre um frühzeitige
       Integrationshilfe werden so teils zunichtegemacht.
       
       Zum anderen zeigt die Vergangenheit, dass jene, deren Bleibeperspektiven
       der Staat als „gering“ ansetzt, um ihnen Rechte vorzuenthalten, am Ende
       keineswegs alle wirklich abgeschoben werden können oder freiwillig
       ausreisen. Stattdessen entsteht ein wachsendes Milieu Langzeit-Geduldeter
       in einem rechtlichen und sozialen Niemandsland. Die jüngste Statistik zu
       den massenhaften Klagen gegen Asylbescheide hat gezeigt, dass fast 44
       Prozent aller Klagen zugunsten der Asylbewerber ausgehen. Mit dem Diktum
       „schlechte Bleibeperspektive“ ist der Staat, ganz offensichtlich, oft zu
       schnell bei der Hand.
       
       Auch bei den „sicheren Herkunftsländern“ kann die Union zufrieden sein.
       „Algerien, Marokko und Tunesien sowie weitere Staaten mit einer
       regelmäßigen Anerkennungsquote unter 5 Prozent“ sollen als „sicher“
       eingestuft werden, heißt es im Sondierungspapier. Die sogenannte bereinigte
       Schutzquote für Marokko und Algerien lag zuletzt allerdings bei über 10
       Prozent. So oder so: Die Liste wird wachsen.
       
       Das, was nun kommen soll, ist in allen Kernpunkten Unionspolitik – mit
       starker bayrischer Färbung. Das Paradigma ist klar benannt: „Die
       Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft [darf] nicht überfordert
       werden“, heißt es im Sondierungsergebnis. Es ist ein Rückfall in die
       jahrzehntelange deutsche Tradition der Missachtung der Migrationsrealität.
       Zuwanderung soll nicht ermöglicht, sondern vor allem „begrenzt“ werden,
       „damit sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholt“.
       
       16 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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