# taz.de -- Filmische Dokumentation einer Flucht: Bomben im Matheunterricht
       
       > Der 19-jährige Ahmad Alzoubi ist mit seiner Familie geflohen. Aus seinen
       > Handyaufnahmen hat er den Film „Flucht aus Syrien“ gemacht.
       
 (IMG) Bild: Rauchwolken und zerstörte Häuser, Tote: Alltag in Syrien
       
       Bremen taz | Da gibt es diese Aufnahmen von einem zerstörten Haus. Durch
       ein Loch im Dach taucht plötzlich das Gesicht eines Jungen auf, der
       fröhlich in die Kamera winkt. Es ist der Bruder von Ahmad Alzoubi, der die
       Szene mit dem Handy filmt. Das unbewohnbare Gebäude ist ihr Elternhaus in
       Daraa im Südosten Syriens, nahe der Grenze zu Jordanien.
       
       Wie fast jeder Teenager ist Ahmad Alzoubi ständig mit seinem Handy
       beschäftigt und filmt damit alles, was ihm interessant erscheint. Doch was
       bei den meisten seiner Altersgenossen eine banale Bilderflut ist, hat bei
       ihm einen hohen dokumentarischen Wert. Denn Ahmad Alzoubi hat zuerst die
       Zustände in seiner Heimatstadt gefilmt.
       
       Wie es dort immer unerträglicher wurde, wie bei Luftangriffen sein
       Elternhaus zerstört wurde und die Panzer von Assad durch die Straßen
       patrouillierten. Als er und sein Bruder zur Armee eingezogen werden
       sollten, flüchtete Alzoubi zusammen mit seiner Familie. Und führt quasi ein
       Videotagebuch seiner gesamten Reise.
       
       Auf die Idee, daraus einen Film zu machen, kam er dann erst in Deutschland.
       Er war nach Bremen gekommen, wo er sich Rat bei der Medienwerkstatt
       Schlachthof suchte. Dort konnte er an einem Schnittplatz arbeiten und über
       mehrere Monate zusammen mit dem Medienpädagogen Jens Werner das Projekt so
       entwickeln, dass schließlich dabei [1][die etwas über 40 Minuten lange
       Dokumentation „Flucht aus Syrien“] entstand. Diese wurde Ende vergangenen
       Jahres zum ersten Mal aufgeführt. Die Hamburger Premiere fand kürzlich im
       Zeise-Kino statt.
       
       Schon der einfache Titel „Flucht aus Syrien“ lässt erahnen, dass es hier
       nicht um Filmkunst geht. Aber Alzoubi hat mehr getan, als nur
       Handyaufnahmen aneinanderzumontieren. Er beherrscht das Handwerk inzwischen
       so gut, dass der Film eine überzeugende, dem Thema angemessene Form hat.
       Abgesehen von der monotonen Filmmusik, die nichts kosten durfte und sich
       auch so anhört, ist der Film solide gebaut. Er bietet eine Authentizität,
       die kein professioneller Filmemacher erreichen kann.
       
       Einen Angriff durch einen russischen Bomber, bei dem es nur ein paar
       Straßen entfernt einen Einschlag gibt, filmt Alzoubi durch ein Fenster
       seiner Schule während des Unterrichts. Eine andere Aufnahme hat Alzoubi
       gepixelt, weil einer seiner Helfer in der Medienwerkstatt ihm dringend dazu
       geraten hat.
       
       Er selbst wäre aber gar nicht auf die Idee gekommen, dass abgerissene,
       blutige Körperteile nach einem Luftangriff kaum erträglich für ein hiesiges
       Publikum wären – für ihn war dies alltäglicher Anblick. Oft dreht Alzoubi
       auch die Kamera kurz herum und macht ein Selfie – egal wie dramatisch die
       Situation ist. Für den Zuschauer vielleicht eine unangemessen wirkende
       Reaktion, aber gerade darum auch so real, denn es ist ein sehr privater
       Moment, in dem keine Rolle gespielt werden muss.
       
       Der titelgebende Hauptteil des Films besteht aus der Flucht nach
       Deutschland. Diese beginnt mit einer dreitägigen Fahrt durch die syrische
       Wüste, bei der es kaum etwas zu trinken und nichts zu essen gab. Zu sehen
       sind verwackelte Bilder von der Fahrt auf der Ladefläche eines Lasters, bei
       der Alzoubi zusammen mit anderen staubbedeckten Flüchtlingen
       durchgeschüttelt wird.
       
       Nach dieser Strapaze wurde die Gruppe von IS-Kämpfern gefangengenommen und
       erst nach zwei Wochen wieder freigelassen. Hiervon gibt es nur ein paar
       Fotos von vermummten, schwarzen Gestalten mit Waffen und arabischen
       Spruchbändern. Deutlicher muss und will Alzoubi hier nicht werden.
       
       Gefährlich wurde es dann noch einmal bei der Überfahrt vom türkischen
       Festland auf die griechische Insel Samos. In einem Schlauchboot für 15
       Personen drängten sich 40 Menschen, zwei Stunden lang fiel der Motor aus
       und die Flüchtlinge mussten selbst per GPS den richtigen Kurs suchen.
       
       Und bei alldem machte Alzoubi mit dem Blitzlicht seines Smartphones
       Aufnahmen von verschreckten Menschen – mitten im schwarzen Wasser. Er
       selbst sagt, er habe diese Bilder unbedingt machen wollen, um einen Beweis
       zu haben.
       
       Von Griechenland aus fuhr Alzoubi mit seiner Familie fast wie Touristen mit
       einer Fähre nach Mazedonien und lief drei Stunden über die serbische
       Grenze. Durch Ungarn und Österreich nach Deutschland fuhren sie mit Bus und
       Bahn. Vom Ende der Reise hat Alzoubi kaum Aufnahmen, weil er seinen Akku
       nicht mehr aufladen konnte.
       
       Alzoubi will in Deutschland studieren, um Elektroingenieur zu werden. Er
       fühlt sich nicht zur Filmkunst berufen. Seinen Film zeigt er immer mal
       wieder in Schulen, bei Flüchtlingsinitiativen oder auch in Kinos. Er hätte
       ein größeres Publikum verdient, denn er macht in unverfälschten
       Nahaufnahmen deutlich, was Flucht heute bedeutet.
       
       Die Dokumentation „Flucht aus Syrien“ von Ahmad Alzoubi wird am Freitag,
       28. 7., um 18 Uhr im Bremer Europahafen im Rahmen des sozio-kulturellen
       Schiffsprojekts „Mit Sicherheit gut ankommen“ gezeigt, Am Speicher 11, X1,
       Bremen
       
       27 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.ahmad-alzoubi.de/2017/05/dokumentarfilm-flucht-aus-syrien.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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