# taz.de -- Arabisches Filmfestival Berlin: Jenseits von Grenzen
       
       > Alfilm präsentiert ab Freitag die ganze Bandbreite arabischer Filmkultur
       > – mit 17 Beiträgen fern der üblichen Stereotypen
       
 (IMG) Bild: „Speed Sisters“ porträtiert das erste reine Frauen-Racing-Team der arabischen Welt
       
       Immerhin kann Noor hinter dem Steuer ihres Autos noch lachen, als ihr Auto
       kurz vor einem Rennen nicht anspringt: ein bisschen anschieben, und ab
       geht’s. Mit Karacho lässt Noor ihren BMW um die Hindernisse des
       Rennparcours tanzen. „Speed Sisters“ der libanesisch-kanadischen
       Regisseurin Amber Fares porträtiert mitten im Westjordanland das erste
       reine Frauen-Racing-Team der arabischen Welt.
       
       Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Marah, Betty und Mona folgt der Film den
       vier jungen Frauen und ihrer Teamchefin Maysoon von Rennen zu Rennen.
       Nachdem die Credits am Anfang des Films die Normierungsmaschinen Sundance
       Institute und Doha Film Institute genannt haben, packt einen beim ersten
       Musikeinsatz kurz die Angst, einen totproduzierten Film zu sehen, aber
       Amber Fares kriegt schnell die Kurve und die Porträts der vier Frauen haben
       so viel Drive, dass jeder Zweifel schnell im Rückspiegel verschwindet.
       
       „Speed Sisters“ ist einer von 17 Filmen, die in der offiziellen Auswahl der
       diesjährigen Edition von Alfilm, dem Arabischen Filmfestival Berlin,
       laufen. Wie sich das Festival von Jahr zu Jahr hangelt, gleicht noch immer
       einem kleinen Wunder. Die mittlerweile achte Ausgabe des Festivals
       vollbringt es erneut, in den gerade einmal 17 Filmen eine große Bandbreite
       arabischer Filmkultur zu entfalten.
       
       Leider bleibt zu konstatieren, dass auch nach acht Ausgaben Alfilm noch
       immer nicht mehr arabische Filme ihren Weg aus dem Festivalbetrieb zu
       deutschen Verleihern finden. An den Filmen – das zeigt Alfilm auch in
       diesem Jahr – kann es nicht liegen.
       
       Der libanesische Dokumentarfilmer Ali Hammoud folgt in „Asphalt“
       Lastwagenfahrern auf ihren Fahrten durch Syrien, Jordanien, Ägypten bis an
       die Grenze des Sudans. Der palästinensische Regisseur Raed Andoni
       dokumentiert die Reinszenierung eines israelischen Verhörzentrums, Mohamed
       Rashad zeigt in der Annäherung an seinen eigenen Vater das Scheitern der
       ägyptischen Linken.
       
       Andreas Dalsgaard und Obaidah Zytoon kompilieren in „The War Show“
       Aufnahmen der Proteste gegen Assad in Syrien und aus dem folgenden
       Bürgerkrieg, die einem bisweilen den Atem stocken lassen: zwei Gruppen von
       Demonstranten in einer syrischen Kleinstadt. Die eine, IS-Fahnen in der
       Hand, fordert ein islamisches Kalifat, die anderen auf Häusern am
       Straßenrand fordern einen bürgerlichen Staat.
       
       Kurz darauf: die Filmemacherin im Gespräch mit einer Freundin über einen
       ermordeten Freund. Seit Beginn der Proteste und später des Bürgerkriegs in
       Syrien spricht aus den Filmen, die sich diesem Konflikt nähern,
       Fassungslosigkeit. Die Besonderheit von „The War Show“ besteht darin, diese
       Fassungslosigkeit allen Widrigkeiten zum Trotz mit großer Lebensfreude zu
       verbinden.
       
       Diese Mischung macht den Film aus der geografischen Distanz umso
       erschütternder. Dalsgaard und Zytoon unterlaufen die emotionale Abschottung
       gegen die Bilder der Zerstörung. Nicht ganz unähnlich verfährt Mohamed Diab
       in „Clash“: Diabs Film folgt einem Gefangenentransporter der Polizei durch
       das Gewirr der Proteste im Sommer 2013 in Kairo.
       
       Im Innern des Gefangenentransporters prallen die politischen Ansichten von
       Muslimbrüdern und Säkularen, von jugendlichen Eitelkeiten und
       Desillusionierungen aufeinander. Diabs Film ist nicht ohne Mängel, scheint
       bisweilen zu arg auf eine Fernsehauswertung bei Arte zu schielen, bevor der
       Film überhaupt fertig war, dennoch: die Grundkonstellation, durch das
       Eingesperrtsein die Starrheiten zu erschüttern, funktioniert beeindruckend
       gut.
       
       Die Retrospektive des Festivals widmet sich dem schmalen Werk einer Legende
       des ägyptischen Kinos: Shadi Abdel Salam. Dieser schloss 1955 sein Studium
       der Schönen Künste ab und arbeitete danach als Kostümbildner und
       Setdesigner. Sein Langfilmdebüt „Al-mummia“ (The Night of Counting the
       Years) handelt von einem Grabräuberstamm Ende des 19. Jahrhunderts, als
       Ägypten Teil des Osmanischen Reichs war.
       
       Nach dem Tod des Stammesältesten sollen seine Söhne an dessen Stelle
       treten, doch beide weigern sich, weiter vom Plündern der Mumien zu leben.
       Die kargen Wüstenbilder erzählen in eigentümlich spröder Weise die
       Geschichte einer Abkehr. Das bisherige Leben erscheint den beiden Söhnen
       des Verstorbenen wie Frevel an der eigenen Geschichte. Die Retrospektive
       zeigt neben „Al-mummia“ ein Programm mit seinen nahezu nie gezeigten
       Kurzfilmen.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       29 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Tietke
       
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