# taz.de -- Neues Album der Band Dirty Projectors: Die Loopings des Lovelife
       
       > Das neue Album der New Yorker Band „Dirty Projectors“ ist nicht weniger
       > als ein Meisterwerk. Es lädt zum Mitsingen und Mittanzen ein.
       
 (IMG) Bild: Dave Longstreth von den „Dirty Projectors“
       
       Liebe sei wie „eine Kunst des Lebens über dem Abgrund“, lautet ein
       Aphorismus, der an einer Stelle in Roland Barthes’ Glossar „Fragmente einer
       Sprache der Liebe“ auftaucht. Dessen englischer Titel lautet „A Lover’s
       Discourse“. Und das selbstbetitelte neue Album [1][der Dirty Projectors],
       deren Mastermind und einziges ständiges Mitglied Dave Longstreth ist,
       riskiert auch einen grandiosen „Lover’s Discourse“.
       
       „Dirty Projectors“ umfasst neun Songs, die das Thema Liebe tänzelnd
       bewältigen, wie ein flacher Stein, der, wirft man ihn möglichst waagrecht,
       über die Wasseroberfläche weiterspringt, bis er schließlich in den Fluten
       versinkt. Die Kunst des Lebens über dem Abgrund: In den Songs von Dave
       Longstreth fühlt sich Liebe oft beseelt an, aber auch bedroht,
       anbetungswürdig, durchgeknallt, traurig, komisch, ernüchternd, wild
       entschlossen und unsterblich; mithin, so wenig rational wie die Liebe
       selbst.
       
       Disparat hat sich der 35-Jährige als Liebender gefühlt, ähnlich hat er
       seine Stimme auch in den Songs inszeniert. Mal SloMo-artig zerdehnt, mal
       mit Autotune-Effekt verfremdet, mal trocken im Klang mikrofoniert, mal
       verweht in Hall.
       
       Es war eine wichtige Erkenntnis für ihn, als er entdeckte, dass sich sein
       Gesang leise sehr wohl durchzusetzen vermag. „Mich interessiert die
       menschliche Stimme in all ihren Ausdrucksformen. Sie ist schließlich das
       Organ, das jeder von uns hat. Trotzdem bleibt sie unergründlich. An den
       Gesangsarrangements auf dem Album habe ich intensiv gearbeitet. Ich habe
       untersucht, was mit meiner Stimme geschieht, wenn sie im digitalen Raum
       landet. Auch, wie Gemütszustände das Singen beeinflussen.“
       
       ## Zeugnis einer lebenslangen Passion
       
       Im Interview erklärt Longstreth, man solle ihn sich beim
       Entstehungsprozess des Albums als „Amphibienfahrzeug“ vorstellen. „Zum Teil
       sind die Emotionen, die ich damit zum Ausdruck bringe, widersprüchlich.“
       Schleichend passte er sich an neue Umstände an. Während er die
       verschiedenen Phasen einer Liebe in Songform durchmessen hat, ging es ihm
       nicht bloß um die Verarbeitung von Herzschmerz.
       
       „Dirty Projectors“ ist mehr als ein klassisches Break-up-Album. Lediglich
       einer der neun Songs – „Little Bubble“ – ist balladesk arrangiert. „Zentral
       ist die Überlegung, was mit mir als Künstler passiert, wenn ich tun kann,
       was ich nun mal liebe: Songs komponieren.“ Die Liebe zur Musik: Longstreth’
       neues Album ist auch Zeugnis einer lebenslangen Passion. In den Songs kommt
       ein Künstler-Ego zum Vorschein, das mehr sieht als nur sich selbst.
       
       Der Song „Work Together“ ist ein Plädoyer für Kollaboration. Gemischt
       wurden die Songs in Miami von Longstreth und Jimmy Douglass, Produzent von
       Aretha Franklin und Donny Hathaway. Longstreth wird demütig, wenn er von
       Douglass spricht.
       
       „Die Geschichte von US-Pop beruht auf der Geschichte der afroamerikanischen
       Musik. Schwarze Kultur war immer Dynamo für alles Neue; jede Erfindung im
       Pop hat ihr alles zu verdanken. Eine Entwicklung, die weit vor der modernen
       Zeitrechnung begonnen hat. Black Music ist enorm wichtig für mich als
       Musiker. Alles, was ich gelernt habe, habe ich von schwarzer Musik
       gelernt.“
       
       ## Lotte und das Schwarzbrot
       
       [2][Im Auftaktsong „Keep your Name“ wird Liebe von den Zwängen
       losgekettet], dann verfängt sie sich in dem Song „Death Spiral“ in eine
       Schlaufe, flieht Hals über Kopf im Taxi. Später entbrennt sie in einer Art
       Wettstreit von Neuem, erzeugt Eifersucht, Rivalität, bis sie allmählich
       ausfadet wie eine zurückgefahrene Tonspur. Nach einem Glitzern am Himmel in
       dem famosen Zehnminüter „Ascent Through the Stars“, bei dem sich die Liebe
       in einem irrlichternden Call-and-Response-Schema verausgabt, wird es beim
       reggaeartigen „Cool your Heart“ versöhnlich.
       
       Und doch steht am Ende „Love’s gonna rot“ – sie vermodert, bleibt als
       Erinnerung an ein Kunstwerk. „I believe that the Love we made is the Art“,
       heißt es im anspielungsreichen Finale „I see you“, Longstreth setzt darin
       eine Orgel als Signalinstrument ein, die an den Procol-Harum-Smash-Hit „A
       Whiter Shade of Pale“ erinnert, einen Song, den er vergöttert.
       
       „Meine Songs sind kaleidoskopartig angelegt, sie wirbeln immer wieder
       Geschichte auf, zugleich sind sie fiktional. Die Ichs und Dus entsprechen
       nie realen Figuren, manchmal trägt ein Song Ich-Züge von mir aus der
       Vergangenheit und spricht mit einem Du, das meinem Ich von heute nahekommt.
       Manchmal verwende ich Floskeln, die ich aufgeschnappt habe.“
       
       Der Song „Up in Hudson“ hält etwa den Moment fest, in dem sich jemand
       verknallt: „First time I ever saw your face / Was at the Bowery ballroom
       stage“. Ein bisschen wie Goethes Werther, der Lotte beim
       Schwarzbrotschneiden erblickt, aber mit mehr Groove und digitalem
       Herzschlag. Auf der Ebene der Arrangements macht es noch einmal bum: „Dirty
       Projectors“ ist eine musikalische Offenbarung, Blue-Eyed Soul fürs 21.
       Jahrhundert, wie er zwingender nicht klingen kann.
       
       ## „Ich war unfähig, alleine Musik zu machen“
       
       Die Einladung mitzusingen, zu jubilieren, die Arme in die Luft zu werfen,
       durchzuckt den Hörer in jeder Sekunde, selbst wenn es in düstere Gestade
       und negative Erfahrungsräume geht, man will dazu tanzen. „Es ist ein
       narratives Album und es soll auch am Dancefloor funktionieren. Das hat auch
       damit zu tun, wie ich meine Beats geschnitten habe, und zwar mit der
       Software ProTools.“
       
       Bis diese „Labor of Love“ namens „Dirty Projectors“ fertiggestellt war,
       mussten vier Jahre vergehen: Vier Jahre, in denen Longstreth durch die
       Hölle gegangen ist. Als er 2013 am Ende der Tour zum vorangegangenen
       Dirty-Projectors-Album, „Swing Lo, Magellan“, auf der Bühne der New Yorker
       Carnegie Hall bei einem umjubelten Konzert stand, fühlte er sich
       ausgebrannt.
       
       Er trennte sich von seiner Band, Musikerkollegen, denen er nahestand und
       bis heute freundschaftlich verbunden bleibt, und ging nach einem Intermezzo
       in Upstate New York nach L. A. „Ich war ausgelaugt, konnte nicht mehr
       texten, hatte vergessen, wie man simple Melodien baut. Ich war unfähig,
       alleine Musik zu machen.“
       
       Auf die Beine geholfen haben Longstreth Auftragsarbeiten für
       Künstlerkollegen. Durch Arrangements, zuletzt etwa für das Album von
       Solange Knowles, hat er allmählich wieder Zuversicht bekommen, überwand
       auch seine eigene Blockade.
       
       ## Eine frohe Botschaft – die einzige mögliche zur Zeit
       
       Solange Knowles hat sich für „Dirty Projectors“ wiederum als Co-Komponistin
       von „Cool your Heart“ für Longstreth’ Mitarbeit an ihrem gefeiertem Werk
       revanchiert. „Das Angebot von Solange kam zur richtigen Zeit. Ich bin
       dankbar, dass ich Bass und Drums für sie arrangieren konnte. Ihr positives
       Feedback hat mir Selbstvertrauen gegeben, als ich das wirklich benötigte.“
       
       Longstreth treibt wie die meisten US-Künstler derzeit aber auch anderes um,
       ein Befremden ob der eingeläuteten Ära Trump: „Ich habe ja lange Zeit an
       meinem Album gearbeitet, und es liefert natürlich keine Antworten auf die
       amerikanischen Zustände der Gegenwart. Eine Sache liegt mir damit aber
       schon am Herzen: Auch wenn meine Musik ihre düsteren Momente hat, sie
       bestärkt. Auf einer größeren Ebene sagt sie Ja, wo zurzeit eher ein Nein an
       der Tagesordnung ist. Dirty Projectors sagen Ja und drücken damit Hoffnung
       aus. Eine frohe Botschaft, die einzig mögliche Botschaft für mich zu dieser
       Zeit.“
       
       Erfüllung, Verschwendung, Einsamkeit: In die Arbeit an „Dirty Projectors“
       ist Herzblut eingeflossen. Das brauchte es wohl, um den ganzen
       Knister-Knaster eines Lovelife in seiner 48-minütigen zigfachen
       Looping-Achterbahnfahrt anschaulich klingen zu lassen.
       
       Aber die Mühen haben sich gelohnt, wir werden lange über dieses
       fantastische Album reden, dessen Songs mit leichter Hand komponiert wirken.
       Auch am Ende dieses Popjahres sagt die Musik von Dave Longstreth: Schneidet
       euch wie einst die Haarlocken ab und eignet sie euch in Freundschaft zu.
       
       24 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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