# taz.de -- Linkspartei und AfD: Angriff und Verteidigung
       
       > Am Wochenende tritt in Magdeburg der Bundesparteitag der Linken zusammen.
       > Wie hält es die Partei mit der AfD und deren Wählern?
       
 (IMG) Bild: Ob der Radfahrer mitzieht? Thorsten Kleis (re.), Linken-Chef von Königs Wusterhausen, ist jedenfalls bereit für den politischen Kampf gegen die AFD
       
       Berlin/Königs Wusterhausen/Grimma taz | Thorsten Kleis sucht nicht mehr
       nach der Antwort, er hat sie gefunden. Das besagt schon der Name der
       Linken-Ortsgruppe, der er im brandenburgischen Königs Wusterhausen
       vorsteht: Basisorganisation 42, kurz BO 42. Kleis hält es mit dem
       Supercomputer aus dem Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“, der die 42 als
       Antwort auf die ultimative Frage errechnet hat. Diese allerdings fällt bei
       Kleis – und in der Linkspartei überhaupt – derzeit etwas kleiner aus als im
       Roman. Gefragt wird nicht „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen
       Rest“, sondern: Was tun gegen die AfD?
       
       Kleis sitzt im Ortsbüro, das in einem Zweigeschosser untergekommen ist. Die
       Bundesgeschäftsstelle der Partei im schicken Berlin-Mitte ist keine 40
       Kilometer entfernt, gefühlt aber sehr viel weiter. Kleis selbst stammt aus
       Baden-Württemberg. Im Februar 1990 kündigte er seinen Job und ging in die
       DDR. Erst 2005 trat er in die damalige PDS ein. Ein Linker war er jedoch
       schon immer, betont Kleis. Heute leitet er eine IT-Firma, die ihm viel Zeit
       lässt für die politische Arbeit.
       
       Auf Kleis’ Schreibtisch stapeln sich Papiere, dazwischen Armbinden für
       Demo-Ordner. Der wuchtige 50-Jährige hat die Arme vor dem Bauch
       verschränkt, über dem sich ein schwarzes T-Shirt mit rotem Stern spannt.
       Kleis sagt: „Wir müssen die AfD mit ihrem eigenen Programm schlagen. Die
       potenziellen AfD-Wähler wollen einen Großteil der AfD-Programmatik nicht“,
       glaubt Kleis.
       
       Statt den Kopf einzuziehen und zu hoffen, der Spuk werde vergehen, will
       Kleis mit der 25-köpfigen Ortsgruppe aus überwiegend jungen
       Parteimitgliedern die Sympathisanten und Anhänger der AfD inhaltlich
       stellen. Sie zu schmähen, habe nicht funktioniert. Außerdem will Kleis die
       Linke zu neuen Gipfeln führen: „Bei der Bundestagswahl wollen wir hier das
       stärkste Ergebnis erzielen, das die Linke je erreicht hat.“
       
       ## Genossen unter sich
       
       Auf dem Marktplatz im sächsischen Grimma ist Kerstin Köditz weniger
       angriffslustig. Die sächsische Landtagsabgeordnete und Sprecherin für
       antifaschistische Politik ihrer Fraktion steht vor einem Stand und blinzelt
       in die Sonne. Zwischen den Wurst- und Kleidungsständen sind kaum Menschen
       zu sehen. Seit fast einer Stunde hat kein Einziger am Stand vorbeigeschaut.
       „Das wichtigste ist, dass wir Präsenz zeigen. Das tut ja sonst keiner“,
       sagt die 49-Jährige und pustet den Rauch ihrer Cabinet in die Luft.
       
       Auf den zwei Klapptischen liegen Flyer und Broschüren. „Fakten gegen
       falsche Vorurteile“ steht dort und „Handeln gegen Hass und Hetze“. Andere
       Zettel beschäftigen sich mit linken Argumenten gegen Vorurteile, Rassismus
       und den einfachen Antworten der AfD. Inhaltlich ist die Partei gut
       aufgestellt, gerade hier. Köditz leitet die Arbeitsgemeinschaft des
       Parteivorstands zur AfD, ihr Mann und Büromitarbeiter Volkmar Wölk arbeitet
       seit Jahrzehnten zur extremen Rechten.
       
       Doch an diesem Vormittag fragt niemand in Grimma, etwa 30 Kilometer
       südöstlich von Leipzig, danach. Nur eine Handvoll Menschen werden heute den
       Weg zum Linken-Stand finden, allesamt Bekannte, Sympathisanten –
       Kaffeeverabredungen und Gespräche über Katzen.
       
       ## Die AfD ist die neue Protestpartei
       
       Dabei wäre es für die Partei wichtig, wenn sie von jenen gehört wird, die
       ängstlich, vorurteilsbeladen und wütend sind. Vor allem im Osten hat die
       Linke bei Wahlen massiv an die Rechtspopulisten verloren und den Rang als
       Protestpartei eingebüßt. Umfragen sehen sie inzwischen hinter der AfD, die
       mit 19 Prozent zweitstärkste Partei ist, nur noch auf Platz 4 der
       Wählergunst.
       
       Worin die Gefahr der AfD besteht, ist innerhalb der Linken umstritten. Bei
       der letzten Sitzung der parteiinternen AfD-AG im April im Berliner
       Karl-Liebknecht-Haus wurde darüber diskutiert, ob die Linke den Rassismus
       der AfD, ihre marktliberale Ausrichtung oder ihre Ablehnung der Moderne
       besonders in den Fokus nehmen solle. Für Köditz steht fest, dass der letzte
       Punkt der entscheidende ist. Die Sympathisanten der AfD „haben keine Angst
       vor dem Untergang des Abendlands durch den Islam, sondern durch Conchita
       Wurst“, sagt sie.
       
       In aufgesetztem Sächsisch karikiert Köditz, was sie so zu hören kriegt:
       „Wir wollen nicht so werden wie der Westen. Wir wollen nicht dieses
       Kuddelmuddel bei Patchworkfamilien. Der eine Ali beim Döner reicht doch.“
       Dahinter stecke die „Sehnsucht nach den guten fünfziger Jahren“, vor allem
       aber auch Uninformiertheit. Dieser möchte sie mit einer veränderten
       Ansprache entgegentreten. „Wir müssen den Politikersprech aufbrechen“,
       fordert Köditz. Statt „Homoehe“ müsse den Menschen gesagt werden, „wie
       schön es ist, wenn sich zwei Menschen lieben“.
       
       ## Ein Flashmob, der ins Wasser fiel
       
       In Königs Wusterhausen springt Thorsten Kleis plötzlich von seinem Stuhl
       und läuft ins Nebenzimmer. Dort liegen auf Tischen etwa zwei Dutzend selbst
       beschriebene Plakate. „Wollt ihr Vergewaltigungsopfer zwingen, das Kind des
       Täters zu bekommen?“ – „Wollt ihr wirklich eine Steuerobergrenze für
       Reiche?“ – „12-Jährige in den Knast! Echt?“ Unter jeder Frage findet sich
       ein Verweis auf die entsprechende Stelle im AfD-Programmentwurf.
       
       In einem Flashmob wollten die Linken eine AfD-Kundgebung im Ort einkreisen
       und die Fragen präsentieren. Doch die Aktion fiel ins Wasser, auf die
       Schnelle waren nicht genug Plakatträger zu mobilisieren. Es ist das Dilemma
       der demokratischen Parteien in der Provinz. Jetzt verbreitet Kleis seine
       Fragen auf Facebook. Darüber hinaus organisiert er mit seiner Parteigruppe
       in der 35.000-Einwohner-Stadt Fortbildungen, Diskussionen und Proteste auf
       der Straße, auch weil die anderen Parteien vor Ort „weder willens noch in
       der Lage“ seien, der AfD zu begegnen, wie er sagt.
       
       Mit Blick auf die Linkspartei ist Kleis selbstkritisch: „Es ist uns bisher
       nicht gelungen zu vermitteln, dass wir das Gute nicht explizit für
       Geflüchtete wollen, sondern für alle.“ Der Leitantrag für den
       Bundesparteitag der Linken am Wochenende in Magdeburg tue aber genau das.
       Kleis wedelt zufrieden mit dem Antragsheft. Weil es dennoch wichtig ist,
       den Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen zu begegnen, baut sich Kleis vor
       jeder AfD-Veranstaltung der Region auf. Dann steht er vor dem Eingang und
       verteilt Broschüren der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Na klar hab
       ich jedes Mal Angst. Aber es kann auch nichts Besseres passieren, als dass
       mir einer von denen auf die Fresse haut.“ Auf Anraten des Staatsschutzes
       hat er sich einen Hund angeschafft.
       
       ## Die Abgrenzung bröckelt
       
       Die Abgrenzung nach rechts bröckelt vielfach auch innerhalb der Linken.
       Einige Funktionäre haben bereits die Seite gewechselt. In Kusel in
       Rheinland-Pfalz lief der einst erfolgreichste Mitgliederwerber Patrick
       Hoffmann mit einigen Getreuen zur AfD über, in Berlin-Neukölln das
       Bezirksvorstandsmitglied Franziska Lorenz-Hoffmann. In Dresden rief die
       ehemalige Parteichefin Christine Ostrowski zur Wahl der AfD auf. Darüber
       sprechen will keiner von ihnen.
       
       Dass Linke nicht vor Ressentiments gefeit sind, weiß auch Köditz. „Viele
       unserer Wähler haben rassistische Stereotype; die wählen uns trotz unserer
       antirassistischen Einstellung“, vermutet sie. „Oder haben uns gewählt.“ Es
       dürfte diese Klientel sein, die Sahra Wagenknecht im Sinn hat, wenn sie mit
       Sprüchen provoziert wie „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht
       verwirkt“.
       
       Wie viele in der Partei rollt Köditz mit den Augen, als sie darauf
       angesprochen wird. „Wagenknecht treibt meinen Blutdruck nach oben.“ Viele
       Mitglieder seien „entsetzt“. Oder wie Kleis es sagen würde: „Wer sich auf
       das Feld des politischen Gegners begibt, läuft Gefahr, denen ins Messer zu
       laufen.“
       
       ## Entsetzen über Wagenknecht
       
       In der Ablehnung von Wagenknechts Aussage ist sich die Partei einig – im
       Umgang mit der AfD werden unterschiedliche Töne angeschlagen. „Wir müssen
       den faschistischen Flügel der AfD isolieren“, sagt etwa Christine Buchholz,
       Bundestagsabgeordnete vom linken Flügel.
       
       Die 45-Jährige ist der Einladung des Ortsverbands Berlin-Kreuzberg zu einer
       Veranstaltung zum Thema „Wie können wir die AfD stoppen?“ gefolgt. Trotz
       der Werbung sind gerade einmal ein Dutzend Personen in das mit Bildern und
       Blumen dekorierte Café am Mehringplatz gekommen – allesamt
       Parteimitglieder.
       
       Mit krächzend-erkälteter Stimme spricht Buchholz von den achtziger Jahren,
       als eine „breite antifaschistische Mobilisierung“ den Republikaner-Chef
       Franz Schönhuber dazu brachte, ehemalige NPDler aus seiner Partei
       auszuschließen. Diese Unruhe möchte Buchholz auch heute in die AfD tragen.
       Richtig sei es daher, wenn Menschen, die zu AfD-Veranstaltungen wollen,
       durch ein Spalier von Gegendemonstranten müssten.
       
       ## Der Plan der Trotzkistin
       
       Eine Bewegung möchte die 45-jährige Trotzkistin und Bewegungspolitikerin
       begründen. Dafür hat sie das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus mit ins
       Leben gerufen. Auf der ersten Konferenz im April kamen 500 Menschen nach
       Frankfurt am Main. Sie einigten sich auf Aktionen vor den Wahlen in Berlin
       und Mecklenburg-Vorpommern in diesem Herbst und die Ausbildung sogenannter
       StammtischkämpferInnen.
       
       Doch so einfach wird es nicht. Das zeigt Gerd Wiegel, Referent der
       Bundestagsfraktion, der mit Buchholz auf dem Podium sitzt. Er wirft ein:
       „Ich bin mir nicht sicher, ob es funktioniert, die AfD als Nazipartei
       anzugreifen. Das entspricht nicht der Wahrnehmung vieler Leute.“ Während
       Christine Buchholz ungerührt bleibt, meldet sich in der Publikumsrunde fast
       jeder zu Wort. Viele sind ratlos. Ein Gast spricht angesichts der rechten
       Erfolge gar von der „Existenzgefährdung der Linken“.
       
       Einen Schritt weiter ist da vielleicht Thorsten Kleis, der mit seiner
       Basisorganisation 42 eine Veranstaltung im Kulturzentrum von Königs
       Wusterhausen zum Thema Kriminalität plant. Kleis bekräftigt: „Wir reden
       nicht mehr über die AfD, sondern über ihre Inhalte.“
       
       27 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
       
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