# taz.de -- Gesetzespaket zum Asylrecht: Der große Asylmurks
       
       > Das neue Asylrechtspaket soll am 1. November in Kraft treten.
       > Fachverbände kritisieren einen „Rückfall in die Steinzeit“. Hier ein paar
       > Beispiele.
       
 (IMG) Bild: Deutschkurs für berufliche Integration in Berlin.
       
       Berlin taz | Angela Merkels Union, die SPD und auch die Grünen wollen in
       dieser Woche im Eiltempo das Asylrecht ändern. Bundestag und -rat
       verabschieden einen Maßnahmenmix, Verschärfungen für Flüchtlinge, aber auch
       Milliardenhilfen für die Länder und Kommunen.
       
       Am Montag nehmen Experten im Innenausschuss Stellung, am Mittwoch
       diskutiert der Ausschuss ein letztes Mal. Am Donnerstag beschließt der
       Bundestag die Reform mit den Stimmen von Union und SPD. Am Freitag segnet
       es der Bundesrat ab. Die meisten rot-grün regierten Länder werden
       zustimmen. 
       
       Aber da ist der erfahrene Migrationsexperte einer Bundestagsfraktion, der
       in den Telefonhörer schnaubt und sagt: „Großer Murks ist das. Die
       Ministerpräsidenten haben sich im Asyl-Dschungel verirrt.“ 
       
       Da ist Jürgen Trittin, einer der ausgebufftesten Strategen der Grünen, der
       das Gesetz für einen „Schritt zurück zu einer gescheiterten
       Flüchtlingspolitik“ hält. 
       
       Da ist Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD), der im Bundestag
       eine der wichtigsten Ideen für „naiv“ erklärte. 
       
       In der Tat dürften viele der Regeln das Chaos in den Kommunen noch
       vergrößern. Die taz liefert einen Überblick und bewertet den Murksfaktor:
       von lMinimurks bis lllllRiesenmurks.
       
       ## 6 Monate im Erstaufnahmelager
       
       Flüchtlinge sollen künftig bis zu sechs Monaten in
       Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten
       sogar bis zum Abschluss ihres Verfahrens, also oft noch länger. Diese
       Einrichtungen – häufig in Turnhallen, Baumärkten, leer stehende
       Industriehallen untergebracht – sind schon jetzt völlig überfüllt, die
       Menschen schlafen dicht gedrängt auf Feldbetten.
       
       SPD-Mann Pistorius ärgerte sich deshalb besonders über diese Idee. Weder
       könnten die Einrichtungen neue Menschen aufnehmen, noch könnten sie Leute
       aus sicheren Herkunftsstaaten bis zur Ausreise beherbergen, sagte er.
       Setzen Länder den Vorschlag um, könnte dies Aggressionen unter den
       Flüchtlingen forcieren. Der Städte- und Gemeindebund appelliert bereits an
       den Bund, neue Einrichtungen in Kasernen oder anderswo zu schaffen, da
       sonst die Spannungen in den Kommunen zunähmen.
       
       Ein Nebeneffekt: Während sie in den Einrichtungen leben, dürfen
       Asylbewerber nicht arbeiten. Als Baden-Württembergs Ministerpräsident
       Winfried Kretschmann (Grüne) vor einem Jahr einer Asylrechtsverschärfung im
       Bundesrat zustimmte, rechtfertigte er das mit Verbesserungen für
       Flüchtlinge. Asylbewerber sollten früher arbeiten dürfen, schon drei Monate
       nach der Einreise. Das neue Gesetz kassiert die Liberalisierung wieder. Es
       verdammt die Geflüchteten weiter zur Untätigkeit.
       
       Murksfaktor: lllll 
       
       ## Sachleistungen statt Taschengeld
       
       Asylbewerber bekommen die Unterkunft, Nahrung und Kleidung gestellt.
       Zusätzlich gibt es ein Taschengeld von 143 Euro im Monat für „persönliche
       Bedürfnisse des täglichen Lebens“.
       
       Die Asylbewerber kaufen sich damit Busfahrkarten, Lebensmittel oder
       Prepaidkarten fürs Smartphone, um den Kontakt zur Heimat zu halten.
       
       Weil die Union dieses Taschengeld als Anreiz definiert, der Menschen nach
       Deutschland lockt, soll es künftig nur noch Sachleistungen geben.
       
       Das bedeutet: In Erstaufnahmeeinrichtungen würden also Gutscheine
       ausgeteilt oder gleich Lebensmittel, Zigaretten und anderes.
       
       Der bürokratische Aufwand für diese Neuerung wäre immens. Die Dinge müssten
       ja nicht nur von den Mitarbeitern eingekauft und anschließend verteilt
       werden. Die Menschen – egal woher – haben auch ganz unterschiedliche
       Bedürfnisse.
       
       Das Sachleistungsprinzip führe nicht nur zu höheren Kosten, kritisiert der
       Deutsche Caritasverband in einem Schreiben an den Innenausschuss des
       Bundestags das Vorhaben. „Wichtiger noch ist, dass bei den Betroffenen
       selbständige Lebensführung und Teilhabe erschwert, wenn nicht sogar
       verhindert wird.“
       
       Die Länder können selbst entscheiden, ob sie weiter das Taschengeld zahlen
       oder nicht.
       
       Murksfaktor: lllll 
       
       ## Gesundheitskarte – nicht überall
       
       Eine Gesundheitskarte, wie sie jeder deutsche Krankenversicherte besitzt,
       wäre eine enorme Erleichterung für Asylbewerber. Sie könnten sie beim Arzt
       vorlegen, um dann wie andere Patienten behandelt zu werden. Eine solche
       Karte gibt es schon in den rot-grün regierten Ländern Bremen, Hamburg und
       Nordrhein-Westfalen.
       
       In anderen Bundesländern müssen Flüchtlinge einen Behandlungsschein
       beantragen, den sie dann beim Arzt einlösen. Dieses Verfahren ist so
       langwierig und bürokratisch, dass sich Krankheiten unterdessen oft
       verschlimmern. SPD und Grüne haben es nicht erreicht, die bundesweite
       Einführung der Karte gegen die Union durchzusetzen. Die Länder können die
       Karte gewähren, müssen es aber nicht tun. Bayern und Sachsen haben bereits
       erklärt, bei dem alten System zu bleiben.
       
       Der Gesetzgeber akzeptiert also einen gesundheitspolitischen
       Flickenteppich. Der AOK-Bundesverband schreibt in einer Stellungnahme an
       den Innenausschuss, eine Leistungsgewährung „über von der Krankenkasse
       auszugebende Behandlungsscheine in Papierform wäre […] ein Rückfall in die
       Steinzeit.“ Asylbewerber sollen gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz
       versorgt werden. Dieses definiert einen Minimalstandard, der deutlich unter
       den Leistungen für Hartz-IV-Bezieher liegt.
       
       Chronische Krankheiten wie Diabetes oder manche Zahnerkrankungen dürfen
       Ärzte deshalb nicht behandeln. Außerdem soll die Gesundheitskarte für
       Asylbewerber ab 2017 extra gekennzeichnet werden – als „Karte zweiter
       Klasse“. Die neue Regelung setzt die Regierungen von Bremen, Hamburg und
       Nordrhein-Westfalen unter Druck. Sie akzeptieren es bisher, wenn Ärzte
       Asylbewerber ähnlich behandeln wie gesetzlich krankenversicherte Deutsche.
       
       Eine Kennzeichnung der Karte sei „schon allein wegen der damit verbundenen
       Stigmatisierung der Flüchtlinge falsch“, sagt NRW-Gesundheitsministerin
       Barbara Steffens (Grüne). Falls dadurch Ärzten die Verantwortung für eine
       Behandlungseinschränkung zugeschoben werden solle, sei „dies
       wirklichkeitsfremd und gesundheitspolitisch falsch“.
       
       Noch deutlicher wird die Bundesärztekammer. Sie fordert, die
       Gesundheitskarte für Asylbewerber flächendeckend einzuführen. „Mittel- bis
       langfristig ist es höchst fragwürdig, Asylbegehrenden einen nur
       beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleistungsgesetz zu
       gewähren“, schreibt ihr Chef Frank Ulrich Montgomery an den Innenausschuss.
       
       Murksfaktor: llll 
       
       ## Vorübergehend ermächtigt
       
       Nach Deutschland geflüchtete Ärzte sollen künftig in
       Erstaufnahmeeinrichtungen praktizieren dürfen. In den überfüllten Heimen
       gibt es wenige Ärzte und viele geschwächte und traumatisierte Menschen.
       
       Das Gesetz schlägt wolkig und befristet eine „Ermächtigung zur
       vorübergehenden Ausübung von Heilkunde“ für Asylbewerber vor.
       
       Das Gesetz strotzt hier vor Widersprüchen: Eigentlich dürfen Asylbewerber
       in Erstaufnahmeeinrichtungen nicht arbeiten. Die geflüchteten Ärzte bekämen
       auch keine Berufserlaubnis oder Approbation, weil ihnen die nötigen
       Nachweise und Sprachkenntnisse fehlten, stellt das Gesetz klar.
       
       Stattdessen müssten sie eidesstattlich versichern, Arzt zu sein. Sie würden
       einem deutschen Arzt unterstellt.
       
       Allerdings: Alle Erfahrungen würden bei einem später folgenden
       Anerkennungsverfahren nicht angerechnet.
       
       Die Bundesärztekammer weist darauf hin, dass der Vorschlag klaren
       rechtlichen Vorgaben für die Zulassung ausländischer Ärzte widerspricht.
       Sie warnt davor, Patienten „Quasiärzten“ zu überlassen, deren Kompetenz
       nicht geprüft worden sei. „Es darf keine anderen Maßstäbe für die
       Behandlung asylbegehrender Menschen geben“, schreibt Montgomery an den
       Innenausschuss.
       
       Murksfaktor: ll 
       
       ## Integrationskurse
       
       Bisher dürfen nur anerkannte Asylbewerber Integrationskurse belegen. Dort
       lernen sie nicht nur die Sprache, die Kurse informieren auch über Werte und
       das Zusammenleben in Deutschland. In Zukunft werden diese Kurse auch für
       solche Flüchtlinge geöffnet, die eine gute Bleibeperspektive haben.
       
       Darin sollen sie erfahren, wie man sich in der Bundesrepublik verhält,
       welche Regeln existieren, was geht und was nicht. Zudem sollen sie die
       Sprache so weit erlernen, dass sie allein zurechtkommen können. Der
       Gesetzgeber rechnet mit 33.000 zusätzlichen Interessenten im Jahr 2016, was
       50 Millionen Euro Kosten verursachen würde.
       
       Allerdings ist eine solche Zulassung – anders als bei anerkannten
       Asylbewerbern – auf drei Monate befristet. Die Träger sind schon jetzt
       überlastet, sie können nicht in kürzester Zeit noch mehr Kurse anbieten.
       
       „Die Auslastung der Volkshochschulen als Hauptträger der staatlichen
       Integrationskurse hat ihre Kapazitätsgrenze erreicht“, erklärt Michaela
       Stoffels vom Deutschen Volkshochschul-Verband. Sie sei aber optimistisch,
       fügt sie hinzu, dass man es mit mehr Finanzen und Flexibilität schaffen
       könne.
       
       Prognose: unsicher. Für viele Asylbewerber dürfte ein schneller
       Integrationskurs ein Traum bleiben.
       
       Murksfaktor: l 
       
       Korrektur: In einer früheren Version des Textes stand, dass die Grünen dem
       Asylkompromiss im Bundestag zustimmen würden. Das ist falsch. Die
       Bundestagsfraktion will das Gesetzespaket ablehnen. Im Bundesrat wird eine
       Mehrheit der rot-grün-regierten Länder aber voraussichtlich zustimmen.
       
       12 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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