# taz.de -- Menschenrechtsaktivistin aus Guatemala: „Die Leute haben die Nase voll“
       
       > Nach dem Rücktritt des Präsidenten steckt Guatemala in einer politischen
       > Krise. Claudia Samayoa erklärt die Gründe – und die Chancen des
       > Widerstands.
       
 (IMG) Bild: Demonstranten jubeln vor dem Regierungsgebäude, weil die Immunität von Otto Pérez Molina aufgehoben wird.
       
       taz: Frau Samayoa, Guatemala steckt in einer handfesten politischen Krise.
       Der Präsident ist zurückgetreten, es gibt einen Haftbefehl gegen ihn. Am
       Sonntag sind dennoch ganz regulär Wahlen. Viele Guatemalteken wollen aber
       nicht wählen und bestehen auf grundlegenden Veränderungen. Woher kommt das
       plötzlich? 
       
       Claudia Samayoa: Für mich hat sich da etwas angestaut, was nun ausbricht.
       Das ist ein Effekt von 1996, der Unterzeichnung des Friedensvertrages, bis
       heute. Damals haben wir theoretisch gelernt, dass wir Rechte haben. Das hat
       dazu geführt, dass sich Organisationen gegründet haben, die für soziale und
       ökonomische Grundrechte eingetreten sind. Heute geht es nun darum, die
       politischen Grundrechte nachholend einzufordern, da stehen Armeeveteranen
       neben Bauern und demonstrieren gegen eine korrupte Regierung.
       
       Die Leute haben einfach die Nase voll? 
       
       So begann der Widerstand, aber es geht weiter. Die Leute beziehen sich in
       ihrem Protest auch auf den Genozid, die Massaker an den Ixil zu Beginn der
       1980er Jahre, auf den Rassismus im Land. Als im letzten Jahr das
       Monsanto-Gesetz vorgelegt wurde, das faktisch das Saatgut der Bauern
       privatisiert, ging erstmals ein breites Bündnis – von der Hausfrau bis zum
       Bauern – auf die Straße. Darunter erstmals auch viele Unternehmer.
       
       Der einflussreiche Unternehmerverband Cacif hat Präsident Otto Pérez Molina
       lange den Rücken gestärkt, ihn vor zehn Tagen dann zum Rücktritt
       aufgerufen. Früher wäre das undenkbar gewesen. 
       
       Heute gibt es im Cacif Fraktionen, die nicht so konservativ aufgestellt
       sind wie zum Beispiel der Handelssektor. Das sorgt dafür, dass ein anderer
       Wind weht – das ist ein historisches Ereignis. Und damit stellt sich auch
       die Frage, ob ein Weiter so nach altem Muster überhaupt möglich ist.
       
       Haben Wahlen unter diesen Bedingungen überhaupt Sinn? 
       
       Eigentlich nicht, denn die Situation ist dafür wenig geeignet, wie die
       „Plataforma nacional“ festgestellt hat. Auch die katholische Kirche hat
       sich für eine Aussetzung und spätere Durchführung der Wahlen ausgesprochen.
       Aber mit der Aufhebung der Immunität des Präsidenten hat man sich letztlich
       dazu verständigt, die Wahlen durchzuführen. Dabei ist ein ernstes Problem,
       dass auch gegen unzählige Kandidaten ermittelt wird. Unter diesen
       Bedingungen ist eine Wahl für viele Guatemalteken von vornherein
       fragwürdig.
       
       Gibt es überhaupt saubere Parteien?Paradoxerweise sind bei diesen Wahl so
       viele Kandidaten mit weißer Weste am Start wie schon lange nicht mehr. Es
       gibt viele Kandidaten, die sich zum ersten Mal engagieren wollen, viele
       neue Gesichter – neben den Altbekannten. Es gibt interessante Parteien wie
       das Encuentro por Guatemala oder das Movimiento Nueva República MNR, aber
       diese Parteien haben oft kaum Mittel. Aber vor allem gibt es gibt
       grundsätzlichen Reformbedarf: Wir haben ein Mehrheitswahlrecht, welches die
       Minderheiten kleiner macht als sie sind.
       
       Auf dem Land gibt es zudem das traditionelle Problem der Wahlgeschenke … 
       
       Viele Guatemalteken stimmen gegen ihre eigenen Interessen, weil sie
       Wahlgeschenke annehmen. Sie sind darauf angewiesen, ihren Sack Dünger zu
       erhalten oder den Sack mit Nahrungsmitteln. Das führt oft dazu, dass die
       traditionellen Parteien bestätigt werden. Viele haben die Hoffnung auf
       einen Wandel aufgegeben.
       
       Wie beurteilen Sie die Perspektive des Landes angesichts dieser
       Konstellation? 
       
       Guatemala droht unregierbar zu werden, denn die Leute sind es leid – sie
       haben die Nase voll von diesem System. Wir brauchen jene Wahlreformen, auf
       die wir seit 1996 warten. Sie stehen zwar in den Friedensverträgen, sind
       aber wegen des Widerstandes der Unternehmer nie umgesetzt worden. Der
       Rücktritt des Präsidenten und der Haftbefehl könnten ein erster Schritt
       sein.
       
       3 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Knut Henkel
       
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