# taz.de -- V-Mann-Affäre: V wie Verdrängen
       
       > Im Innenausschuss muss sich Frank Henkel fragen lassen, was er für die
       > Aufklärung über den V-Mann Thomas S. tat. Der Innensenator findet keine
       > Antwort.
       
 (IMG) Bild: Kommt nicht raus aus der Affäre: Frank Henkel.
       
       Er wird die Affäre einfach nicht los: Gleich zu Beginn der neuen Woche
       bekommt Innensenator Frank Henkel (CDU) sein Schweigen über Thomas S., den
       langjährigen Berliner V-Mann und NSU-Beschuldigten, wieder aufs Brot
       geschmiert. Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses redet sich der Grüne
       Benedikt Lux in Rage: „Es ist überhaupt kein Vertrauen mehr da. Ihre
       Selbstkritik nimmt Ihnen doch keiner mehr ab.“ Die Piraten nennen’s
       „unwürdig“, die Linken eine „peinliche Seifenoper“. Da hat Henkel die
       anfängliche Souveränität bereits verloren. Er lacht auf, seine
       Gesichtsfarbe wandelt sich ins Rote, ein verlegenes Rot.
       
       Auch Henkels kleine Offensive zu Beginn der Sitzung ist verpufft: Er hätte
       sensibler sein können im Fall S., hatte er noch mal eingeräumt. Um gleich
       zu betonen, dass auch die Abgeordneten sich „selbstkritisch“ hinterfragen
       müssten, warum nur wenige Tage nach einer vertraulichen Sitzung Inhalte
       öffentlich würden. Der Senator meint Hinweise auf eine DNA-Übereinstimmung
       zwischen einer Diskette im Zwickauer Haus des NSU-Trios und einer
       Patronenhülse von einer Rocker-Schießerei im Juli in Berlin. Eine
       Verbindung, die die Ermittler inzwischen als höchst vage bewerten. Auf das
       Bekanntwerden hatte auch die SPD reagiert – mit einer Anzeige wegen
       Geheimnisverrats. Henkel schimpft jetzt, es gehe der Opposition um
       „Profilierung“.
       
       Die beharrt dagegen auf ihrer Hauptfrage: Was habe er, Henkel, als
       politisch Verantwortlicher seit dem 9. März getan, als er von der Polizei
       über Thomas S. informiert wurde? Der Senator antwortet darauf - nichts.
       Woraufhin die Grünen Einsicht in den gesamten Schriftverkehr beantragen,
       den die Innenverwaltung seit November zu den NSU-Ermittlungen führte.
       
       Denn eines wird immer klarer: Henkel hat die Angelegenheit Thomas S.
       offenbar gänzlich der Polizei überlassen. Obwohl der Sachse von 2000 bis
       2011 als V-Mann für den Berliner Staatsschutz arbeitete. Obwohl er 2002
       einen Hinweis auf „drei Gesuchte“ gab – das NSU-Trio. Obwohl er seit Januar
       beschuldigt wird, dem Trio beim Untertauchen geholfen zu haben. Obwohl seit
       Jahresbeginn der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag tagt. Und obwohl
       Henkel in der Innenministerkonferenz im März mitbeschloss, dass alle Länder
       ihren Beitrag „zur gründlichen und raschen Aufarbeitung“ der NSU-Morde
       leisten. Wenn Henkel etwas dafür tat – an diesem Montag verrät er es nicht.
       
       Sein Problem ist: Auch Polizeichefin Margarete Koppers kam nicht auf die
       Idee, außer der Generalbundesanwaltschaft (GBA) auch den
       NSU-Untersuchungsausschuss über Thomas S. zu informieren. Im Gegenteil: In
       einem Schreiben vom 3. April an die GBA lehnte die Polizei ab, die
       kompletten Akten nach Karlsruhe zu senden. Aus Quellenschutz – und weil
       eine „Einsicht durch den Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden
       könne“. Unterschrift: Koppers.
       
       Mit Henkel war der Brief nicht abgesprochen, sagt ein Polizeisprecher. Wohl
       aber die „generelle Linie“ zu Thomas S. Die hieß: Die GBA wird informiert,
       mehr nicht. Sie dürfe und werde Ermittlungen nicht gefährden, verteidigt
       sich Koppers erneut. Henkel ließ es damit bewenden. Den NSU-Ausschuss
       vertraulich zu informieren, kam ihm offenbar nicht in den Sinn. Und wenn
       doch, heißt das: Er traute der Verschwiegenheit des Gremiums nicht.
       
       Er würde das heute anders machen, hat Henkel eingeräumt. Bis dahin hatte er
       die Bedeutung des NSU-Beschuldigten Thomas S. also anders eingeschätzt, hat
       sie unterschätzt. Ein vernichtendes Urteil – immerhin geht es um ein
       Puzzlestück aus der größten Sicherheitskrise seit Jahren.
       
       Seit letzter Woche ist die Geheimniswahrung ohnehin passé: Henkel
       übermittelte die Akten dem NSU- und Innenausschuss. Geht es nach Koppers,
       soll auch die Öffentlichkeit bald vom Inhalt erfahren. Bereits im Mai hatte
       die Polizei Thomas S. gebeten, sie von der Verschwiegenheit zu entbinden –
       der 44-Jährige lehnte ab. Am Wochenende gab er allerdings selbst
       Interviews, erzählte von seiner Liaison mit Beate Zschäpe 1996 und wie er
       dem Trio 1998 Sprengstoff übergab. Ein Justiziar prüfe, so Koppers, ob das
       ausreiche, die Vertraulichkeit aufzuheben.
       
       SPD und CDU fordern die Opposition später auf, ihre „Frageschwerpunkte zu
       verlagern“. Weg von Henkel, hin zu 2002 und der Frage, warum S.’ Hinweis
       auf das Trio versandete. Das klärt nun auch eine fünfköpfige
       Ermittlergruppe in der Polizei, geleitet von dem Vize-Chef der
       Mordkommission Winfried Wenzel. Auch Ehrhart Körting (SPD), Innensenator
       von 2001 bis 2011, soll in der nächsten Ausschusssitzung am 22. Oktober
       dazu befragt werden.
       
       Dass Henkel die Debatte nun los ist, darf er nicht hoffen: Am Montagabend
       traf sich die CDU zum kleinen Parteitag. Es sollte um Wirtschaft gehen. Nun
       ging es auch um die NSU. Und am Donnerstag tagt das Abgeordnetenhaus, wo
       Henkel vor zwei Wochen erstmals nach Thomas S. befragt wurde und überrascht
       tat. Und wohl auch war. Denn bisher lässt er nicht erkennen, dass S. bis
       damals mehr für ihn war als irgendein V-Mann aus Sachsen.
       
       24 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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