# taz.de -- Debatte Ermittlungen zum NSU: Versagen ohne Zentrum
       
       > Die Mordserie des NSU zeigt, dass deutsche Behörden ein grundsätzliches
       > Problem haben. Um ihre Arbeit zu verbessern, müssen sie stärker
       > zentralisiert werden.
       
 (IMG) Bild: Ohne Hinweise von der CIA tappen deutsche Behörden oft im Dunkeln.
       
       Unter Terrorismusspezialisten macht seit der Entdeckung der Zwickauer Zelle
       im November 2011 ein böser Witz die Runde: Jemand fragt, warum die
       deutschen Sicherheitsbehörden die Morde nicht aufgedeckt hätten. Prompt
       folgt die Antwort: „Weil sich die CIA nicht für deutsche Rechtsextremisten
       interessiert.“
       
       So zynisch der Witz auch klingen mag, er verweist auf eine ebenso traurige
       wie beunruhigende Wahrheit. Fast immer, wenn Terroristen in jüngerer Zeit
       größere Anschläge in Deutschland planten, erfuhren die hiesigen Behörden
       erst durch Hinweise ihrer US-Kollegen davon. Da sich die amerikanischen
       Behörden nicht um deutschen Rechtsextremismus kümmern, so die Botschaft des
       Scherzes, hatten die wie so oft überforderten einheimischen keine Chance.
       
       Viele Beobachter glaubten, dass die offenkundige Schwäche der deutschen
       Nachrichtendienste und Polizeibehörden mit der Konzentration auf das Thema
       „Islamismus“ zu tun hatte. Die Behörden hatten erst nach dem 11. September
       2001 begonnen, sich ernsthaft mit islamistischem Terrorismus zu befassen
       und ihn mit neu eingestelltem Personal zu bekämpfen.
       
       Die Mordserie der Zwickauer Zelle zeigt nun jedoch, dass die Probleme der
       deutschen Sicherheitsbehörden einerseits noch viel grundsätzlicherer Natur
       sind, sie andererseits aber nicht allein Verantwortung für die Misere der
       deutschen Terrorismusbekämpfung tragen. Denn sie agieren als nachgeordnete
       Akteure in einem Verbund, der oft „Sicherheitsarchitektur“ genannt wird. Er
       umfasst neben der Polizei und den Diensten auch die mit deren Kontrolle
       beauftragten Ministerien und die parlamentarischen Aufsichtsgremien.
       
       Eine besonders wichtige Funktion haben die Ministerien, die die Arbeit der
       Sicherheitsbehörden steuern, indem sie in regelmäßigen Abständen
       Auftragsprofile erarbeiten und auch im täglichen Geschäft mit gezielten
       Fragen Einfluss nehmen. Idealerweise sollten die Fachleute in
       Bundesinnenministerium (der Aufsichtsbehörde für den
       Bundesverfassungsschutz und das Bundeskriminalamt), Bundeskanzleramt
       (Bundesnachrichtendienst) und Verteidigungsministerium (Militärischer
       Abschirmdienst) und in den Innenministerien der Länder
       (Landesverfassungsschutz- und Landeskriminalämter) den Blick auf das Ganze
       bewahren, Prioritäten festlegen und in politisch besonders wichtigen Fällen
       auch die Details der Arbeit der Sicherheitsbehörden überwachen.
       Folgerichtig können Polizei und Nachrichtendienste nur so effektiv sein,
       wie es die Ministerien zulassen.
       
       ## Versagen im Fall Keupstraße
       
       Betrachtet man den Fall der Zwickauer Zelle aus dieser Perspektive, zeigt
       er das Scheitern der gesamten Sicherheitsarchitektur. Die Fehler der
       Aufsichtsbehörden, denen es nicht gelang, die richtigen Fragen zu stellen
       und so Polizei und Nachrichtendienste auf die richtige Spur zu führen,
       werden auch am Beispiel des Anschlags in der Kölner Keupstraße 2004
       deutlich. Die per Fernzündung ausgelöste Bombe verletzte 22 überwiegend
       türkischstämmige Menschen.
       
       Unter Terrorismusspezialisten der Sicherheitsbehörden lautete die
       wichtigste Arbeitshypothese schon damals, dass es sich bei den Tätern um
       Rechtsextremisten handeln müsse. Dies war auch den Aufsichtsbehörden
       bekannt. Doch als die Ermittler vor Ort diese These verwarfen, sorgte
       offenbar keines der beteiligten Ministerien dafür, dass ihr weiter
       nachgegangen wurde.
       
       Wer also Reformen in der deutschen Sicherheitsarchitektur einfordert, kommt
       nicht umhin, sich die Frage zu stellen, inwieweit die Arbeit der
       Aufsichtsbehörden in Bundesministerien und im Bundeskanzleramt gestaltet
       werden muss. Die Arbeit der Sicherheitsbehörden selbst hat die
       Bundesregierung mit der Schaffung des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen
       Rechtsextremismus (GAR) im Dezember 2011 richtigerweise stärker
       zentralisiert.
       
       Sie folgt damit dem bewährten Modell des 2004 eingerichteten Gemeinsamen
       Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) der Sicherheitsbehörden in Berlin-Treptow.
       Dort arbeiten Vertreter aller mit der Bekämpfung des islamistischen
       Terrorismus befassten deutschen Behörden zusammen, ohne dass eine neue
       Behörde gegründet worden wäre.
       
       Dieses Modell hat den Vorteil, eine verstärke Koordinierung erzwungen zu
       haben, ohne dass durch den Aufbau neuer Behörden die kurzfristige
       Arbeitsfähigkeit der einzelnen Dienste beeinträchtigt wurde. Langfristig
       ist dies jedoch nur eine Notlösung, die den Mangel an Effektivität der
       Sicherheitsarchitektur nur mühsam verdecken kann. Eine stärkere
       Zentralisierung ist ein Muss, wenn Deutschland seine Bürger vor den
       Gefahren des 21. Jahrhunderts schützen will. Die Existenz von insgesamt 37
       mit der Terrorismusbekämpfung befassten Behörden hat sich längst zu einem
       Sicherheitsrisiko entwickelt.
       
       ## Ein nationaler Sicherheitsrat
       
       Eine ähnliche Vorgehensweise wie im Fall des GTAZ sollte auch für die
       ministerielle Ebene gewählt werden. Schon vor Jahren machten Politiker und
       Kommentatoren den Vorschlag, zur Koordinierung der deutschen
       Sicherheitspolitik einen nationalen Sicherheitsrat einzurichten.
       
       Auch wenn dieser Vorschlag meist auf die Außenpolitik bezogen war, ist eine
       bessere Verzahnung der Arbeit von Ministerien und Sicherheitsbehörden
       ebenso notwendig. Ein solcher Rat könnte aus einer Reform des ohnehin
       bestehenden „Bundessicherheitsrats“ hervorgehen, der sich bisher weitgehend
       mit Rüstungsexporten befasst hat.
       
       Seine Geschäfte könnten von einem Bundessicherheitsberater im Rang eines
       Staatssekretärs geführt werden; in seinem Arbeitsstab würden alle innen-
       wie außenpolitischen Aspekte der Sicherheitspolitik bearbeitet und wäre
       seine Koordinierungs- und Kontrollkompetenz sehr weitgehend definiert.
       Vertreten wäre Personal mit innen- und außenpolitischer Erfahrung,
       politikerfahrene Nachrichtendienstler und Polizisten, Militärs und im (sehr
       wahrscheinlichen) Bedarfsfall auch Seiteneinsteiger.
       
       Zwar gibt es keine Garantie, dass ein solcher Bundessicherheitsrat die
       Fehler der letzten Jahre hätte vermeiden können, er hätte aber die Chance
       dazu geboten – und ein Beitrag zu besserer sicherheitspolitischer
       Regierungsführung wäre er allemal.
       
       8 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Guido Steinberg
       
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