# taz.de -- Polizei und rechtsextreme Übergriffe: Es hat sich wenig geändert
       
       > Die Morde des NSU haben vorgeführt, wie Ermittlungen bei rechtsextremen
       > Übergriffen verlaufen. Die Polizei scheint daraus wenig gelernt zu haben.
       
 (IMG) Bild: Weggucken bringt nichts
       
       BERLIN taz | Ende August drangen zwei teilweise maskierte Männer in das
       Haus einer türkischen Familie in Betzdorf, Rheinland-Pfalz. Sie bedrohten
       die Eheleute und ihre fünf Kinder mit einer Eisenstange und einer Pistole.
       Als die alarmierte Polizei anrückte, fand sie nur noch die schockierte
       Familie vor, den Vater mit einem Brotmesser in der Hand. Er wurde in
       Handschellen abgeführt. Die Beamten gingen von einer Familienfehde aus.
       
       „Das zeigt, dass die Polizei bis heute keine Lehren aus den NSU-Morden
       gezogen hat“, schäumte der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in
       Deutschland, Kenan Kolat. Die Familie geht davon aus, dass die
       Eindringlinge Rechtsradikale waren, die sie einschüchtern wollten.
       Türkische Medien griffen den Fall auf, das türkische Konsulat schaltete
       sich ein, die Familie erstattete Anzeige gegen die Beamten.
       
       „Die Sicherheitsbehörden sind in der Pflicht, das Vertrauen der Migranten
       zurückzugewinnen“, mahnte auch die Integrationsbeauftragte der
       Bundesregierung, Maria Böhmer. Doch auf die Frage, welche Konsequenzen etwa
       das Bundeskriminalamt aus der NSU-Affäre gezogen hat, verweist ein Sprecher
       des vorgesetzten Bundesinnenministeriums lapidar auf das neue
       „Abwehrzentrum“ und die Rechtsextremismusdatei, an der das BKA „maßgeblich
       beteiligt“ sei.
       
       Doch die immer neuen Enthüllungen über Polizisten, die Mitglied beim
       Ku-Klux-Klan waren oder Neonazis vor Razzien gewarnt haben sollen, wie sie
       im Zuge der NSU-Ermittlungen publik wurden, säen neue Zweifel. Und die
       antirassistische Amadeu-Antonio-Stiftung meint, dass sich an der
       alltäglichen Polizeiarbeit auch nach der NSU-Affäre wenig geändert hat.
       
       Bis heute würde bei rechtsextremen Übergriffen der Hintergrund der Tat
       häufig ignoriert – und stattdessen die Opfer verdächtigt. BKA-Chef Jörg
       Ziercke schlug deshalb jetzt, zum Jahrestag der Aufdeckung der
       NSU-Terrorzelle, eine Einstellungsquote für Polizisten mit
       Migrationshintergrund vor. Mehr Migranten bei der Polizei könnten die
       Beamten gegen fremdenfeindliche Tendenzen sensibilisieren.
       
       Die türkische Gemeinde in Deutschland fordert außerdem, bei Morden an
       Migranten immer zuerst auch einen rechtsextremen Hintergrund in Erwägung zu
       ziehen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält davon allerdings wenig.
       „Bei einem Mordfall ist der Täter in rund 90 Prozent der Fälle eine Person
       im nahen, familiären Umfeld des Opfers“, erläutert GdP-Chef Bernhard
       Witthaut. Das gelte auch für Migranten. Daher mache es „wenig Sinn“,
       zunächst der Zehn-Prozent-Wahrscheinlichkeit einer rassistisch motivierten
       Tat nachzugehen, so Witthaut.
       
       ## „Kein Bedarf“
       
       Die Ombudsfrau der NSU-Opfer, Barbara John, hatte außerdem eine
       Beschwerdestelle vorgeschlagen. „Mit ihrer Forderung unterstellt Frau John
       der Polizei eine latente Ausländerfeindlichkeit“, ärgert sich Witthaut, und
       weist auf die wachsende Zahl von Polizisten mit Migrationshintergrund hin.
       
       Auch das Bundesinnenministerium sieht „aktuell keinen Bedarf für eine
       zusätzliche Beschwerdestelle“. Schon jetzt könne jeder Bürger eine
       Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen. Ansonsten stehe „der Rechtsweg
       offen“. Doch in der Realität verzichten Opfer von Polizeigewalt oft auf
       eine Anzeige. Nicht selten raten ihnen Beamte auch ab.
       
       Kommt es doch zur Anzeige, dann werden die Ermittlungen oft eingestellt,
       bevor es zur Anklage kommt. Und landet der Fall doch vor Gericht, müssen
       die mutmaßlichen Opfer meist mit einer Gegenanzeige wegen „Beleidigung“
       oder „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ rechnen. Amnesty International
       plädiert deshalb für „unabhängige Untersuchungsmechanismen“.
       
       Im Betzdorfer Fall kann die örtliche Polizeigewerkschaft bis heute keinen
       Fehler erkennen. Ein Sprecher nannte die Rassismusvorwürfe „ungeheuerlich
       und beleidigend“. Auch der SPD-Bürgermeister des Ortes, Bernd Brato, ist
       überzeugt, dass die Tat keinen rechtsradikalen Hintergrund gehabt hat.
       Inzwischen ermittelt eine andere Polizeidirektion, die im September mit
       einem Phantombild eines der mutmaßlichen Täter an die Öffentlichkeit ging –
       Wochen nach der Tat.
       
       2 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
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