# taz.de -- Prozess um Geheimdienstakten: Der geheime Adolf Eichmann
       
       > Der „Bild“-Chefreporter fordert vor Gericht, alles Material über einen
       > Nazi-Verbrecher vom Bundesnachrichtendienst zu erhalten. Warum sperrt
       > sich die Behörde?
       
 (IMG) Bild: Öffentlich: Einer der Pässe, die Adolf Eichmann nach seiner Flucht gen Argentinien benutzte
       
       LEIPZIG taz | „Hans-Wilhelm Saure gegen Bundesrepublik Deutschland“ - so
       lautet der offizielle Titel des Verfahrens, das unter dem Aktenzeichen
       BVerwG 15.10 beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig anhängig ist. Das
       verwundert im ersten Moment, denn Saure ist Chefreporter der Bild-Zeitung,
       ein Organ, das für eine ausgeprägte Staatsgegnerschaft im landläufigen
       Sinne nicht bekannt ist.
       
       Wenig überraschend ist die Klage, wenn man weiß, dass Saure öfter gegen
       staatliche Institutionen auf Aktenherausgabe klagt, er hat auch ein
       Verfahren gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Gang
       gebracht. Im aktuellen Fall fordert der Springer-Mann vom
       Bundesnachrichtendienst (BND), er solle sämtliche Akten freigeben, die er
       über Adolf Eichmann, die treibende Kraft des Holocaust, angelegt hat.
       
       Der Geheimdienst hält bisher wichtige Dokumente zurück. Läge man sie vor,
       würde „dies dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten“, heißt [1][es in der
       Sperrerklärung des Bundeskanzleramts] aus dem Dezember 2010. Das Kanzleramt
       hat die Richtlinienkompetenz für den Nachrichtendienst.
       
       ## Über 600 Seiten geschwärzt
       
       Am Donnerstag entschied der siebte Senat des Bundesverwaltungsgerichts in
       Leipzig im Hauptsacheverfahren nun, Saure habe keinen Anspruch darauf, dass
       „ihm alle Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes über Adolf Eichmann
       ungeschwärzt zugänglich“ gemacht werden. Saure klagt nicht nur, weil ihm
       der BND lediglich ausgewählte Akten präsentiert hat, sondern auch, weil
       mehr als 600 der ihm vorliegenden Seiten Schwärzungen aufweisen.
       
       Die Richter halten es für zulässig, dass die Gegenseite sich auf das „Wohl
       des Bundes“ beruft, wie es in § 99, Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung
       festgeschrieben ist. Die vom Bundeskanzleramt „geltend gemachten
       Geheimhaltungsgründe“ seien „tragfähig“. Saures Anwalt Christoph Partsch
       sagte dagegen nach dem Urteil: „Wir sehen das Wohl der Bundesrepublik durch
       die Schwärzung der Unterlagen gefährdet und nicht durch die Offenlegung.“
       
       Im Laufe des Verfahrens hat Saure bisher rund 3250 Seiten bekommen - eine
       wilde Sammlung, die die Gegenseite peu à peu ergänzen musste, weil ein
       anderer Verwaltungsgerichtssenat in einem Zwischenverfahren entschieden
       hatte. Nachgereicht wurde unter anderem eine komplette Spiegel-Serie von
       1975. Das Porto hätte man besser anlegen können, denn um die lesen zu
       können, braucht niemand BND-Akten.
       
       ## Wie viel Zurückhaltung zeigt der BND?
       
       Wie viele Seiten der BND zurückhält, ist unklar, zumal der Geheimdienst
       unterschiedliche Angaben über Umfang und Inhalt des Aktenbestandes macht.
       Darauf verweist die Historikerin Bettina Stangneth, Autorin des Buchs
       „Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders“, in
       [2][einem Expertengutachten], das sie mit Blick auf die Verhandlung in
       Leipzig verfasst hat. Stangneth meint, konkret ließen sich die im laufenden
       Verfahren präsentierten Informationen „nicht in Einklang bringen“ mit einer
       Aktenauflistung, die Kanzleramtsminister Ronald Pofalla 2012 Jan Korte, dem
       Bundestagsabgeordnete der Linken, auf Nachfrage zuschickte.
       
       Die Eichmann-Expertin hat sich auch mit den Schwärzungen beschäftigt, die
       sie für „inkonsequent“ und oft wenig nachvollziehbar hält. Ursprünglich
       unkenntlich war gemacht war in den Saure zugegangenen Dokumenten etwa eine
       Passage, die, wie Stangneth es zusammenfasst, die Information enthält,
       „dass der Bundesnachrichtendienst in den Sechzigerjahren in der Lage war,
       Handschriften zu vergleichen“. Das dürften selbst jene, die sich nur am
       Rande fürs Spionagemilieu interessieren, kaum brisant finden.
       
       Gern brachte das Kanzleramt bisher auch vor, die Schwärzungen dienten dazu,
       Dritte zu schützen, die keine Personen der Zeitgeschichte seien. Keineswegs
       schützenswert in diesem Sinne ist Goebbels früherer Pressereferent Wilfred
       von Oven, der später für Spiegel und FAZ schrieb - dennoch war sein Name in
       einem Saure vorliegenden Dokument zunächst geschwärzt.
       
       ## Dilettantismus am Filzstift
       
       In einem anderen Dokument ist der Name Fritz Fialas unkenntlich gemacht.
       Der Journalist war einst ein publizistischer Helfershelfer Eichmanns, er
       dachte sich 1942 weitverbreitete Propaganda-Märchen vom schönen Leben im
       Konzentrationslager Auschwitz aus. Trotz Schwärzung geht aus der im Zuge
       des Verfahrens präsentierten Akte hervor, dass Fiala, später Redakteur der
       Saarbrücker Zeitung und Mitglied der Bundespressekonferenz, als Agent für
       den BND arbeitete. Dass der in dieser Sache eingesetzte Filzstiftkünstler
       des Geheimdienstes es versäumt hat, andere Hinweise unkenntlich zu machen,
       kann auf Dilettantismus hindeuten. Muss aber nicht.
       
       Ingesamt erwecken die Schwärzungen der Eindruck, der BND habe Saure und Co.
       mit Beschäftigungstherapie entnerven wollen. Stangneth konstatiert „eine
       missbräuchliche Verwendung von Verschlussbegründungen“. Mit jedem weiteren
       entsprechenden Nachweis „gerät die Schwärzungspraxis insgesamt unter
       Verdacht, (...) bestenfalls (...) nicht konsequent durchdacht zu sein“.
       
       All diese inhaltlichen Seltsamkeiten scheinen das Gericht bestenfalls
       nachrangig interessiert zu haben. „Es ist fragwürdig, dass die angeblichen
       Persönlichkeitsinteressen von ehemaligen NS-Größen hinter dem Interesse von
       Journalisten auf Auskunft zurückstehen müssen“, sagt Saures Anwalt Partsch.
       Er findet es „bedauerlich, dass der Aufarbeitung der Geschichte der jungen
       Bundesrepublik Steine in den Weg gelegt werden“.
       
       ## Bis in die jüngere Vergangenheit
       
       Natürlich drängt sich die Frage auf, welches Interesse ein Geheimdienst
       daran haben soll, Informationen über einen 1962 hingerichteten
       Menschheitsverbrecher zurückzuhalten. Abgesehen davon, dass nicht wenig
       dafür spricht, dass der in der Nachkriegszeit von alten Nazis durchsetzte
       BND in jener Zeit Berichte verfasste, die mindestens peinlich sind, greift
       die Frage zu kurz. In dem Verfahren geht es offenbar auch um Vorgänge, die
       in die jüngere bundesrepublikanische Vergangenheit hineinreichen.
       
       In der [3][vom Kanzleramt an Korte geschickten Tabelle] finden sich die
       Jahreszahlen 1987 und 1992. Die Zahl 1987 ist insofern interessant, als zu
       der Zeit in Paris der Prozess gegen den NS-Verbrecher Klaus Barbie alias
       Klaus Altmann stattfand - ein BND-Zuträger, wie man seit 2011 weiß. Die
       Verteidigung finanzierte und organisierte der Altnazi Francois Genoud, der,
       gemeinsam mit dem BND-Agenten Hans Rechenberg, dies ein Vierteljahrhundert
       vorher auch für Eichmann getan hatte. Auf diese Parallele hat Willi Winkler
       2011 in einem Buch über Genoud (“Der Schattenmann“) hingewiesen.
       
       Der bisherige Umgang des BND mit den Eichmann-Akten animiert durchaus zu
       verschwörungstheoretischen Gedankengängen. Der Geheimdienst könnte diese
       Spekulationen natürlich entkräften, indem er sämtliche Dokumente freigibt.
       Danach sieht es nach dem Leipziger Urteil nun erst einmal überhaupt nicht
       aus. Dass der BND die von Saure verlangten Akten mittelfristig komplett
       zugänglich machen muss, daran haben Experten wenig Zweifel. Partsch kündigt
       bereits an, man behalte sich „ausdrücklich vor, eine Beschwerde vor dem
       Bundesverfassungsgericht einzureichen“.
       
       Springers Leute dürften bei Bedarf wohl auch vor der übernächsten Instanz,
       dem Europäischen Gerichtshof, kaum zurückschrecken. Und spätestens dem
       dürften die Sorgen und Befindlichkeiten des Bundeskanzleramts herzlich egal
       sein.
       
       27 Jun 2013
       
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