# taz.de -- Roman über NS-Verbrecher in Argentinien: Der Nazi und das Mädchen
       
       > Roadtrip durch Argentinien in die dunkelste Vergangenheit der Deuschen:
       > In dem Roman „Wakolda“ begibt sich die Autorin Lucía Puenzo auf die Suche
       > nach Josef Mengele.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur idyllische Landschaft, auch Schauplatz von grausamen Experimenten: Argentinien
       
       Es ist alles drin. Ein Roadtrip durch Argentinien, die dunkelste
       Vergangenheit, die man sich für einen Deutschen vorstellen kann, und eine
       Flucht. Und dann ist da noch die Puppe mit dem Indianergesicht: Wakolda.
       Nach der hat die 35-jährige Schriftstellerin und Filmemacherin Lucía Puenzo
       auch ihren neuen Roman benannt.
       
       Bei der weiblichen Hauptfigur Lilith ist nicht ganz klar, ob sie ein
       unschuldiges zwölfjähriges Mädchen ist oder ob sie für die Komplizenschaft
       mit dem Bösen verurteilt werden kann. Der Böse, das ist José. Er
       experimentiert mit Kindern. Auch mit Lilith. Und das Mädchen mit dem Namen
       der geflügelten Dämonin ist einverstanden.
       
       Gleich im zweiten Satz zählt der fiktive Erzähler die Versuche des Arztes
       auf: Massensterilisationen, Eingriffe an lebenden Menschen, Injektionen, um
       die Augenfarbe zu verändern. Die Ahnung bestätigt sich, die Versuche enden
       meistens tödlich. Denn José ist die spanische Form für Josef. Bei der
       Romanfigur handelt es sich um den KZ-Arzt Josef Mengele.
       
       Mengele hat tatsächlich nach 1945 jahrelang ungestört unter seinem echten
       Namen in Lateinamerika gelebt, nachdem er in den Konzentrationslagern
       Zwillinge und Augen erforschte. Geschickt verknüpft Puenzo diese
       Informationen mit Legenden um den Nazi Mengele, der Reflexion dieser
       Legenden und etwas Fantasie.
       
       ## Auschwitz überlebt
       
       Die Autorin zeigt auf, wie unbehelligt die Verbrecher des
       Nationalsozialismus in ihrer Heimat Argentinien gelebt haben. Nur zweimal
       wird Mengele unruhig: einmal 1960, als der israelische Geheimdienst Mossad
       seinen Kollegen Adolf Eichmann in Buenos Aires aufgespürt hat, und einmal,
       als Nora Eldoc in Bariloche erscheint. Die Jüdin hat Auschwitz überlebt –
       das zweite Zusammentreffen mit Mengele überlebt sie damals tatsächlich
       nicht.
       
       Die Spannung funktioniert in Puenzos auf historischen Tatsachen beruhendem
       Roman, auch wenn sie häufig mit eher simplen Tricks à la „Wie hätte er
       ahnen können, dass er sie zwei Tage später in einer Gletscherspalte finden
       würde, unter dem Schnee begraben mit weit aufgerissenen Augen?“ konstruiert
       wird.
       
       „José“ machte sich also ein schönes Leben. Komplizen besorgen ihm die
       Materialien, die er für seine Forschung benötigt, und die Familie, der er
       sich anschließt, bleibt so naiv, dass der Leser stellvertretend für sie
       bangt, hofft und leidet. Doch wenigstens in der Welt der Romangeschichte
       soll er seine verdiente Strafe erhalten und nicht einfach nur an einem
       Schlaganfall beim Baden sterben, so wie der echte Mengele 1979 in
       Brasilien.
       
       ## Zu klein für ihr Alter
       
       Die Einzige, die ahnt, dass der Gast ihrer Familie auch Menschen als
       Forschungsmaterie behandelt, ist Lilith. Das Mädchen ist zu klein für ihr
       Alter. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Argentinier, trotzdem ist sie
       blond. All das weckt das Interesse des rassistischen Forschers, die
       Lolita-Konstellation ist perfekt. Pädophile Szenen werden angedeutet,
       bleiben aber in der Schwebe. Schließlich ist Lilith selbst neugierig auf
       den Fremden, der ihr verspricht zu wachsen und der ihre Puppe so
       professionell genäht hat.
       
       José durchschaut das Potenzial der scheinbar harmlosen Puppen und beginnt,
       perfekte Babykörper herzustellen. Diese symbolische Ebene erlaubt es
       Puenzo, Rassismus und Antisemitismus sehr drastisch zu thematisieren. Im
       Gegensatz zu den arischen Puppen aus der Massenproduktion hat Wakolda „grob
       geschnitzte Züge, kohleschwarze Augen, einen unangenehm stechenden Blick“.
       
       Später, als José schon längst mit den neu geborenen Geschwistern von Lilith
       experimentiert, ist es aber die einzige Puppe, die dem Mädchen Trost
       spendet. So widerlegt Wakolda ganz nebenbei die nationalsozialistischen
       Theorien. Aber das ist einer der subtileren Momente des Romans von Lucía
       Puenzo. An einer anderen Stelle erscheint José der Führer im Traum. Auf
       manch dramatisierende Effekte hätte die Autorin getrost verzichten können.
       
       ## Lucía Puenzo: „Wakolda“. Aus dem Spanischen übersetzt von Rike Bolte.
       Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012, 192 Seiten, 18,90 Euro, eBook: 13,99
       Euro.
       
       4 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Catarina von Wedemeyer
       
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