# taz.de -- Parteitag der Grünen: Programm Selbstvergewisserung 
       
       > Der Parteitag der Grünen war in weiten Teilen ein Selbstfindungsseminar.
       > Zu schmerzhaften Erkenntnissen dringt die Ökopartei nicht vor. 
       
 (IMG) Bild: Ein bisschen hölzern sehen die vier Top-Grünen noch aus
       
       BERLIN taz | Tarek Al-Wazir hat bereits 2008 das geniale Wort erfunden, das
       das Dilemma der Grünen wunderbar beschreibt. Ausschließeritis, so nannte
       der nüchterne Hesse damals eine politische Krankheit mit diversen
       Symptomen.
       
       Al-Wazir, Landes- und Fraktionschef in Wiesbaden, meinte die Neigung seiner
       Partei, Bündnisse mit anderen Parteien als der SPD kategorisch abzulehnen.
       Er fand das damals schon verrückt. Im Moment will Al-Wazir in Hessen in die
       Regierung, er spricht mit allen – mit den Sozialdemokraten, aber auch mit
       CDU und Linkspartei.
       
       Zwischendurch redet Al-Wazir seiner Partei ins Gewissen, mal wieder. Gut
       800 Delegierte der Grünen sitzen hinter Papierstapeln an langen Tischreihen
       im Berliner Velodrom. Von Freitag bis Sonntag diskutierte hier der
       Grünen-Parteitag, wohin die Partei nach dem 8,4-Prozent-Debakel steuern
       soll.
       
       „Eigenständigkeit muss man als Haltung vertreten“, rät Al-Wazir. „Das wird
       unser Job sein.“ Er illustriert das mit hübschen Anekdoten. Selbst der
       Hessen-CDU, in der heute noch der Geist Alfred Dreggers spukt, hätten seine
       Grünen zugestimmt, „wenn die mal aus Versehen etwas richtig machte“. Und
       bei manchen Sozialdemokraten setze bekanntlich das Hirn aus, sobald „Glück
       auf, der Steiger kommt“ gespielt werde.
       
       ## „Andere Koalitionsoptionen müssen grundsätzlich möglich sein“
       
       Eigenständig also. Die Grünen sind es leid, sich länger auf die dauerhaft
       schwächelnde SPD zu verlassen. 2005 scheiterten sie mit der Neuauflage von
       Rot-Grün, 2009 und 2013 ebenfalls.
       
       In Zukunft will sich die Ökopartei wieder eine „realistische Machtoption“
       erarbeiten, wie es der Bundesvorstand in seinem Leitantrag formulierte.
       „Andere Koalitionsoptionen müssen grundsätzlich möglich sein – sei es
       Rot-Grün-Rot oder Schwarz-Grün.“ Der Antrag wurde mit großer Mehrheit
       angenommen.
       
       Zurück in die Vergangenheit also. Denn so weit waren die Grünen schon
       einmal. 2009, nach dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb, verorteten sie sich auf
       ihrem Parteitag in Rostock als führende „Kraft der linken Mitte“; damals
       stellte Claudia Roth klar, es gebe keine „Koalitionsautomatismen“ mehr.
       Allerdings hielten sich die Grünen nicht daran. Sie führten auch dieses Mal
       wieder einen dezidierten Lagerwahlkampf, der andere Bündnisse faktisch
       unmöglich machte.
       
       Cem Ödzemir, der mit einem mäßigen Ergebnis als Vorsitzender bestätigt
       wurde, forderte dazu auf, an Rostock anzuknüpfen. Schließlich könne man
       sich nicht alle paar Jahre den Kopf darüber zerbrechen, ob man nun
       eigenständig sei oder nicht. Es gehe nicht um eine Chiffre für
       Schwarz-Grün, betonte Özdemir. „Eigenständigkeit bedeutet, dass sich die
       anderen an unseren Inhalten orientieren müssen.“
       
       Natürlich ist die Sache etwas komplizierter. Da wäre die naheliegende
       Frage, warum sich eine starke CDU an den Inhalten einer Kleinpartei
       orientieren sollte – und welche ihrer heiß geliebten Ideen die Grünen
       opfern würden, um bündnisfähig zu werden. Diese Überlegung wurde auf dem
       Parteitag nicht angestellt.
       
       ## Wichtigen Widerspruch angetippt
       
       Es blieb der Eindruck, dass die neu aufgefrischte Eigenständigkeit vor
       allem der grünen Selbstvergewisserung dient. Die verunsicherte Partei
       braucht etwas, an dem sie sich aufrichten kann. Der Parteitag glich in
       weiten Teilen einem kollektiven Selbstfindungsseminar, das zu den
       schmerzhaften Erkenntnissen noch nicht vordringen mochte.
       
       Ein wichtiger Widerspruch wurde zumindest angetippt. Sylvia Löhrmann,
       Nordrhein-Westfalens Schulministerin, stellte treffend fest, dass die
       allermeisten Grünen die gepriesene Eigenständigkeit in ihrem Sinne
       auslegten. Die einen suchen die Nähe der CDU, die anderen die der
       Linkspartei. Dahinter verbergen sich auch inhaltliche Differenzen. Während
       etwa die Baden-Württemberger Teile der Steuererhöhungen verzichtbar finden,
       mahnen andere Landesverbände die Finanzierung von Sozialpolitik an.
       
       Ob die Grünen ihren Kurs inhaltlich ändern, blieb auch nach diesen drei
       Tagen unklar. Eine Mehrheit lehnte einen Antrag ab, der als einziger offen
       dafür plädierte, das umstrittene Finanz- und Steuerkonzept zu ändern. Die
       Grünen tasten ihr Programm also nicht an, vorerst.
       
       20 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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