# taz.de -- Vergessene Künstlerinnen: Der „Blödsinn“ der Moderne
       
       > Blickt man auf die Künstlerinnen, dann hat die Ausstellung „Wien Berlin“
       > in der Berlinischen Galerie die besten Entdeckungen zu bieten.
       
 (IMG) Bild: Lotte Lasersteins „Im Gartenhaus“ und Jeanne Mammens „Revuegirls“.
       
       Man muss den Kopf mal nach rechts, mal nach links schief auf die Schulter
       legen, um alle Szenen und Textzeilen, die Erika Giovanna Klien in den
       „Skandalnachrichten“ ihres „Klessheimer Sendboten“ ineinander verschachtelt
       gezeichnet und geschrieben hat, lesen zu können. Da sieht man die junge
       Frau mit dem Bubikopf mit Stiften und Pinseln, die sie in einem Köcher auf
       dem Rücken trägt, gegen eine Phalanx von fünf Männer kämpfend, die
       zunehmend blasser und blasser gezeichnet sind. Sie halten an einem
       Riesenbleistift fest, den sie wie einen Speer gegen die Künstlerin richten.
       
       Eine Zeichnung weiter oben brüllen diese Männer „Blödsinn“, „Dreck“ und
       „Schwindel“, weil das Fräulein Erika Giovanna Klien einen Akt mit
       kubistischer Aufsplitterung der Formen gezeichnet hat. Ganz unten sieht man
       sie ein drittes Mal, diesmal verliebt einen jungen Mann umarmend – die
       Szene ist aus der Senkrechten in die Waagerechte gerutscht und wird vom
       Streit darüber ganz platt gequetscht.
       
       Mitte der zwanziger Jahre entstanden die Blätter des „Klessheimer
       Sendboten“, als die junge Künstlerin (geboren 1900) Wien verlassen musste,
       um als Kunstpädagogin in Klessheim Geld zu verdienen, an einer Schule für
       Ausdruckstanz. Anekdotisch und pointenreich schildert sie ihren Alltag, das
       Vermissen der Stadt und der Freunde. Hühner stolzieren durchs „Kleesheimer
       Amusement“, sie hört Jazzkappellen und träumt von Amerika. Die Aufteilung
       der Blätter und ihre grafische Dynamik nutzen Formmittel der Avantgarde, um
       ganz konkrete Inhalte zu transportieren. 1929 ging Klien tatsächlich an
       Amerika.
       
       Klien ist nicht einmal in Österreich mehr bekannt und in Deutschland schon
       gar nicht. Deshalb gehört sie zu den schönen Entdeckungen, die in der
       Ausstellung „Wien Berlin. Kunst zweier Metropolen. Von Schiele bis Grosz“
       zu machen sind.
       
       ## Jenseits der big names
       
       Deren erste Station ist jetzt die Berlinische Galerie in Berlin, die zweite
       wird das Belvedere in Wien sein. Kuratoren beider Museen haben nach Punkten
       der Vergleichbarkeit und der Unterschiede gesucht. Den Ausgangspunkt bilden
       die Secessionen, programmatische Künstlervereinigungen, deren berühmteste
       Protagonisten in Wien Gustav Klimt und Carl Moll und in Berlin Max
       Liebermann waren. Doch gerade jenseits der big names wird die Ausstellung
       spannend.
       
       So wird Klien in einem Raum mit der Berliner Dadaistin Hannah Höch, deren
       Werk ein Herzstück der Sammlung der Berlinischen Galerie bildet, und der
       Fotografin Friedl Dicker präsentiert. Dicker, 1898 in Wien geboren,
       Schülerin von Johannes Itten und Studentin am Bauhaus Weimar, brachte ab
       1925 zusammen mit dem Architekten Franz Singer die Bauhausmoderne nach
       Wien. Sie richteten einen Montessori-Kindergarten ein, bauten einen
       Tennisklub und statteten ein Haus von Adolf Loos aus. In den dreißiger
       Jahren war Dicker in der kommunistischen Partei engagiert; aus der Zeit
       stammen ihre an John Heartfield erinnernden Fotocollagen, agitatorische
       Schaubilder über Verelendung und Ausbeutung.
       
       ## Verfolgung und Emigration
       
       Man begegnet Dicker noch einmal in der Ausstellung, in einem
       Schlusskapitel. „Verhör“ heißt ein Ölbild, 1934 entstanden, das
       Schreibmaschine und tippende Finger als einzigen Gegenstand scharf stellt,
       während der Verhörende grimassierend und totenkopfähnlich schmutzfarben
       verschwimmt. Dicker war tatsächlich 1933 inhaftiert und verhört worden und
       konnte nach Prag fliehen. Im Jahr 1942 wurde sie nach Theresienstadt
       deportiert und im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.
       
       Ihr „Verhör“ hängt neben einem großen Panoramabild von Lotte Laserstein,
       einer Berliner Malerin der Neuen Sachlichkeit, die 1935 Berufsverbot
       erhielt, weil sie Jüdin war. Ihr „Abend über Potsdam“ zeigt eine
       Gesellschaft junger Leute, die auf einer Dachterrasse diniert haben und nun
       in seltsamer Melancholie und Vereinzelung versunken sind. Man denkt
       vielleicht an den Überdruss einer jungen Boheme und an Weltschmerz.
       Tatsächlich gibt es viel konkrete Gründe der Traurigkeit, jeder der
       Dargestellten musste später emigrieren.
       
       ## Kakteen gegen Orchideen
       
       So liegen die Referenzpunkte der Zusammenstellung von Wiener und Berliner
       Künstlern oft in der Geschichte und der Politik begründet, wie in der
       Ausbreitung des Faschismus. Manchmal sind es aber auch formale Details, die
       das Nebeneinander unterhaltsam und spannend gestalten. So an einer Wand,
       die Porträts der in Berlin arbeitenden Maler Christian Schad, Rudolf
       Schlichter und Georg Grosz neben Porträts und Stillleben der Österreicher
       Rudolf Wacker und Sergius Pauser stellt. Der Häufung von Kakteen auf
       österreichischer Seite stehen Orchideen in den Berliner Bildnissen
       gegenüber.
       
       Ein pittoresker und doch sprechender Zufall, nimmt doch die Welt der
       Gegenstände bei den Malern der Neuen Sachlichkeit eine bedeutungstragende
       Rolle ein. Asketischer Kaktus oder glühende Orchidee, sie scheinen jeweils
       programmatisch für den Lebensentwurf der Dargestellten.
       
       Eine Porträtgalerie mit Zeichnungen von Emil Orlik und Benedikt Fred Doblin
       gilt den Theaterleuten, wie den Schauspielstars Tilla Durieux, Elisabeth
       Bergner und Peter Lorre, oder den Regisseuren Max Reinhardt und Fritz
       Kortner, die alle aus Österreich stammend an der Theatermoderne in Berlin
       und München großen Anteil hatten. Lebhaft war der Austausch zwischen
       Künstlern aus Wien und Berlin, aber während er in der Geschichte von
       Literatur, Theater und Musik vielfach Thema wurde, haben die
       Kunstgeschichte Vergleiche bisher wenig interessiert.
       
       Sieht man nun erstmals Grafiken des Wieners Wilhelm Träger, der
       Kriegsknüppel auf der Straße, Ganoven und Neureiche im Cafehaus in Linol
       geschnitten hat, denkt man gleich an Georg Grosz und Otto Dix, die die
       Position der Gesellschaftskritik mit einem großen und bekannten Werk
       besetzen. Ein Werk aus Wien aber lässt noch einmal aufscheinen, wie neu das
       verdichtete Nebeneinander der sozialen Gegensätze im Bild eigentlich war.
       Ins Milieu der Verarmten und Obdachlosen hinabzutauchen, inszenierte der
       Richter und Amateurfotograf Hermann Drawes aus Wien zusammen mit dem
       Journalisten Emil Kläger als gewagte Exkursion.
       
       ## Verkleidet ins Milieu
       
       Als Obdachlose verkleidet hatten sie Touren durch Wärmestuben und zu
       Schlafplätzen in der Kanalisation und in Ziegeleien unternommen, teils auch
       Szenen nachgestellt, etwa von einer Messerstecherei. Mit handcolorierten
       Dias hielten sie 1905 zum ersten Mal ihren Lichtbildvortrag „Durch die
       Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens“ vor einem illustren und sicher
       auch voyeuristischen Publikum. Der Vortrag wurde ein Kassenschlager,
       300-mal in drei Jahren gehalten. Dabei lassen die Bilder viel weniger
       Anteilnahme und Leidenschaft erkennen, als etwa die Werke von Käthe
       Kollwitz und Heinrich Zille aus Berlin, die heute als Wegmarken politisch
       engagierter Kunst gelten.
       
       Für beide Museen, die Berlinische Galerie und das Belvedere, ist die
       Ausstellung ein willkommener Anlass, den Kontext der Entstehung der Moderne
       wieder einmal auszuleuchten und über bisher nicht so bekannte Protagonisten
       Geschichten der Emanzipation zu erzählen. Etwas blass bleiben dabei
       allerdings die Positionen gerade der bekanntesten Künstler aus Wien, des
       Malerfürsten Gustav Klimt und der expressionistischen Schmerzensgestalt von
       Egon Schiele. In Wien mag das ob ihrer Präsenz dort nicht ins Gewicht
       fallen, in Berlin hätte man schon gern ein paar fettere Werke von ihnen
       gesehen.
       
       8 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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