# taz.de -- Die Berliner Künstlerin Jeanne Mammen: Keine Freundlichkeit in dieser Welt
       
       > Girls, Bars, Mode: Mit diesen Sujets wurde Jeanne Mammen wiederentdeckt.
       > Ihr Werk umfasst mehr, das zeigt eine Retrospektive in Berlin.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus einer Fotografie von K. L. Haenchen, Jeanne Mammen in ihrem Atelier in Berlin, um 1946-1947
       
       Es war ein Geschenk für einen Freund. 1928, nach der Uraufführung der
       „Dreigroschenoper“ in Berlin, hielt Jeanne Mammen die Protagonisten in
       einem Aquarell fest: Der feuerrote Haarschopf der berühmten Kabarettistin
       Rosa Valetti als Mrs. Peachum leuchtet rechts, in der Mitte lehnt Lotte
       Lenya als Seeräuber-Jenny, das Gesicht ein einziges Grinsen, schräg an
       einer Drehorgel, links schleicht sich Mackie Messer davon, schmal und
       dunkel wie die Bühnennacht.
       
       Mammen schenkte das Blatt mit den Brecht-Stars dem Bildhauer Hans Uhlmann.
       In dessen Nachlass hat es die Kunsthistorikerin Annelie Lütgens entdeckt,
       als sie die große Jeanne-Mammen-Retrospektive für die Berlinische Galerie
       vorbereitete. Nun ist das Aquarell dort erstmals ausgestellt und im Katalog
       publiziert. Ein Geschenk für jeden, der Jeanne Mammen liebt.
       
       Ihre Aquarelle und Zeichnungen prägen inzwischen das Bild der zwanziger und
       dreißige Jahre in Berlin fast in einem ähnlichen Ausmaß wie die von George
       Grosz und Otto Dix. Dabei wurde sie, die noch bis 1976 lebte, erst nach
       ihrem Tod wieder wahrgenommen. Vor allem Kunsthistorikerinnen stießen auf
       sie bei der Suche nach vergessenen Künstlerinnen; ihr Fokus auf das Bild
       junger Frauen machte sie zudem zu einer wichtigen Zeugin für die Geschichte
       der Emanzipation und für die Wiederentdeckung des lesbischen Milieus in der
       jungen Großstadt Berlin. In vielen Themenausstellungen war Mammen deshalb
       seitdem dabei.
       
       ## Jung, mondän, emanzipiert und elegant
       
       Die Retrospektive der Kuratorin Annelie Lütgens aber erweitert den Blick
       auch auf die Malerin der Nachkriegszeit, die, abgestoßen von den neuen
       ideologischen Debatten des Kalten Krieges, wieder einmal sehr zurückgezogen
       lebte und arbeitete. Viele Werke der Ausstellung kommen aus Privatbesitz.
       
       Jeanne Mammen, 1890 in Berlin geboren, wuchs in Paris auf, wo ihr Vater
       Teilhaber einer Glasbläserei wurde. Sie studierte Kunst an Privatschulen
       und Akademien in Paris, Brüssel und Rom. Als ihre Familie mit Beginn des
       Ersten Weltkriegs Frankreich verlassen musste, verlor sie ihr Vermögen.
       Berlin, ihren Fluchtpunkt, erlebte Jeanne Mammen als abweisend. In einer
       kurzen Lebensskizze, 1974 von ihr mit über 80 Jahren geschrieben, tauchen
       Hunger, Lebensmittelkarten, Materialknappheit wie ein Refrain auf.
       
       Diese existenzielle Härte ist oft der Grundton ihrer Zeichnungen. Ihre
       Protagonistinnen sind jung, mondän, modern, emanzipiert, elegant, nicht nur
       in den Modezeichnungen – aber selbst dort wirken sie nie, als wäre das
       Leben eine einfache Angelegenheit. Erotik und Begehren sind bei ihr nie
       weit von einem Markt mit grausamen Konditionen entfernt.
       
       ## Im Würgegriff
       
       In Paarszenen von Mann und Frau ist das Verhältnis gespannt, bedrückt. In
       dem Aquarell „Ausweg“ (um 1930) führt der ältere Mann im Mantel die junge
       Frau im Badekostüm wie ein Schmuckstück aus, ihre missmutigen Mienen nehmen
       sich nichts. Auf dem Blatt „An der Wiege“ legen er und sie je eine Hand auf
       das Kinderbett wie auf ihren neuesten Besitz, doch die zweite Hand des
       Vaters ruht schwer auf ihrer Schulter, es ist ein Ansatz zum Würgegriff.
       
       Die Härte ihres Strichs, konkret mit dem Bleistift und metaphorisch, zeigt
       sich in einer Reihe von Bleistift-Porträts, von denen es Hunderte gibt.
       Stellt man sich die Bewegung des Zeichnens vor, denkt man sich die Striche
       kurz, entschieden, aggressiv. Der analytische Blick der Zeichnerin trifft
       die Mitglieder eines Aktzeichenkurses, den Mammen besuchte, vor allem an
       den Teilnehmern als Modellen ist sie interessiert. So entsteht eine Serie
       von Gesichtern, angespannt, grüblerisch, misstrauisch.
       
       Es ist keine Freundlichkeit in der Welt, wie Mammen sie protokolliert. Die
       Zeichnungen waren Übungen, einzelne Figuren tauchen in den selteneren
       Ölbildern, auch von sozialkritischen Szenen, wieder auf. Aber die vielen
       Blätter haben auch etwas von ständiger Auseinandersetzung mit der sozialen
       Umgebung und sie sich auf Abstandhalten zugleich.
       
       ## Rückzugsort Atelier
       
       Mit Modezeichnungen und Illustrationen verdiente Jeanne Mammen ihren
       Lebensunterhalt und sie war mit ihren freien Arbeiten als Künstlerin
       erfolgreich, bis mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten die
       Zeitschriften, die ihre Auftraggeber waren, ihr Erscheinen einstellten. Mit
       Hans Uhlmann verkaufte sie Bücher auf einem Handkarren. 1932 war sie mit
       ihm nach Moskau gereist. Ausgestellt ist die Deutsche Zentralzeitung, eine
       deutsche Ausgabe der Prawda, für die Mammen nach der Reise Szenen aus dem
       Leben von Arbeitslosen in Deutschland illustriert hatte.
       
       Vom öffentlichen Kunstbetrieb ausgeschlossen, arbeitete Jeanne Mammen
       gleichwohl weiter, setzte sich mit Picassos „Guernica“ auseinander. Ihr
       Malstil veränderte sich, er ging durch eine Picasso-Rezeptionsphase.
       Bildflächen verschließen sich; abstrakte Formen vereinzeln sich zu
       Chiffren. Überall scheint der Ausdruck zusammengepresst, das noch Sagbare
       auf dünne Fragmente beschränkt.
       
       Großartig ist in der Ausstellung eine Gruppe von Skulpturen aus Gips,
       Wellpappe und Ton, die maskenähnlich bemalt sind und stilistisch Vor- und
       Nachkriegsmoderne verbinden. Das Erstaunlichste aber ist, wo und wie sie
       entstanden sind: in ihrem ausgebombten Atelier am Ku’damm, ohne Strom, ohne
       Licht, ohne Fenster hat Mammen daran gearbeitet.
       
       ## Sich gegen die Zuordnungen wehren
       
       Sich mit der Kunst am Leben festzuhalten, das ist das eine Element des
       Widerständigen in diesen Arbeiten aus den Kriegs- und unmittelbaren
       Nachkriegsjahren. Sich gegen die Ideologisierung der Kunst im Streit von
       Figuration gegen Abstraktion zu wehren, sich den Zuordnungen zu entziehen,
       die den vermeintlich im Gegenständlichen gefesselten Osten gegen den zum
       Ungegenständlichen befreiten Westen ausspielen, ist eine weitere Form des
       Beharrens auf dem Eigenen im Werk von Jeanne Mammen.
       
       Annelie Lütgens hat in einem großen Raum ihr Spätwerk ausgebreitet, als die
       Malerin schon siebzig, achtzig Jahre alt war. Es gibt Bilder, die erzählen
       vom Zweifel am Malen, an der Kommunikationsfähigkeit der Kunst. Symbole
       sind durchgestrichen, anderes scheint weggedrückt unter den Oberflächen.
       Man weiß von ihr, dass sie viele der eigenen Bilder wieder vernichtet hat,
       nicht überzeugt von ihrer Aussagefähigkeit. Die Bilder, die blieben,
       bezeugen diesen Kampf zwischen Formwerden und Rückzug.
       
       Dann wieder experimentiert sie mit den Oberflächen, arbeitete glänzende
       Staniolpapierchen (von Süßigkeiten) ein und schwarze Pappkäfer. Einerseits
       gibt es eine Freude am Trivialen und Spielerischen in diesen Bildern,
       andererseits ein Öffnen des Raums ins Universale und Kosmische. Das hätte
       sie mit anderen Künstlern der sechziger/siebziger Jahre verbinden können –
       aber ihr Spätwerk wurde kaum noch ausgestellt. Es ist auch ein Zeugnis
       einer großen Einsamkeit.
       
       12 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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