# taz.de -- Kritischer Polizist über Hamburg: „Das ist irre“
       
       > Thomas Wüppesahl kritisiert die Hamburger Polizei für ihre Strategie der
       > Härte. Mit politischer Rückendeckung agiere sie gegen das Gesetz und lüge
       > systematisch.
       
 (IMG) Bild: „Strategie der Härte“: 21. Dezember 2013 in Hamburg.
       
       Herr Wüppesahl, in der [1][Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft
       Kritischer Polizistinnen und Polizisten] zu den Vorgängen um die
       verhinderte Demonstration vor der Roten Flora sprechen Sie von einem
       Desaster für Polizei und Rechtsstaat. Wieso? 
       
       Thomas Wüppesahl: Für die Polizei ist es ein Desaster, weil sie es nicht
       geschafft hat, für Recht und Ordnung zu sorgen – auch in den eigenen
       Reihen. Der Einsatz hat zu Ergebnissen geführt, die es nicht zulassen, ihn
       als erfolgreich zu bezeichnen. Das sieht man an den Verletztenzahlen auf
       beiden Seiten, den psychischen Folgen für die Betroffenen und der Anzahl
       der Sachbeschädigungen. Das rechtsstaatliche Desaster sehen wir jetzt: Die
       Extensität, mit der die Gefahrenzone ausgesprochen ist, lässt einen kaum
       noch glauben, dass es sich um die Bundesrepublik handelt, in der ich 1971
       Polizist geworden bin. Diese Zone ist rechts- und verfassungswidrig
       erklärt.
       
       Sie waren am Montag auf der Sondersitzung des Hamburger Innenausschusses.
       Beginnt jetzt eine politische Aufarbeitung? 
       
       Dort wurde das Desaster des Rechtsstaates fortgesetzt. Innensenator Michael
       Neumann (SPD) hat zum Stichwort Gefahrenzone zweimal gesagt, Gesetze seien
       dazu da, Freiheitsrechte einzuschränken. Das sagt der
       Landesverfassungsminister! Das ist staatsrechtlich gravierender Unsinn.
       Schockierend war auch der der Auftritt von Peter Born, Gesamteinsatzleiter
       am 21. Dezember. Er sprach von 168 verletzten Beamten, ohne die verletzten
       Demonstranten auch nur zu erwähnen. Erst auf Nachfrage sagte er, bekannt
       seien ihm zwei. Das ist nur noch absurd. Ich weiß von einem Arzt, dass die
       Polizei in die Krankenhäuser gefahren ist, um Mitarbeiter unter Druck zu
       setzen, nichts über die Verletzten und ihre Wahrnehmung des Geschehens
       mitzuteilen. Dabei waren die Verletzungen der Demonstranten deutlich
       gravierender als die der Polizisten. Und der Innensenator stellt sich
       grundsätzlich hinter diese Vorgehensweisen der Polizei.
       
       Wie haben Sie die Ereignisse vor der Roten Flora wahrgenommen? 
       
       Bevor das Spektakel losging, habe ich ein Gespräch von zwei Einsatzführern
       aus Niedersachen gehört. Die Anweisung für den Einsatz war ganz klar: Die
       marschieren hier nicht weg. Und wer polizeiliche Einsatztaktiken kennt, die
       aufgefahrenen Gerätschaften gesehen hat und weiß, dass die Hälfte aller
       eingesetzten Kräfte am Aufmarschpunkt gestanden haben, dem ist klar, die
       Route war zu. Die Versammlung sollte nie stattfinden und wurde von der
       Polizei gezielt gewalttätig gemacht. Dafür wurden Polizisten vollkommen
       verantwortungslos da reingejagt. Später habe ich dann gesehen, wie eine
       junge Kollegin aus Niedersachsen bitterlich weinte. Auf Nachfrage sagte sie
       mir, dass sie sich schämt. Wohlgemerkt für das Agieren der Kollegen.
       
       Die Behauptungen der Polizei, sie sei noch vor dem Start der Demonstration
       von einer Brücke mit Steinen beworfen worden, wird in Ihrer
       Pressemitteilung als Lüge bezeichnet und ist auch längst widerlegt. Wie
       wird das „Aufstoppen“ der Demo kurz nach ihrem Start jetzt gerechtfertigt? 
       
       Peter Born hat im Innenausschuss darauf hingewiesen, dass mindestens 400
       bis 500 Demonstranten vermummt waren. Damit hat er das Recht, die
       Versammlung zu untersagen – rein rechtlich gesehen. Ich erinnere mich noch
       an die Schlussberatungen des Innenausschusses über das Gesetz zum
       Vermummungsverbot im Jahr 1985. Burkhard Hirsch und Gerhart Baum (beide
       FDP) sind damals rausgegangen, haben an der Abstimmung nicht teilgenommen.
       Heute wird darüber gar nicht mehr diskutiert. Vermummt dürfen bei solchen
       Veranstaltungen nur noch die Polizisten herumlaufen. Entscheidend bleibt,
       dass die Polizei Hamburg das verbriefte Recht von mindestens 8.000 zum
       Demonstrieren gekommenen Mitbürgern verhindert hat.
       
       Wieso verbreiten die Polizei-Pressestellen Informationen, die
       offensichtlich falsch sind und, wenn sie auffliegen, negativ auf sie
       zurückfallen? 
       
       Der wesentliche Grund ist, dass die Politik das alles mitträgt. Michael
       Neumann hat im Innenausschuss noch einmal wiederholt, dass er alle
       Maßnahmen richtig findet und davon auch zukünftig nicht abrücken wird. Mit
       dieser Rückendeckung ist es der Polizei möglich, Stimmungen zu erzeugen,
       die ihr dienlich sind. Die Politik hat der Polizeiführung die Zeit gegeben,
       sich in aller Ruhe zu sortieren und sich erst jetzt, über zwei Wochen nach
       den Ereignissen, erstmals damit beschäftigt.
       
       Ein von der Polizei vermeldeter Angriff auf die Davidwache am Abend des 28.
       Dezember [2][hat so vermutlich nie stattgefunden.] Auch die Umstände, die
       zu einer schweren Verletzung eines Polizeibeamten geführt haben, sind nicht
       so klar, wie es die Polizei zunächst hat erscheinen lassen. Ein Versehen? 
       
       So etwas passiert doch nicht aus Versehen, so blöd ist kein Polizist. Fast
       keiner. Das wird gemacht, weil man hofft, darüber die halbe Stadt in
       Aufregung zu versetzen, einen Mitleidseffekt zu erzeugen und über
       „Stimmungen“ neue Tatsachen zu schaffen. Das hat ja geklappt. Vor allem die
       Mainstream-Medien haben hier einen wichtigen Beitrag im Sinne der Polizei
       geleistet. Falscher Tatort, falsche Sachverhaltsdarstellung in einer
       Pressemitteilung der Polizei, 13 Stunden nach der Tat. Undenkbar.
       Eigentlich.
       
       Stellt Hamburg einen Sonderfall für das Handeln von Politik und Polizei
       dar? 
       
       Ja. Hamburg befindet sich insofern in einer Sondersituation, als dass 2001
       alle relevanten Schaltstellen bei der Polizei in kürzester Zeit mit
       Schill-Indianern neu besetzt wurden. Und die sind da immer noch, daran hat
       weder die schwarz-grüne Regierung noch die jetzt alleinregierende SPD etwas
       geändert. Die Polizei macht in dieser Stadt die Innenpolitik und ein
       Senator Neumann ist vollkommen überfordert.
       
       Glauben die Verantwortlichen in der Polizeiführung, dass ihre Strategie der
       Härte letztlich zum Erfolg führt? 
       
       Ja, das glauben die, aber das wird krachend in die Hose gehen. Denn die
       Stimmung heizt sich im Moment immer weiter auf. Es gibt einfach ungelöste
       gesellschaftliche Konflikte. Doch Neumann streitet ab, dass die Konflikte
       um die Rote Flora, die Esso-Häuser und die Lampedusa-Flüchtlinge überhaupt
       politische Fragen sind. Für ihn sind alle diese Punkte bereits geklärt,
       dass hat er im Innenausschuss gesagt. Das ist irre.
       
       Was wäre notwendig, um die Lage in Hamburg zu beruhigen? 
       
       Es muss ordentliche Politik gemacht werden. Beim Konflikt um die
       Hafenstraße in den 1980er Jahren flossen letztlich Millionen in die
       Bestandsicherung der Häuser. Das war wirtschaftlich völlig unsinnig, von
       der Gesamtbilanzierung jedoch viel günstiger, als wenn man dort weiter die
       Schlachten ausgetragen hätte. Die gesellschaftliche Befriedigung hat einen
       immateriellen Wert. So ein Klima könnte man auch jetzt wieder für die Rote
       Flora herstellen.
       
       Wie reagiert der Polizeiapparat auf die Kritik der Kritischen Polizisten? 
       
       Zu Zeiten der umkämpften Hafenstraße gab es eine Anzeige, die für den
       Erhalt der Häuser warb. Auch einige unserer Mitglieder hatten
       unterschrieben. Diese Anzeigen mit den rot unterstrichenen Namen hingen
       anschließend in sehr vielen Dienststellen. Den Kollegen wurde das bis zu
       ihrer Pension nachgetragen. Aktuell kriegen wir Rückmeldungen, dass über
       unsere Stellungnahme eine wilde Hatz betrieben wird. So ist die Stimmung.
       Auch durch die Falschmeldungen sind viele innerhalb der Hamburger Polizei
       aufgeheizt. Andererseits melden sich auch Kollegen, die froh sind, dass es
       uns gibt und sich bedanken.
       
       7 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.kritische-polizisten.de/pressemitteilungen/dokumente/2014-01-05-PM-Rote-Flora.pdf
 (DIR) [2] /Hamburger-Polizei-korrigiert-sich/!130515/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
       
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