# taz.de -- 100 Tage Große Koalition: Geht das gut?
       
       > Merkel wägt gerne ab, ist vorsichtig und nüchtern. Gabriel prescht gerne
       > vor, ist impulsiv und emotional. Trotz allem haben sie einiges gemeinsam.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsam gebannt: Gabriel (l.) und Merkel
       
       BERLIN taz | Wenn das ungleiche Duo Merkel und Gabriel fremdelt, kann die
       Regierung wackeln. Ein Kompatibilitäts-Check.
       
       ## Erfolge
       
       Wenn man die Edathy-Affäre einmal beiseite lässt, hat die SPD bisher einen
       Lauf in der Koalition: Rente mit 63, Mindestlohn, Mietpreisbremse – die
       Sozialdemokraten haken ein Herzensanliegen nach dem anderen ab. Das nutzt
       Sigmar Gabriel. Er braucht schnelle Erfolge, weil er seine zu
       Selbstzweifeln neigende Partei mit dem Regieren versöhnen muss. Sein
       Projekt für die ersten ein, zwei Jahre heißt deshalb Konsolidierung. Dann
       wird es spannender (siehe 2017), weil ein langer, langer Wahlkampf beginnt.
       
       Und Merkel? Die Kanzlerin ist in der Krimkrise froh, mit Frank-Walter
       Steinmeier einen Außenminister zu haben, der genauso vorsichtig agiert wie
       sie. In der Europapolitik, ihrem wichtigsten Spielfeld, wird ihr die SPD
       kaum dazwischenfunken. Und innenpolitisch macht sie einfach weiter wie
       bisher.
       
       Man wird ja den Eindruck nicht los, dass die CDU selbst nicht so genau
       weiß, was sie in dieser Koalition eigentlich will – außer Mütterrenten
       anheben. Aber das ist aus Merkels Sicht völlig okay. Die zufriedenen
       Deutschen haben sie ja vor allem dafür gewählt, damit alles so bleibt, wie
       es ist.
       
       ## Misstrauen
       
       Tja, da wäre die legendäre SMS. Als Angela Merkel im Juni 2010 nach einem
       neuen Bundespräsidenten suchte, simste Gabriel ihr den Vorschlag von SPD
       und Grünen: Joachim Gauck. „Danke fuer die info und herzliche grüße am“,
       antwortete Merkel. Streng vertraulich, natürlich. Ein banaler Satz – aber
       ein enormer Vertrauensbruch.
       
       Denn beide Nachrichten konnte Merkel wenig später im Wortlaut im Spiegel
       nachlesen. Die unterkühlte Merkel soll wegen der Indiskretion geschäumt
       haben, das Kanzleramt brach wochenlang jeden Kontakt zu Gabriel ab. Dass
       SPD und Grüne ihren Coup lautstark genossen, machte die Sache nicht besser.
       
       Für das Verhältnis von Merkel und Gabriel war das verheerend. Wer quatscht,
       ist raus, lautet die eiserne Regel von Merkel-Vertrauten. Diese alte SMS
       ist auch der wichtigste Grund dafür, dass Christdemokraten Gabriel in der
       Edathy-Affäre reflexhaft „Geschwätzigkeit“ vorwarfen, obwohl seine Motive
       für die Infoweitergabe an zwei SPD-Vertraute sehr nachvollziehbar waren.
       Aber so ist das eben mit Vertrauen: schnell kaputt, schwer
       wiederherzustellen.
       
       ## Vertrauen
       
       Allerdings darf man die Anekdote nicht überinterpretieren. Merkel und
       Gabriel arbeiteten schon in der Großen Koalition bis 2009 gut zusammen, da
       war Gabriel noch Umweltminister. Beide stellen Befindlichkeiten hinter das
       Geschäft zurück, beide wissen, dass der Erfolg des aktuellen Bündnisses an
       ihnen hängt. Und beide haben kein Interesse, als gescheiterte
       GroKo-Architekten dazustehen.
       
       Es gibt einige Belege dafür, dass die Vertrauensbasis trägt. Oktober 2013,
       ein SPD-Konvent empfiehlt, Verhandlungen über die Große Koalition
       aufzunehmen. Der Konvent beschließt ein Papier mit zehn Punkten, die die
       SPD unbedingt erreichen will. Eine Liste mit Bedingungen. Diese Punkte
       hatte Gabriel mit Merkel und Seehofer zuvor in den Sondierungen
       angesprochen. Er ging mit dem Gefühl heraus, dass beide ihm diese Erfolge
       lassen würden. Die inoffizielle Absprache überlebte die wochenlangen, zähen
       Verhandlungen, die zehn Punkte finden sich kaum abgeschwächt im
       Koalitionsvertrag.
       
       Merkel und Gabriel respektieren einen rheinländischen Grundsatz für
       Partnerschaften – „Man muss gönnen können.“ Die SPD durfte ihren Sieg beim
       Mindestlohn feiern, ohne dass CDUler meckerten. Umgekehrt nimmt kein
       wichtiger Sozialdemokrat mehr das Wort „Steuererhöhungen“ in den Mund.
       
       Man mag das für selbstverständlich halten. Aber die Zeit der
       Wildsau-Gurken-Koalition aus Union und FDP ist noch nicht lange her.
       
       ## Selbstbeherrschung
       
       Die Kanzlerin ist kontrolliert bis in die Fingerspitzen, das ist bekannt.
       Ein Beleg für ihre unfassbare Selbstbeherrschung findet sich auf YouTube
       (Stichwort „Bierdusche“ eintippen).
       
       Merkel besucht den Politischen Aschermittwoch in Demmin. Ein Kellner tritt
       von hinten an sie heran, beugt sich vor und stellt ein Bier vor ihr ab.
       Dabei kippt er leider auch das Tablett in seiner linken Hand. Fünf
       Pilsgläser geraten ins Rutschen und ergießen ihren Inhalt auf den Rücken
       der Kanzlerin. Merkel streicht sich mit einer beiläufigen Handbewegung das
       Haar zurück, und wendet sich ihrem Nachbarn zu.
       
       Eineinhalb Liter kaltes Pils im Kreuz? Pffft, mir doch egal. Prost.
       
       Gabriel ist das charakterliche Gegenstück zu Merkel. Er entscheidet
       emotional, schnell, aus dem Bauch heraus. Man will lieber nicht der Kellner
       sein, der ihm fünf Pils in den Hemdkragen kippt. Als Peer Steinbrück im
       Wahlkampf nicht so performte, wie Gabriel wollte, performte er eben selbst
       – am Spitzenkandidaten vorbei. Das vergeigte Teamspiel war ein Grund für
       die verlorene Wahl.
       
       Das bleibt Gabriels große Aufgabe: staatsmännische Stetigkeit. Merkel ist
       hier klar im Vorteil.
       
       ## Journalisten
       
       Finden Merkel oft ziemlich toll. Die Frage ist, ob es irgendwann bis 2017
       Ermüdungserscheinungen im medialen Merkel-Fanclub gibt. Dann wäre ihre
       Zögerlichkeit plötzlich nicht mehr cool und besonnen, sondern nur noch
       langweilig.
       
       Gabriels Verhältnis zur Presse ist, sagen wir: optimierbar. Er begreift
       Pressekonferenzen als Machtspielchen, mustert Journalisten wie lästige
       Insekten, antwortet kurz und brüsk. Gabriel hat nicht vergessen, wie ihn
       Zeitungen als „Siggi Pop“ verhöhnten, als er mal kurze Zeit
       Pop-Beauftragter der SPD war.
       
       Merkel ist deutlich gelassener im Umgang mit Medien – noch ein Plus für
       sie.
       
       ## Humor
       
       Haben beide. Aber: Bei Merkel ist er nicht zu übersehen, bei Gabriel schon.
       Die Kanzlerin ist immun gegen die größte Versuchung der Macht, die
       Eitelkeit. Wenn sich neben ihr ein Staatschef aufgockelt, wirkt sie stets
       so, als zucke sie innerlich mit den Schultern. Allein das produziert
       Momente großer Komik. Ihre Schlagfertigkeit ist berühmt und bei
       Journalisten gefürchtet.
       
       Auch Gabriel sei zu feiner Ironie fähig und verfüge über Charme, sagen
       Vertraute. Solche Eigenschaften verbirgt er in der Öffentlichkeit meist
       erfolgreich, doch mit Merkel soll er sehr gut auskommen. Und umgekehrt.
       Einmal stellte Gabriel ihr im Vorübergehen seinen langjährigen Büroleiter
       vor. „Der passt schon lange auf mich auf.“ Merkel begrüßte den Mann mit dem
       Satz: „Na, das ist Ihnen ja ab und zu sogar gelungen.“
       
       Nun sind Sympathie und Humor in der Politik nicht alles. Aber doch ein
       nicht zu unterschätzender Klebstoff für Beziehungen.
       
       ## Provinz
       
       Merkel und Gabriel sind im besten Sinne Provinzpolitiker geblieben. Merkel
       lässt Staatsgästen Erbsensuppe servieren, erholt sich mit Joachim Sauer im
       Ferienhaus in Templin und backt Streuselkuchen. Die Zutaten kauft sie gerne
       selbst ein, im Edeka an der Friedrichstraße, ihr Fahrer wartet solange. Mit
       Berlin-Mitte-Chichi kann Merkel wenig anfangen.
       
       Gabriel tickt ähnlich. Er fremdelt mit dem abgehobenen Politbetrieb und
       fährt möglichst oft nach Hause, nach Goslar, Niedersachsen. Für Zeit mit
       Frau und Tochter Marie nimmt er irre Strapazen auf sich. Eine Nacht im
       November, Gabriel verhandelt bis fünf Uhr morgens den Koalitionsvertrag mit
       Merkel und Seehofer. Hinterher lässt er sich von seinem Fahrer gut zwei
       Stunden nach Goslar fahren. Am Mittag ist er wieder in Berlin. Und stellt
       den Vertrag in der Bundespressekonferenz vor.
       
       ## 2017
       
       Ganz einfach. Die eine will Kanzlerin bleiben, der andere will Kanzler
       werden. Manche Journalisten sagen voraus, dass Merkel ihr Amt 2015
       freiwillig für einen CDU-Nachfolger räumt. Für diese These spricht nichts.
       Merkel macht der Job irrsinnig viel Spaß, ein schwarz-grünes Bündnis wäre
       für sie die Krönung ihrer Ära, außerdem musste bisher jeder deutsche
       Kanzler mit den Füßen voran aus dem Amt getragen werden. Wir wetten: Merkel
       macht weiter.
       
       An Gabriel wird in der SPD keiner vorbeikommen, wenn es um die nächste
       Kanzlerkandidatur geht. Er sieht das Wirtschaftsressort als Sprungbrett für
       die Kanzlerschaft. Unternehmer sollen Vertrauen zur SPD fassen, aus
       früheren Feinden also Verbündete werden. Gabriel schickt zarte Signale
       Richtung Linke und FDP, um sich Optionen zu schaffen. Und die Energiewende
       sieht er als sein Meisterstück. Ein Erfolg bei diesem von Lobbys
       argwöhnisch beäugten Thema soll ihm das nötige Gewicht für das höchste Amt
       sichern.
       
       In Gabriels Plan, Merkel die Macht zu entreißen, stecken mindestens so
       viele innere Widersprüche, wie die SPD Mitglieder hat. Aber, und das wäre
       wirklich neu in der Sozialdemokratie: Es gibt immerhin einen Plan.
       
       25 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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