# taz.de -- In der Hochburg der AfD: Frust in der Oberlausitz
       
       > 8,2 Prozent bei der letzten Bundestagswahl. Nirgendwo ist die Alternative
       > für Deutschland so beliebt wie im Landkreis Görlitz. Ein Besuch.
       
 (IMG) Bild: Wahlkampf in Ostritz: „Man muss dem Volk aufs Maul schauen“, empfiehlt Hans-Gerd Hübner. „Wir brauchen wieder Grenzkontrollen“, fordert Silke Grimm
       
       GÖRLITZ/OSTRITZ/EIBAU/SEIFHENNERSDORF taz | Tintige Wolken ziehen über den
       Wochenmarkt in Ostritz. Der Wind treibt Nieselregen durch stille
       Dorfstraßen, den hell getünchten Stuckfassaden entgegen. Neben dem
       Fleischerwagen hat Silke Grimm den Stand der Alternative für Deutschland
       aufgebaut. Sie spannt ihren Schirm auf und ordnet die Broschüren.
       
       Silke Grimm ist eine Frau Ende 40 mit blond gesträhnter Kurzhaarfrisur und
       etwas unsicherer Gestik, Bus-Unternehmerin. Mit Politik hatte sie bisher
       nichts zu tun. Aber sie trägt sich schon lange mit dem Gedanken, dass es so
       wie bisher nicht weitergehen kann. „Man muss für unsere Region auch etwas
       tun. Die Politiker in Dresden wissen manchmal gar nicht, was hier los ist“,
       sagt sie.
       
       Als sich im Herbst der AfD-Kreisverband Görlitz formierte, kam es ihr vor,
       als gebe es endlich eine Partei, die ihre Anliegen teilt. „Dass wieder mehr
       in Deutschland selbst entschieden werden muss und nicht alles in Brüssel
       entschieden wird.“ Und dass die Bürger direkt Einfluss nehmen können.
       
       Nun tritt sie am Sonntag bei den sächsischen Kommunalwahlen, die
       gleichzeitig mit der Europa-Wahl stattfinden, für den Kreistag Görlitz an.
       Ende August stellt sie sich als Landtags-Kandidatin zur Wahl. Der Kreis
       Görlitz grenzt an Polen und Tschechien.
       
       ## „Achten Sie auf den Altersdurchschnitt!“
       
       Seit der Wende sind die Leute in Scharen weggezogen, Schulen und Arztpraxen
       schließen. Neben Grimm steht Hans-Gerd Hübner, auch AfD-Kandidat, Inhaber
       einer Solarzellenfirma, 60 Jahre alt. „Gucken Sie sich doch um“, ruft er,
       „achten Sie mal auf den Altersdurchschnitt!“
       
       Der Regen prasselt aufs Pflaster. Kaum jemand ist unterwegs. Nur da und
       dort schleppen Rentnerinnen Einkaufstüten vorüber. Bei der Bundestagswahl
       hat die AfD im Landkreis Görlitz ihr höchstes Ergebnis erreicht: 8,2
       Prozent.
       
       Hübner wundert das nicht. Seine Partei nehme das, was die Leute bewegt,
       eben ernst: „Das ist es, was Demokratie ist. Wie schon Luther gesagt hat:
       Man muss dem Volk aufs Maul schauen.“ Die offenen Grenzen etwa hätten den
       Orten hier vor allem Diebstähle und Einbrüche gebracht. „Jemand, der hier
       nicht lebt, kann das nicht verstehen“, sagt Silke Grimm, „wir brauchen
       wieder Grenzkontrollen.“
       
       Die beiden warten weiter, aber kaum jemand interessiert sich. Die
       AfD-Broschüren werden nass. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum
       Hübner etwas verstimmt ist. Er hat am Morgen gesehen, dass vier seiner
       Wahlplakate verschwunden sind. Stattdessen hängen dort nun NPD-Poster. Mit
       Slogans wie „Keine Unterstützung für Integrationsfolkore“ kommt die AfD den
       Parolen der NPD zum Teil sehr nahe. Aber als Rechtspopulisten wollen sich
       Grimm und Hübner nicht bezeichnen lassen. Dieser Vorwurf diene nur dazu,
       sie zu diffamieren.
       
       ## Moscheen in der Oberlausitz
       
       Dann tritt ein magerer alter Mann auf sie zu, nimmt einen Flyer und
       schreit: „Die werden endlich mal was machen. Das kann doch nicht sein, dass
       überall hier Moscheen gebaut werden.“ Wenn sie sich nicht als
       Rechtspopulisten sehen, wie gehen die AfD-Politiker dann mit solchen
       Wählern um? Schulterzucken. „Es gibt nun mal Dinge, die die Menschen
       verunsichern“, meint Hübner gelassen.
       
       Über leere Straßen geht es weiter in Richtung der polnischen Grenze. Am
       Fenster ziehen grüne Hügel vorbei, zwischen denen Rapsfelder leuchten.
       Studien zufolge haben die Menschen im Kreis Görlitz weniger Geld zur
       Verfügung als in jeder anderen Region.
       
       Wer in der Lokalzeitung blättert, erfährt, dass der Konsum von Crystal Meth
       rapide gestiegen ist. An einer Kirche wurden Kupferrinnen gestohlen.
       Umfragen nach wird die AfD bei der Landtagswahl sechs Prozent erreichen,
       die NPD auf vier Prozent fallen. Die Suche nach den Gründen kann zum
       Beispiel in Seifhennersdorf beginnen, wo die AfD bei der Bundestagswahl
       fast zehn Prozent geholt hat.
       
       Die parteilose Bürgermeisterin Karin Berndt sitzt im Büro zwischen antiken
       Möbeln und versucht, die Stimmung in ihrem Dorf zu erklären. Dieser Tage
       gehen wieder Sätze um, die sie zuletzt zu DDR-Zeiten gehört hat. „Das ist
       eben so!“ Oder: „Man kann eh nichts ändern.“ Seifhennersdorf war vor der
       Wende ein blühender kleiner Industrieort mit 8000 Einwohnern. Davon sind
       sind gerade noch 3800 übrig.
       
       ## Schlagworte und Propaganda
       
       Karin Berndt hat sich daran gewöhnt, auf verlorenem Posten zu kämpfen. Seit
       Jahren wehrt sie sich verzweifelt gegen die Schließung der Mittelschule.
       Sie reibt sich auf, am demographischen Kollaps, aber auch an bürokratischen
       Widerständen. Von der Landesregierung fühlt sie sich nicht nur allein
       gelassen, sondern regelrecht schikaniert. „Die Unzufriedenheit wächst. Die
       Leute kapseln sich ein, sind resigniert und werden anfällig für Schlagworte
       und Propaganda.“
       
       Der Abend bricht an. In einem Lokal im Städtchen Eibau hat die AfD zur
       Fragestunde geladen. Eine paar Mitglieder sind gekommen, dazu ein
       Rentner-Paar und zwei ältere Herren. Hans-Gerd Hübner stellt einen Wimpel
       zwischen Kerzen und Tischläufer: „Wir lieben Deutschland.“
       
       Karla Lehmann, pensionierte Medizinerin mit Doktortitel, ist
       Kreistagskandidatin, senkt ihren Blick auf ihren Stichwortzettel. „Wir sind
       weder rechts noch links. Wir stehen in der Mitte der Gesellschaft“, sagt
       sie. Bisher stünden „Denk- und Sprechverbote“ einer offenen Diskussion über
       die „Fehlentwicklungen in Deutschland und Europa“ im Weg.
       
       Wenn man sie fragt, welche sie meint, muss sie überlegen. Dann fällt ihr
       etwas ein: Der Austauschschüler, der Ende April in den USA erschossen
       wurde. Sie stört sich daran, dass immer von einem deutschen Schüler die
       Rede war, obwohl seine Familie aus der Türkei stammte.
       
       ## Ein FDP-Mann schnappt nach Luft
       
       Die Gäste ringsum trinken Bier, die AfD-Mitglieder reden sich in Rage.
       Vieles geht durcheinander, die vielen EU-Vorschriften und der
       Einwohnerschwund hier. Jörg Domsgen, ein Wirtschaftsberater mit
       Trachtenjanker und Schnäuzer sagt: „Die Einschulungszahlen sind
       grauenerregend. Mir wird himmelangst. Wenn wir nicht die Kurve kriegen,
       werden wir sang- und klanglos untergehen.“
       
       Fragt man ihn nach seinem politischen Werdegang, erwähnt er, dass er früher
       mal in der PDS war. Dass er bis vor wenigen Jahren auch Vorsitzender einer
       rechten Splitterpartei war, sagt er nicht. Stattdessen sagt er: „Der kleine
       Bürger hat kein Vertrauen mehr in die übergeordneten Strukturen. Der merkt,
       dass er behumpst wird.“ Ein Mann ganz hinten am Tisch schnappt nach Luft,
       die Wut bricht aus ihm heraus: „Von Gemeindepolitik haben Sie alle keine
       Ahnung!“ Der Mann stellt sich vor, Uwe Jährig, FDP-Mitglied im Kreistag.
       
       Als Domsgen ansetzt, ihm das Verhältnis zwischen Bund und Kommunen mit
       einem Baum-Gleichnis zu erklären, stürmt er schimpfend hinaus. „Ich lass‘
       mich nicht von diesen Pessimisten vorführen, von solchen Extremisten und
       Rattenfängern.“ Aber es ist gut möglich, dass die AfD bei den Wahlen besser
       abschneidet als die FDP. „Das sind die Leute, die gegen uns antreten“, sagt
       er. „Das ist ein Angriff auf Demokratie und Freiheit.“
       
       ## „Die Menschen haben ein Problem“
       
       Seit die AfD aufgetaucht ist, machen sich nicht nur die rechten und
       bürgerlichen Parteien Sorgen. Auch die Linken spüren den Druck. „Es gibt
       Leute, die links wählen, aber ein kritisches Verhältnis zu Europa haben. Da
       gräbt die AfD natürlich ein Stück weit rein“, sagt Mirko Schultze,
       Kreisvorsitzender der Linken. Er sitzt im Rathauscafé in Görlitz. Draußen
       vor dem Fenster blühen Kastanien. „Keine Partei kann sagen, dass sie nicht
       auf die AfD reagiert hat.“ Die Linke überlege derzeit vor allem, wie sie
       ihre Haltung zu Europa besser erklären kann.
       
       Aber im Grunde, meint Schultze, geht es um etwas anderes. „Die AfD dockt an
       an der pauschalen Unzufriedenheit an“, sagt er. „Der größte Teil der
       Menschen hier hat ein Problem, mit dem Leben klarzukommen. Jeder, der das
       Potenzial hat zu gehen, ist bereits gegangen.“
       
       Die AfD ist zu einem Auffangbecken für alle möglichen Kräfte geworden, für
       Protestbürger mit rechtem und linkem Einschlag. „Wir sind kein homogenes
       Gebilde“, so formuliert es der AfD-Kreisvorsitzende. „Wir kämpfen einen
       Kampf, aber ich weiß manchmal auch nicht, wer hinter mir steht.“ Frank
       Großmann ist von der SPD zur AfD übergelaufen.
       
       Er tritt in ein Büro in einem Geschäftsturm nahe dem Bahnhof, wo die Partei
       donnerstags eine Sprechstunde anbietet. Er schält sich aus seiner speckigen
       Lederjacke und setzt sich an einen Tisch. Es ist nicht so, dass er die
       europäische Einigung an sich ablehnen würde: Er ist mit einer Polin
       verheiratet und fährt oft ins Nachbarland, um einzukaufen oder zu tanken.
       „Grenzkontrollen wie früher?“ Er winkt ab. „Das muss nicht sein.“
       
       ## Schnittmengen mit der NPD
       
       Doch das ist für ihn nur die eine Seite der EU. Die andere, das sind die
       vielen Vorschriften. Großmann hatte einmal einen gut gehenden Laden für
       Wildspezialitäten, wo er Mufflonsalami und Wildschweinschinken verkaufte.
       Dann kam eine neue EU-Lebensmittelverordnung. Großmann musste schließen,
       weil er sich die Umbauten nicht leisten konnte. Heute führt er eine
       Immobilienverwaltungsfirma. Aber die Geschäfte laufen nicht. Er stockt mit
       Hartz IV auf. „Die Macht von Brüssel muss gebrochen werden“, sagt er.
       „Dieser EU-Blödsinn wird nur gemacht, um die Konzerne zu stärken.“
       
       Sein Kreisverband gelte innerhalb der AfD als eher liberal, sagt er. Darauf
       ist er stolz. Es stört ihn aber auch nicht, wenn der AfD Schnittmengen mit
       der NPD nachgesagt werden. „Das ist für mich eine Konkurrenz-Partei. Früher
       hatten Leute, die aus Protest wählen gingen, nur die NPD. Aber jetzt sind
       wir aufgetaucht.“
       
       Dann macht er sich auf den Weg. Draußen liegt klares Licht über dem
       Asphalt, das „Haus des Handwerks“ nebenan ist leer und verrammelt, in den
       Seitenstraßen haben viele Läden geschlossen. Plakate hängen, auch die der
       AfD. „Mut zu Deutschland“, steht darauf geschrieben.
       
       22 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela Keller
       
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