# taz.de -- Ein Erbe der DDR: Dr. Stasi
       
       > Über einen fragwürdigen Doktortitel ist schon so mancher gestolpert. Doch
       > Exfunktionäre der Stasi schmücken sich bis heute damit.
       
 (IMG) Bild: Es gab Dissertationen über die besten Methoden des Verhörs von Dissidenten – Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen.
       
       BERLIN taz | Für einen, der von der Gesellschaft geächtet wird, residiert
       Dr. Klaus Wagenberg* recht prominent in Berlin-Mitte. Der Name des
       Rechtsanwalts prangt auf einem goldfarbenen Schild, spezialisiert in
       Straf-, Familien- und Ausländerrecht. In der Kanzlei nehmen die Mandanten
       auf bequemen Ledermöbeln Platz. Auf dem Glastisch steht eine Schale mit
       Eiskonfekt.
       
       Klaus Wagenberg trägt einen feinen dunklen Anzug, er ist ein viel
       beschäftigter Anwalt. Früher war sein Fachgebiet ein anderes: das
       stundenlange Verhören von Menschen. Der 67-Jährige arbeitete zu DDR-Zeiten
       für die Untersuchungsabteilung der Stasi, und das mit großem Eifer:
       Wagenberg war nicht nur hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für
       Staatssicherheit (MfS).
       
       Der Major war auch so begabt, dass er an der Juristischen Hochschule des
       MfS in Potsdam-Golm einen Doktortitel erwarb. Das war damals nur den
       treuesten Anhängern des SED-Regimes vorbehalten. Wer im Machtapparat der
       Diktatur aufsteigen wollte, für den war der Doktortitel ein
       Karrierebeschleuniger.
       
       Wagenberg, ein Mann mit Fastglatze und bulliger Statur, promovierte im
       Sommer 1989 mit einer Dissertation zur „Öffentlichkeitsarbeit“ des MfS. Der
       Jurist erhielt die Note „magna cum laude“. Ein paar Monate später fiel die
       Mauer, und die DDR-Diktatur brach zusammen. Dass Hunderttausende auf die
       Straße gingen und gegen das Regime protestierten, „damit hatten wir
       überhaupt nicht gerechnet“, sagt Wagenberg im Rückblick.
       
       ## Zersetzung von innen
       
       Man sei auf einen Angriff von außen vorbereitet gewesen und „nicht darauf,
       dass die Zersetzung von innen kommt“. Mit dem Ende der DDR war auch Klaus
       Wagenbergs Karriere bei der Stasi vorbei. Seinen von ihr verliehenen
       akademischen Titel aber konnte er behalten – und er führt ihn bis heute.
       
       Damit soll nun Schluss sein. 25 Jahre nach dem Mauerfall sollen die von der
       Stasi-Hochschule verliehenen Doktortitel überprüft werden. Das fordert die
       Fraktion von Bündnis90/Grüne im Brandenburger Landtag, die die Debatte
       initiiert hat. Mehr als 400 Dissertationen früherer Stasi-Funktionäre will
       die Partei untersuchen lassen und hat sich an die Bundesbehörde für die
       Stasi-Unterlagen gewandt. Die damals als geheim eingestuften Dissertationen
       genügten in „keinster Weise“ den wissenschaftlichen und moralischen
       Ansprüchen, wettert Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Seiner Meinung nach
       müssten die Doktortitel aberkannt werden. Nur gebe es dafür bislang kein
       Verfahren.
       
       Die Juristische Hochschule in Potsdam-Golm war die Kaderschmiede des
       Ministeriums für Staatssicherheit und seine zentrale Forschungsstätte. Die
       meisten Doktoranden waren Offiziere des MfS und andere altgediente
       Mitarbeiter. Externe durften hier nur in Ausnahmefällen studieren. Auch
       viele Diplome wurden vergeben, insgesamt verzeichnete die Hochschule laut
       Stasi-Unterlagen-Behörde über 3.000 Absolventen.
       
       ## Ehrendoktor für Günter Guillaume
       
       Darunter befand sich viel DDR-Prominenz: So promovierten in Potsdam-Golm
       auch Gerhard Neiber und Wolfgang Schwanitz, die Stellvertreter von
       Stasi-Chef Erich Mielke, sowie der DDR-Devisenbeschaffer Alexander
       Schalck-Golodkowski. Dieser beschäftigte sich mit der „Bekämpfung der
       imperialistischen Störtätigkeit auf dem Gebiet des Außenhandels“. Andere
       befassten sich mit „sozialistischer Menschenführung“ oder den besten
       Methoden des Verhörs von Dissidenten. Günter Guillaume, Spion im
       Bundeskanzleramt unter Willy Brandt, erhielt 1985 in Golm die
       Ehrendoktorwürde.
       
       Guillaume ist seit fast zwanzig Jahren tot. Doch die noch lebenden
       promovierten MfS-Funktionären tragen bis heute ihren Doktortitel. Die
       meisten „Doktoren der Tschekistik“ leben heute in und um Berlin. So
       arbeitet ein ehemaliger MfS-Hauptmann als Versicherungsmakler in Ostberlin,
       ein anderer Dr. jur. ist im Havelland als Berater und Coach tätig. Ein
       Exoberleutnant, der 1987 mit einer Arbeit über den „Beitrag des MfS zur
       Verwirklichung der sozialistischen Friedensstrategie“ promovierte, hat sich
       einen Namen als Mietrechtsexperte gemacht. Auch er trägt den Titel Dr. jur.
       
       Die Grünen im Brandenburger Landtag monieren die Art und Weise, in der die
       Dissertationen an der Stasi-Hochschule zustande kamen. Ein Großteil wurde
       in Teamarbeit erstellt. Manche Werke seien nur wenige Seiten lang gewesen.
       „Das entspricht vielleicht Abiturniveau, berechtigt aber nicht zum Tragen
       eines Doktortitels“, kritisiert Fraktionschef Vogel.
       
       ## Doktortitel gegen Gesinnung
       
       Der Dachverband der SED-Opfer unterstützt die Forderung, die Dissertationen
       zu überprüfen. „Die Potsdamer Doktortitel wurden für Thesen und Ideen
       verliehen, welche die Menschenwürde verletzten und beleidigten“, rügt der
       Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer
       Gewaltherrschaft, Rainer Wagner. Während Kritikern des DDR-Unrechtsstaats
       jede akademische Aufstiegsmöglichkeit verbaut worden sei, habe man den
       „Stasi-Bütteln“ Titel für ihre Gesinnung geschenkt.
       
       Klaus Wagenberg denkt nicht daran, seinen Doktortitel abzugeben. „Uns wurde
       nichts geschenkt“, sagt der Exmajor. Über zwei Jahre habe man damals an der
       Juristischen Hochschule büffeln müssen. Kurse zu Philosophie,
       Sprachwissenschaften, Ökonomie. Und wenn ihm der Titel trotzdem aberkannt
       wird? „Ich würde prozessieren!“ Seine Exkollegen vom MfS sähen das genauso.
       Er habe sich umgehört. „Die sind alle der Meinung, dass das eine
       Diskriminierung ist.“
       
       Der Anwalt erzählt, dass er aus einer Familie von Kommunisten komme, die in
       der NS-Diktatur Widerstand gegen die Faschisten geleistet habe – etwa mit
       Flugblättern. Einer seiner Onkel sei ins Konzentrationslager Buchenwald
       gekommen, ein anderer wurde ins Strafbataillon 999 gezwungen, eine
       Wehrmachtseinheit, die überwiegend aus Nazi-Gegnern und anderen
       Zwangsrekrutierten bestand, die an der Ostfront kämpfen mussten. Viele von
       ihnen liefen zur Roten Armee über. „Denen wollte ich nacheifern“, schwärmt
       Wagenberg. Also wurde er Kommunist. „Wir waren wirklich der Meinung, etwas
       für den Weltfrieden zu tun.“ Umso größer war die Erschütterung, als der
       „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ kollabierte.
       
       ## „Keiner von uns sehnt sich nach der DDR zurück“
       
       Mit den neuen Gegebenheiten hat sich Wagenberg inzwischen gut arrangiert.
       „Keiner von uns“, sagt er über sich und seine Stasi-Kumpel, „sehnt sich
       nach der DDR zurück.“ Mangelwirtschaft, Unzufriedenheit,
       Perspektivlosigkeit. „Gerade wir wussten doch, welche Schwierigkeiten und
       Probleme es gab.“ Seltsam, dass sie die Wende nicht haben kommen sehen.
       
       Das Bild, das heutzutage von der DDR-Staatssicherheit gezeichnet werde,
       hält der Berliner Anwalt für „völlig verzerrt“. Dass in den
       DDR-Gefängnissen systematisch gefoltert worden sei – alles Quatsch! „Sie
       kriegen Inhaftierte nicht zum Sprechen, wenn Sie Gewalt anwenden.“ Aber:
       „Natürlich“ sei psychischer Druck angewendet worden. Die Gefängniszellen
       waren „klein, aber okay“, findet er noch heute. Solche Sätze klingen
       absurd, aber Wagenberg trägt sie beinahe spöttisch vor: Als wenn ein
       bisschen Druck doch noch keinem Häftling geschadet hätte.
       
       Stasi-Experte Hubertus Knabe nennt Männer wie Wagenberg ehemalige
       „Apparatschiks, die sich die Vergangenheit schönreden“. Das kenne man von
       den Anhängern der NS-Diktatur, sagt der Historiker. Er steht in seinem Büro
       und zieht sein Buch „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der
       DDR-Diktatur“ aus dem Regal.
       
       ## „Welcome to DDR-Land“
       
       Knabe ist Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, der ehemaligen
       Stasi-Untersuchungshaftanstalt. Wer den Historiker besuchen will, muss
       zuerst das dicke Eisentor des Gefängnisses passieren. Hier saßen
       DDR-Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley oder Ulrike Poppe ein. Heute spucken
       Reisebusse Touristenladungen aus, die eine der Führungen durch den Knast
       gebucht haben. Hohenschönhausen fühlt sich heute noch nach Kaltem Krieg an.
       „Welcome to DDR-Land“ steht auf einem Schild vor einem Plattenbau.
       
       Selbstverständlich seien in den Stasi-Gefängnissen Menschen misshandelt
       worden, echauffiert sich der Gedenkstättenleiter. Psychischer und zuweilen
       auch physischer Druck seien üblich gewesen. „Der Druck war so stark, dass
       viele Häftlinge versucht haben, sich umzubringen, oder psychisch
       zusammenbrachen“, erzählt Knabe.
       
       Knabe gilt als MfS-Experte. Für sein Engagement bei der Aufarbeitung der
       SED-Diktatur erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Die Forderung, den
       promovierten Stasi-Leuten ihre Doktortitel abzuerkennen, hält Knabe für
       einen „richtigen Vorstoß“. Allerdings gebe es rechtliche Probleme: Die
       Stasi-Hochschule kann die Titel nicht mehr entziehen, da sie aufgelöst
       wurde. Das andere Problem ist der deutsch-deutsche Einigungsvertrag von
       1990. Auf diese Hürde verweist auch die Stasi-Unterlagen-Behörde. Laut
       Vertrag haben in der DDR erworbene Doktortitel im vereinigten Deutschland
       weiter Gültigkeit. Dass Hunderte Titel von der Stasi vergeben wurden,
       übersahen die Schöpfer des Einigungsvertrages. Ein „bedauernswerter
       Fehler“, grollt Hubertus Knabe.
       
       ## Warten auf den „Bundesgesetzgeber“
       
       War der ganze Vorstoß von Brandenburgs Grünen also vergeblich? Keineswegs,
       sagt Fraktionschef Axel Vogel. „Das Thema ist noch nicht gegessen.“ In
       Thüringen habe man die Sache bereits aufgegriffen. Letztlich gehe es um
       ehemalige DDR-Hochschulen in ganz Ostdeutschland, die teils fragwürdige
       Doktortitel verliehen hätten, sagt Vogel. Eine Aberkennung dieser Titel
       könne aber nur der „Bundesgesetzgeber“ in die Wege leiten, räumt der
       gebürtige Bochumer ein. Das kann dauern.
       
       Rechtsanwalt Klaus Wagenberg kann sich vorerst ganz entspannt zurücklehnen
       in seinen Ledersessel in der Kanzlei in Berlin-Mitte. „Ich tue viel Gutes“,
       lobt er sich selbst. Der Doktortitel leiste dabei gute Dienste. Er habe
       Oppositionspolitiker aus der Türkei und Menschen mit Behinderungen
       verteidigt, denen zu Unrecht Straftaten zur Last gelegt worden seien, zählt
       er auf. Asylsuchenden helfe er bei Aufenthaltsfragen. Es gibt viel zu tun
       für den Doktor jur. Klaus Wagenberg wird sein goldfarbenes Kanzleischild so
       bald nicht abnehmen. Jedenfalls nicht, um den Dr. zu entfernen.
       
       *Name geändert
       
       19 Aug 2014
       
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 (DIR) Haiko Prengel
       
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