# taz.de -- Pro und contra Koalitionsvertrag: Sollen die Grünen zustimmen?
       
       > Am Sonntag will die Mitgliederversammlung der Grünen darüber abstimmen,
       > ob sie ein Regierungsbündnis mit der SPD eingehen oder lieber nicht.
       
 (IMG) Bild: Damals war die Meinung einhellig: Abstimmung zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPD am 18. Februar.
       
       PRO 
       
       Grüner wird es nicht. Nicht mit dieser SPD, nicht mit Olaf Scholz. Der ließ
       sich in beinharten Verhandlungen nur das abhandeln, was er den Grünen
       zugestehen musste, damit die nicht aussteigen. Ein Viertel Macht, ein
       Viertel Inhalt – wer mehr verlangt, ist ein Traumtänzer und wird am Ende
       leer ausgehen.
       
       Deshalb ist es richtig, dass die Grünen keine Kraft in längst verlorenen
       symbolträchtigen Schlachten vergeudet haben. Über die Elbvertiefung
       entscheiden Gerichte, nicht mehr die Politik. Die Stadtbahn ist in einer
       Stadt, in der sich Tag für Tag dieselben Unbelehrbaren über die Staus
       aufregen, die sie selbst anrichten, wohl wirklich nicht mehr durchzusetzen.
       Mit diesem Thema in einen Volksentscheid zu gehen, wäre wagemutig, die
       Niederlage sehr wahrscheinlich. Ein geschlossenes Heim, so es denn
       überhaupt eingerichtet wird, wäre unschön, aber kein Grund, das große Ganze
       in Frage zu stellen.
       
       Die Ökologisierung des Hafens ist ein Pluspunkt mit weitreichenden
       positiven Konsequenzen – für die Sauberkeit von Elbwasser und Atemluft, für
       weniger Lärm, für gesündere Arbeitsplätze, für Ökonomie durch Ökologie. Der
       Ausbau von Rad- und öffentlichem Nahverkehr ist ein gewaltiger Fortschritt,
       der Stopp des Flächenfraßes für Wohnen und Gewerbe ebenfalls. Auch bei
       Kitas, Inklusion und Hochschulen gibt es kleine Erfolge für den kleinen
       Partner.
       
       Die Ansage von Olaf Scholz, über einen Anbau reden zu wollen, aber nicht
       über einen Umbau seiner Politik, war ernst gemeint. Und er hat in sechs
       Verhandlungswochen Ernst gemacht. Herausgekommen ist die Fortsetzung der
       Scholz-Politik mit grünen Sprengseln. Das ist die Realität. Die mag, wer
       will, böse finden, die Alternative indes wäre böser.
       
       Denn taktisch käme nur ein Bündnis zwischen SPD und FDP in Frage, CDU,
       Linke und AfD scheiden als mögliche Partner aus. Wenn Rot-Grün konkret
       keine Umweltzone, aber auch keine Studiengebühren bedeutet, hieße Rot-Gelb
       wahrscheinlich Studiengebühren, aber immer noch keine Umweltzone. Ein
       simples Beispiel, das die Alternativen aufzeigt. Es geht hier nicht um die
       reine grüne Lehre, sondern um eine möglichst gerechte und
       zukunftsorientierte Politik für die zweitgrößte Stadt Deutschlands. Wer die
       bei Katja Suding in besseren Händen glaubt, kann den Vertrag ja ablehnen,
       mit grüner Programmatik hätte das nichts zu tun.
       
       Strategisch steht für die Grünen ihre Regierungsfähigkeit auf dem Spiel.
       Die rot-grüne Koalition 2001 beendeten sie mit herben Verlusten an Personen
       und Prozenten, die zum linken Regenbogen abgewandert waren, aus dem
       schwarz-grünen Experiment kamen sie 2010 arg zersaust heraus. Wenn sie sich
       jetzt einer ernsthaften Regierungsoption verweigern oder diese in den
       kommenden Jahren in den Sand setzen, ist es vorbei mit grüner
       Glaubwürdigkeit in Hamburg.
       
       Parteien, die nur um sich selbst kreisen, gibt es reichlich. Was diese
       Stadt braucht, ist eine ökologische, soziale und innovative Neuausrichtung.
       Wenn die Grünen dafür nicht zur Verfügung stehen wollen, machen sie sich
       überflüssig. Wenn sie es doch sind, müssen sie jetzt mal loslegen.
       SVEN-MICHAEL VEIT
       
       ***
       
       CONTRA 
       
       So kurz vor dem Rot-Grünen Traualtar stehen und dann noch Nein sagen. Geht
       das überhaupt? Die Partei-Basis sollte das erwägen. Denn die Zustimmung zu
       einem geschlossenen Heim Hamburgs ist ein politischer Sündenfall.
       
       Es ist ein Unterschied, ob Hamburg dies unter einer SPD- oder CDU- oder
       FDP-Regierung tut oder mit dem Segen der Grünen. Geschlossene Heime sind
       nicht etwa Strafe für "straffällige Jugendliche", wie man oft liest. Auch
       junge Menschen, die sich selbst verletzen oder auf der Straße leben, werden
       so weggesperrt. Dass dieses Einsperren hilft, ist durch keine Studie
       belegt. Umgekehrt ist die Gefahr von Machtmissbrauch sehr groß.
       
       Die Grünen sind eine gesellschaftliche Kraft, die bislang dafür steht, die
       Freiheitsrechte der Kinder zu verteidigen. Nun wird dieses Stück grüne
       Seele verkauft, diese Überzeugung für die Beteiligung an Macht geopfert.
       
       Eine Macht, die klein ist. Neben der Umwelt erhalten die Grünen nur die
       Zuständigkeit für die gestaltungsarmen Ressorts Justiz und Wissenschaft.
       Die Bereiche Schule und Soziales bleiben weitgehend frei von grünen
       Inhalten. Es gibt nicht mehr Geld für die offene Kinder- und Jugendarbeit,
       wie versprochen. Es gibt nur winzige Verbesserungen beim Krippen-Personal,
       und nicht die von den Grünen versprochenen 25 Prozent. Es soll 120 Stellen
       für die Inklusion geben, die im Haushalt nicht abgesichert sind, den
       Schulen also an anderer Stelle fehlen werden.
       
       Der Teil des Koalitionsvertrages zum Thema Schule ist gespickt mit
       Formulierungen, die den grünen Bildungspolitikern deutlich machen sollen:
       Ihr habt hier nichts zu melden. Stattdessen: Noch schärferes Vorgehen gegen
       Schulschwänzen statt innovativer Pädagogik.
       
       Auch die Sozialpolitik wird schlicht fortgeschrieben. Kein Wort über
       Kinderarmut oder die Bekämpfung sozialer Spaltung, nirgends mehr die Rede
       von einer Enquete-Kommission zur Überprüfung der Jugendhilfe, wie sie die
       Grünen vor der Wahl gefordert hatten. Dafür die Selbstverpflichtung auf
       eine Fortsetzung der Schuldenbremsenpolitik, auf den jährlichen Abbau von
       250 Stellen, unabhängig davon, dass die Stadt und ihre Aufgaben boomen und
       die Steuern sprudeln.
       
       Wo liegt der Schaden, wenn die Grüne Basis diesen Vertrag abnickt? Immerhin
       kann, wer an den Tischen der Macht sitzt, einiges über
       Hinterzimmerdiplomatie erreichen. Nur sprechen Verlauf und Ergebnis der
       Koalitionsverhandlungen nicht dafür, dass die Grünen da erfolgreich
       agieren. Sie werden schneller mit dem Scholz'schen Machtapparat
       verschmelzen als man gucken kann. Eigentlich sind Rot und Grün längst
       liiert, Trauschein hin oder her.
       
       Was fehlen wird, sind die Grünen als Teil der Opposition, die mit klarer
       Stimme für ihre Inhalte streitet. Sie werden nicht mehr identifizierbar und
       so unattraktiv als Partei für Menschen, die in sozialen und pädagogischen
       Berufen arbeiten. Sie hinterlassen eine Lücke, die die Linkspartei mit
       Freuden ausfüllen wird.
       
       Aber ist Rot-Grün nicht immer noch besser als Rot-Gelb? Wo doch die Gelben
       wieder Studiengebühren wollen. Ob sich die kleine FPD damit bei Olaf Scholz
       durchsetzt, müsste man glatt erst mal sehen. KAIJA KUTTER
       
       11 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven-Michael Veit
       
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