# taz.de -- Türkisches Museum für moderne Kunst: Transparente Fischschuppen
       
       > Das Museum Istanbul Modern feiert seine Wiedereröffnung. Der
       > Renzo-Piano-Bau soll auch politisch ein Zeichen setzen.
       
 (IMG) Bild: Mit seiner neuen Architektur sendet das Istanbul Modern ein Signal aus der liberalen Türkei
       
       „Road to Tate Modern“. So heißt ein Video der [1][kurdischen Künstler]
       Şener Özmen und Erkan Özgen aus dem Jahr 2013. In dem Streifen sieht man
       die beiden in der Manier von Cervantes’ Klassiker „Don Quijote“ auf Eseln
       durch den steinigen Südosten der Türkei reisen – auf der nie endenden Suche
       nach dem Heiligen Gral der Kunstwelt. Eine großartige Metapher auf die
       Kunstwelt, aber auch auf die Perspektive der Peripherie auf das ästhetische
       Versprechen des Westens.
       
       Ganz so weit müssten die beiden, sollten sie sich heute noch einmal auf den
       Weg machen, nicht mehr reisen. Denn in Istanbul, nur ein paar Stunden von
       ihrer Heimat entfernt, hat nun ein Haus wieder eröffnet, das es mit dem
       Londoner Kunsttempel aufnehmen kann.
       
       [2][Istanbul Modern] heißt das Museum, das nach vier Jahren Bauzeit am
       Dienstag an der Promenade des hippen Stadtteils Karaköy seine Türen
       öffnete. Die Feier geriet zum Lebenszeichen der Hälfte des Landes, die nach
       dem erneuten Wahlsieg ihres [3][autoritären Dauerpotentaten Recep Tayyip
       Erdoğan] in depressive Schockstarre verfallen war. Hat die Moderne etwa
       noch eine Chance am Bosporus?
       
       Wer sich die Eröffnungsausstellung in dem markanten Bau des Genueser
       Architekten [4][Renzo Piano] anschaut, wird das unbedingt bejahen. Trifft
       er dort doch auf ein zwei mal drei Meter großes Gemälde von Nejad Melih
       Devrim: ein Gewirr geometrischer Felder in kräftigen dunklen Tönen von
       Ocker bis Violett. Eine chromatische Kaskade aus Rhythmus und Farbe ohne
       den leisesten naturalistischen Anklang.
       
       ## Kein Renommierprojekt
       
       Das Werk des 1923 geborenen Malers gilt als das erste abstrakte Werk der
       modernen türkischen Kunst, es entstand 1947–1949. Das Signum der Moderne,
       das gemeinhin allein mit dem Westen identifiziert wird, hat seine eigene
       türkische Geschichte. Zum Glück ist das Haus, in dem es zu sehen ist,
       keines der bei Museumsneubauten üblichen, spektakulären Renommierprojekte
       geworden; keines, mit dem sich seine Betreiber, die Industriellenfamilie
       Eczacıbaşı, oder der mittlerweile 85 Jahre alte Architekt ein Denkmal
       setzen wollten.
       
       Wie das alte ist auch das neue Istanbul Modern ein moderates Rechteck
       geblieben. Wo bislang ein klobiger Betonblock mit einer schnöden
       Gitterrampe stand, zieht sich an der Uferpromenade nun ein dreistöckiger,
       eleganter Bau entlang, der sich mit großen Glasfronten dem
       gegenüberliegenden Tophane-Park und auf der anderen Seite dem Marmarameer
       öffnet.
       
       Die Fassade des neuen Istanbul Modern besteht aus 3-D-geformten
       Aluminiumplatten, die im wechselnden Sonnenlicht eine irisierende Hülle
       bilden und an Fischschuppen erinnern. Der ganze Komplex strahlt ein Gefühl
       von Transparenz, Zugänglichkeit und Helligkeit aus.
       
       Eine Extravaganz erlaubte sich der Architekt: Eine einzigartige
       Aussichtsterrasse an der Spitze des Gebäudes schwebt über einem flachen
       Wasserbecken. Es bedeckt das gesamte Dach und eröffnet einen Rundblick auf
       die Stadt und den Bosporus.
       
       ## Dauerausstellung mit Kunst von 1945 bis heute
       
       Renzo Piano hatte gemeinsam mit Richard Rogers [5][das Centre Pompidou
       entworfen, das 1977 eröffnete]. Es war der Eindruck dieses ikonischen,
       maschinenartigen Baus mitten im 4. Pariser Arrondissement, der das
       Unternehmerehepaar Bülent und Oya Eczacıbaşı, Chefs des gleichnamigen
       Pharmakonzerns, zu Beginn der 2000er Jahre bewog, in Istanbul ein Pendant
       errichten zu lassen.
       
       Als Nukleus diente eines der schäbigen Antrepo-Warenhäuser. In denen fand
       2003 die 8. Istanbul-Biennale statt, die von der Istanbul Stiftung für
       Kunst und Kultur (İKSV) ausgerichtet wird und ebenfalls vom Eczacıbaşı-Clan
       betrieben wird.
       
       Erdbebensicher ist der 45-Millionen-Neubau durch ein neuartiges
       Braced-Frame-System. Seine Betonwände sind mit diagonalen Stahlstreben
       abgesichert, die sich durch das ganze Haus ziehen und deren Gelenke
       maximale Amplituden puffern können: Das Gebäude bleibt selbst dann stehen,
       wenn seine Mauern einstürzen.
       
       Auch inhaltlich hat Piano das Haus nicht komplett neu erfunden. Die
       Dauerausstellung folgt wie bisher der Chronologie von 1945 bis heute. Sie
       ist so umfangreich wie nie zuvor. Insgesamt 280 Werke von 110
       Künstler:innen zeichnen den Weg der [6][türkischen Gegenwartskunst]
       nach.
       
       ## Ein Signal aus der liberalen Türkei
       
       Unter den Highlights dieser „Floating Islands“ betitelten Schau findet sich
       neben den Werken Nejad Devrims mit „The Headless Woman or the Belly Dance“
       der 1938 geborenen Künstlerin Nil Yalter die erste türkische Videoarbeit
       überhaupt. Auf ihren eigenen stetig kreisenden Unterleib – im Hintergrund
       läuft Bauchtanzmusik – hat die Künstlerin einen orientalismuskritischen
       Text aufgetragen.
       
       Der Parcours endet mit Refik Anadols Arbeit „Infinity Room Bosphorus“. In
       seiner Installation zeigt der 1985 geborene Medienkünstler, der mit seinen
       KI-Bildern gerade die US-Kunstszene in den Bann schlägt,
       Echtzeit-Umweltdaten des Bosporus.
       
       Das Museum an einem der herausgehobenen Plätze der Weltstadt Istanbul
       sendet mit seiner neuen Architektur [7][ein Signal aus der liberalen
       Türkei.] Dass es mit „Always Here“ eine seiner fünf Eröffnungsausstellungen
       türkischen Gegenwartskünstlerinnen widmet, lässt sich für die AKP-Türkei,
       die die Istanbul-Konvention aufkündigte und regelmäßig Demonstrationen zum
       Weltfrauentag im März mit Polizeigewalt unterbindet, als weiteres
       kalkuliertes Zeichen lesen.
       
       „Always Here“ eröffnet programmatisch mit der aus recyceltem, besticktem
       Textil geschaffenen Arbeit „Against the Current“ der Künstlerin Güneş
       Terkol aus dem Jahr 2013, dem Jahr der Gezi-Proteste. Darauf ist eine
       Gruppe Frauen zu sehen, die mit Plakaten für ihre Rechte protestieren.
       
       Selbst Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu ließ es sich nicht
       nehmen, sanft Richtung Ankara zu sticheln. Wer in „Zeiten der Not“ Trost
       und Stärkung suche, sagte der Politiker der oppositionellen CH-Partei des
       Staatsgründers Atatürk in seiner umjubelten Ansprache, solle sich auf den
       Weg zur Kunst machen.
       
       So beschwerlich und aussichtslos wie der von Şener Özmen und Erkan Özgen in
       „The Road to Tate Modern“ ist dieser Weg jetzt nicht mehr. Ihr Video gehört
       inzwischen zur Sammlung des Istanbul Modern.
       
       Transparenzhinweis: Die Recherchen wurden vom Museum Istanbul Modern
       unterstützt
       
       26 Jun 2023
       
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