# taz.de -- Parteivorsitzende zum Kurs der Grünen: „Nach links oder in die Mitte? Weder noch“
> Wer sind die Grünen nach der Ära Habeck? Vor ihrem Parteitag sprechen
> Franziska Brantner und Felix Banaszak über nötige Debatten und ihre neue
> Strategie.
(IMG) Bild: Sie sagen, sie schätzen sich: Brantner und Banaszak nach dem Interview in der Grünen-Zentrale
taz: Frau Brantner, Herr Banaszak, am Freitag [1][beginnt der
Grünen-Parteitag.] Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie wichtig wird er?
Franziska Brantner: Acht. Wir werden zu wichtigen Themen wie der
Wehrpflicht Entscheidungen treffen.
Felix Banaszak: Es ist das erste Mal, dass wir ein ganzes Wochenende
zusammenkommen und mit etwas Abstand zur Bundestagswahl die Frage klären,
wer wir sind, was wir wollen und wo die Welt steht. Tendenz acht plus.
taz: Und wer sind die Grünen? Was wollen Sie?
Brantner: Angesichts von Putin, Trump und dem Erstarken autoritärer Kräfte
sind wir die liberale Kraft, die für die Freiheit kämpft. Bei uns, in der
Ukraine und weltweit. Menschenrechte und die liberale Demokratie sind Teil
unserer DNA. Die autoritären Kräfte kämpfen massiv gegen eine nachhaltige
Welt. Sie wollen weiter Geld verdienen, indem sie mit Fossilen die Welt
verbrennen. Wir sind die ökologische Kraft, die dem entgegensteht. Wir sind
die, die für Gerechtigkeit kämpfen, in einer Welt, die immer ungerechter
wird.
taz: Als Gerechtigkeitspartei wurden sie [2][zuletzt nicht in jeder
Hinsicht wahrgenommen.] Bei der Bundestagswahl hatten die Grünen unter den
sehr gut Verdienenden einen Wähler:innenanteil von 18 Prozent, bei den
Armen 5 Prozent.
Banaszak: Wir haben im Wahlkampf auf die Plakate gedruckt: Leben bezahlbar
machen. Nach den Erfahrungen von drei Jahren, in denen das Leben insgesamt
teurer geworden ist, war das nur eingeschränkt glaubwürdig. Ein zentraler
Fehler der Ampel war, die sozialen und die Verteilungsfragen nicht
gemeinsam zu adressieren. Mit der neuen Regierung gibt es keine Perspektive
auf Verbesserung, im Gegenteil. Aber man kann ja daraus die Schlüsse
ziehen. Die Botschaft des Parteitags ist: Wir stehen für eine Klimapolitik,
die konsequent sozial ausgestaltet ist und dafür sorgt, dass die Rechnung
nicht bei denen ankommt, die ab dem 20. des Monats nicht wissen, wie sie
über die Runden kommen.
taz: Was heißt das konkret?
Brantner: Klimageld auszahlen, konsequent alle Förderprogramme für den
klimaneutralen Umbau sozial staffeln, bei schlecht sanierten Gebäuden die
Mieterinnen und Mieter beim CO₂-Preisanteil fürs Heizen entlasten,
bezahlbare Elektrokleinwagen für Geringverdiener. Und damit es am Ende
ehrlich ist: Diejenigen, die mit der Förderung und der Verbrennung fossiler
Energieträger Geld verdienen, müssen auch einen größeren Anteil an der
Finanzierung von Klimaanpassungsmaßnahmen leisten.
taz: Sie legen sich mit der Wirtschaft an?
Banaszak: Das ist keine Aufstellung gegen die Wirtschaft, es ist die
Entscheidung für eine Wirtschaft mit Zukunft. Viele Unternehmen fragen
sich, ob sie mit ihren Zukunftstechnologien noch eine Chance haben oder in
die Röhre gucken. Die Bundesregierung will die Technologien der
Vergangenheit künstlich am Leben erhalten.
Brantner: Der Umbau hin zur Klimaneutralität ist nicht umsonst zu kriegen.
Wir tun nicht mehr so, als wäre das umsonst. Diese Kosten müssen runter,
konsequent und pragmatisch, und dann gerecht verteilt werden. Außerdem
müssen jene, die in Klimaschutz investieren, Geld damit verdienen können.
Banaszak: Klimapolitik ist nicht nur in Deutschland, sondern global in der
Defensive. Ein Grund dafür ist, dass es den Gegnern gelungen ist, sie als
ein elitäres Hobby von Besserverdienern zu labeln. Daran, dass das gelungen
ist, haben wir sicher einen Anteil. Unsere ökologische Politik muss sich an
alle richten und das tut sie auch. Unsere Bündnisse sind sehr viel breiter,
als unsere Gegner es wünschen – von den Initiativen vor Ort, die dafür
protestieren, dass es keine neue Gasförderung gibt, bis zu denen im
Mittelstand und in der Industrie, die einfach Planungssicherheit brauchen.
taz: Aber Sie verlieren Bündnispartner. Zum Beispiel die Gewerkschaften,
[3][die lange auf den klimaneutralen Umbau gesetzt haben und jetzt auf die
Bremse treten,] etwa eine Aufweichung des Verbrenner-Aus ab 2035 fordern.
Brantner: Ich komme aus Baden-Württemberg. Dort haben viele Menschen Angst
davor, ihren Job zu verlieren. Auch die Gewerkschaften fragen, sind wir auf
dem richtigen Weg? Wir haben die Klimaziele festgelegt, wir haben
runtergerechnet, was das für jeden Sektor heißt. Aber was bedeutet das für
die Jobs und die Menschen? Die Lausitz hat Milliarden bekommen für den
Kohleausstieg. Wir haben nichts Äquivalentes zum Beispiel für die
Autoregionen. Was dort passiert, ist aber genauso ein fundamentaler
Strukturwandel.
taz: Auch Cem Özdemir, der 2026 in Baden-Württemberg grüner
Ministerpräsident werden möchte, [4][ist für ein Aufweichen des
Zulassungsstopps für Verbrenner.] Verlieren Sie auch in den eigenen Reihen
Bündnispartner?
Brantner: Cem Özdemir hat darauf reagiert, dass in Baden-Württemberg auch
die Gewerkschaften gesagt haben: Wir sind beim Verbrenner-Aus nicht mehr
dabei. Man muss nicht zur gleichen Antwort kommen wie sie. Aber man muss
sich überlegen: Wie können wir das gemeinsame Ziel erreichen, E-Mobilität
Made in Germany zu garantieren? Das Gleiche gilt für kleine
mittelständische Unternehmen. Dafür muss die Bundesregierung jetzt endlich
die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, wie die Senkung der Stromsteuer
für alle.
taz: Das Verbrenner-Aus ist nur ein Beispiel. In Nordrhein-Westfalen hat
die grüne Klimaministerin Mona Neubaur der Chemieindustrie gerade große
Zugeständnisse beim Klimaschutz gemacht. Wo ist die Grenze?
Banaszak: In Nordrhein-Westfalen war die Chemieindustrie in Teilen schon
dabei, den Emissionshandel grundsätzlich infrage zu stellen. Mona Neubaur
hat den Versuch unternommen, sie an Bord zu halten, und war damit am Ende
auch erfolgreich. Darüber bin ich sehr froh. Es tut uns aber auch gut,
einen Fehler aus der Ampel-Zeit nicht zu wiederholen.
taz: Welchen?
Banaszak: Klar sollten wir unseren Leuten in Regierungsverantwortung den
Freiraum geben, pragmatische Wege zu gehen und mit ihren Koalitionspartnern
Kompromisse zu erarbeiten. Diese Kompromisse werden damit aber nicht
automatisch Parteiposition. Eine Partei muss klar sagen, wofür sie steht.
Mit Beliebigkeit geht man unter. Die einfache und falsche Geschichte,
Verschiebungen im Klimaschutz würden die tiefen Strukturprobleme der
Wirtschaft plötzlich lösen, werden wir nicht übernehmen.
taz: Wenn die Leute erst Sie und dann Frau Neubaur oder Herrn Özdemir
hören, werden sie sich trotzdem fragen: Was wollen die Grünen denn jetzt?
Brantner: Wir müssen Wohlstand und Klima zusammenbringen. Leider stellen
Söder und Co den Klimaschutz grundsätzlich infrage, ihnen geht es nicht
mehr um den Weg. Das müssen wir auf Bundesebene hart bekämpfen. Und
gleichzeitig muss man immer wieder überprüfen, ob der eingeschlagene Weg
richtig ist, um besser zum Ziel zu kommen.
Banaszak: Das Verrückte ist, dass von den Grünen zwei Dinge gleichzeitig
verlangt werden. Einerseits sollen wir breite Teile der Gesellschaft
repräsentieren, streitlustig sein und stellvertretend für das Land um die
besten Antworten ringen. Andererseits sollen aber alle Grünen auf alle
Fragen schon vor dem Gespräch die gleichen Antworten geben. Das kann ja
nicht funktionieren.
taz: Können Sie nachvollziehen, dass es Leute gibt, die Ihre Arbeitsteilung
anders übersetzen? Also: Wenn die Grünen wie jetzt auf der Bundesebene in
der Opposition sind, dann erzählen sie viel. Wenn es ums Umsetzen in der
Regierung geht, fallen sie aber um.
Brantner: Grüne machen in Regierungen einen Unterschied. Beim Klima sieht
man doch gerade, was passiert, wenn wir nicht dabei sind. Wir haben die
Erneuerbaren beschleunigt, wir haben Energieeffizienz, wir haben
Wasserstoff vorangebracht – und die jetzige Regierung macht alles
rückgängig.
taz: Sprechen wir zum Schluss noch über die Rollenverteilung zwischen Ihnen
beiden. Auf der Skala von 0 bis 10: Wie gut funktionieren Sie als Team?
Banaszak: Ich antworte lieber in Worten: Wir sind in einer herausfordernden
Situation ins Amt gekommen und wurden direkt in einen schwierigen Wahlkampf
geworfen. Nach der Wahl haben wir es gemeinsam geschafft, die Partei
zusammenzuhalten und zu stabilisieren. Darauf sind wir stolz.
Mit unseren Umfragewerten geben wir uns nicht zufrieden. Aber dass wir
konstant auf dem Niveau des Wahlergebnisses mit Robert Habeck als
Kanzlerkandidaten sind, ist auch keine Selbstverständlichkeit. Es baut
darauf auf, dass wir trotz der unterschiedlichen Perspektiven, die wir
mitbringen, immer das Verbindende suchen und finden. In der
Grundorientierung sind wir ohnehin nah beieinander. Aber wenn Sie am Ende
zwei Aussagen nebeneinanderlegen und keinen Unterschied mehr erkennen, dann
müsste sich die Partei auch fragen, warum sie eine Doppelspitze wählt.
Brantner: Was mir immer Spaß macht: Wir verweigern uns gemeinsam den
Versuchen, uns in irgendwelche Ecken drängen zu lassen. Gehen die Grünen
jetzt nach links oder in die Mitte? Weder noch. Wir sind grün. Wir schauen
uns die Realität an und finden unsere eigenen Antworten – auch wenn wir uns
über den richtigen Weg vielleicht nicht immer einig sind.
taz: Wann haben Sie das letzte Mal richtig gestritten?
Banaszak: In unseren Diskussionen ist Franziska beharrlich. Aber am Ende,
und das schätze ich, ist es immer ein ernsthafter Austausch. In den
vergangenen Jahren hat das in der Partei gefehlt. Die Logik war häufig:
Wenn einer für uns denkt, dann reicht das aus.
taz: Ihre Amtszeit dauert zwei Jahre, beim nächsten Parteitag stehen
Neuwahlen an – und damit eine Vorentscheidung über die Spitzenkandidatur
für die nächste Bundestagswahl. Sind Sie schon nervös?
Brantner: Wir haben uns für das nächste Jahr viel vorgenommen: Weitere
inhaltliche Fragen klären, unsere Satzung reformieren, die Mitglieder
einbinden. In den vergangenen Jahren war es ja wirklich oft so, dass Robert
und Annalena vorne standen und die Partei folgte. Jetzt wollen wir die
Mitglieder gerade vor Ort wieder stärker aktivieren, um unsere Kraft auch
auf die Straße zu bekommen. Ich bin da zuversichtlich.
taz: Auf unserer Skala: Wie sicher sind Sie sich, nach den Landtagswahlen
des nächsten Jahres noch im Amt zu sein?
Banaszak: Ich bin ein entspannter und abenteuerlustiger Mensch. Ich weiß,
wer ich bin und was ich meiner Partei anzubieten habe. Und das mache ich
jetzt.
Brantner: Wie Felix. Ich will, dass wir Grüne 2026 Lust auf Demokratie
machen, relevant sind, weiter wachsen. Aber natürlich werden die
Landtagswahlen im kommenden Jahr auch für uns herausfordernd sein.
28 Nov 2025
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