# taz.de -- Nahost-Konflikt auf dem Parteitag: Jetzt klären die Grünen den Gazakrieg
> Der Grünen-Vorstand möchte auf dem Parteitag über Klima und Kommunen
> sprechen. Überstrahlt werden könnte das von einer verspäteten
> Nahost-Debatte.
(IMG) Bild: Lobt die Debattenkultur ihrer Partei: Franziska Brantner, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
taz | Zwischen Israel und der Hamas herrscht seit Oktober [1][immerhin eine
fragile Waffenruhe], bei den Grünen geht die Nahost-Debatte aber erst jetzt
richtig los. Zumindest diskutieren sie erstmals auf einem Parteitag
ausführlich über den Gazakrieg: Auf der Bundesdelegiertenkonferenz Ende
November in Hannover lässt der Bundesvorstand über [2][einen Leitantrag zur
grünen Außenpolitik] abstimmen. Zu den Passagen, die sich um Israel und
Palästina drehen, sind aus der Partei rund 100 Änderungsanträge
eingegangen. Redebedarf ist von allen Seiten angemeldet.
Damit wird eine Debatte öffentlich, die bei den Grünen bislang überwiegend
intern geführt wurde. Zu Zeiten der Ampel-Regierung war der eigene
Nahost-Kurs – [3][kritischer gegenüber Israel als die Koalitionspartner,
aber weniger kritisch als viele EU-Partner] – in der Partei zwar auch nicht
unumstritten. Auf Parteitagsbühnen war das damals aber nur am Rande Thema.
Mögliche Gründe: Man wollte den eigenen Regierungsleuten nicht in den
Rücken fallen und das Fass nicht im Bundestagswahlkampf aufmachen. Beides
ist inzwischen hinfällig. Außerdem erreichte die Lage vor Ort
zwischenzeitlich eine neue Eskalationsstufe, als im Frühjahr dieses Jahres
ein temporärer Waffenstillstand endete, Israel die Kämpfe wieder aufnahm
und Hilfslieferungen blockierte. Einhergehend damit wurde das Thema auch
für viele Grüne dringlicher.
In den vergangenen Monaten hat der Bundesvorstand versucht, die Debatte in
einer eigenen Kommission zu kanalisieren. Unter Leitung von
[4][Parteichefin Franziska Brantner] kamen dort Grüne mit verschiedenen
Positionen zusammen. Die Debattenkultur in der Arbeitsgruppe sei
„hilfreich“ gewesen, sagt Brantner. Die Diskussionen zum Thema verliefen
mittlerweile „in beide Richtungen respektvoller und empathischer“. Die
Akteur*innen hätten mit der Zeit festgestellt, dass „die Bandbreite der
Debatte doch begrenzter ist als viele dachten.“
## Empathie mit den einen, Empathie mit den anderen
Andere Beteiligte beschreiben es ähnlich. Und trotzdem bleiben zahlreiche
Punkte, die quer durch die Parteiflügel umstritten sind und auf dem
Parteitag am Ende per Abstimmung entschieden werden könnten. Es fängt schon
bei der Problembeschreibung an, und dort zum Teil bei semantischen Fragen:
■ Am 7. Oktober wurden „Kinder auf grausame Weise umgebracht“, heißt es zum
Beispiel im Entwurf des Bundesvorstands über das Hamas-Massaker, das den
Krieg auslöste. „Kinder wurden in ihren Betten auf grausame Weise
umgebracht“, heißt es in einem Änderungsantrag, der zum Ziel hat, das
israelische Leid in mehreren Punkten ausführlicher zu beschreiben.
Unterschrieben ist er unter anderem vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten
Volker Beck, der heute Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist.
Er unterstützt auch eine Reihe anderer Änderungsanträge. „Bei aller
Empathie für die Opfer dieses Krieges in Gaza darf nicht vergessen werden,
dass dieser Krieg seine Ursache im genozidalen Massaker der Hamas und der
andauernden Geiseilnahme hatte“, sagt Beck zu seinem Kernanliegen in der
Debatte.
■ Einer anderen Gruppe reicht es dagegen nicht aus, dass im Leitantrag die
Toten, Verletzten und zerstörten Gebäude in Gaza beziffert werden. Sie will
unter anderem detaillierter aufführen, dass „mehr als 20.000 Kinder […]
getötet, viele mehr schwer verwundet und verstümmelt“ wurden. Außerdem
sollen die palästinensischen Opfer direkt nach den israelischen benannt
werden, nicht wie vom Vorstand geplant erst zwei Absätze später. Ein
Versuch, „die Beschreibung der Situation in Nahost ausgewogener zu
gestalten“, wie es in der Begründung heißt. Formuliert hat den Antrag die
Europa-Abgeordnete Hannah Neumann.
## Antisemitismus, Staatsräson und Genozid
Auch an anderen Stellen ringt die Partei um die Beschreibung der
Problemlage und der eigenen Grundsätze:
■ Entschlossenheit gegen „den zunehmenden Antisemitismus“ in Deutschland
fordert der Leitantrag. Ex-Parteichef Omid Nouripour beantragt mehr
Präzision und will von Antisemitismus „von Rechten, von Islamisten oder von
Linken“ sprechen, während die Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger den
„stets vorhandenen Antisemitismus der sogenannten Mitte“ nach vorne stellen
möchte. Wieder andere wollen den „Schutz muslimischen Lebens“ neben den
„Schutz jüdischen Lebens“ stellen.
■ Der Bundesvorstand hält wörtlich an der deutschen „Staatsräson“ fest. Für
Volker Beck und andere darf der Begriff darüber hinaus „keine leere
Worthülse sein“, während der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg ihn
streichen möchte: Das Wort helfe „aufgrund seiner Vieldeutigkeit nicht,
Antworten auf aktuelle Herausforderungen“ zu finden.
■ Vor allem von Berliner Grünen unterschrieben ist auch der Antrag, die
israelische Kriegsführung als „anhaltenden Genozid“ zu benennen. Prominente
Unterstützer*innen hat er aber nicht, die Erfolgsaussichten sind wohl
begrenzt. Auf der anderen Seite gibt es einen Antrag, den Hamas-Angriff vom
7. Oktober als „genozidal“ zu bezeichnen.
## Trittin und Co für „unverzügliche“ Anerkennung
Vor allem ist sich die Partei aber nicht einig über die konkreten
Konsequenzen für die deutsche Nahost-Politik:
■ „Unser Ziel bleibt eine verhandelte Zweistaatenlösung“, schreibt der
Bundesvorstand, ohne einen Zeitpunkt zu nennen. Gleich mehrere Anträge,
unterstützt von verschiedenen Abgeordneten und Urgestein Jürgen Trittin,
fordern die Anerkennung „jetzt“ beziehungsweise „unverzüglich“. Andere
wollen vorher „die Voraussetzungen für echte Staatlichkeit“ schaffen.
■ Sollte die Netanjahu-Regierung den aktuellen Friedensplan nicht umsetzen,
könnte sich der Grünen-Vorstand die „partielle Aussetzungen“ des
[5][EU-Assoziierungsabkommens mit Israel] vorstellen. Ein Änderungsantrag
erwägt dagegen auch die „vollständige“ Aussetzung. Wieder andere wollen vom
Abkommen gar nicht sprechen und die EU nur auffordern, „wo nötig Druck auf
die Beteiligten“ des Konflikts zu machen.
■ Und Waffenexporte an Israel? Der Bundesvorstand findet den Regierungskurs
der letzten Monate richtig: Keine Waffen, die „völkerrechtswidrig
eingesetzt werden können“ – andere Rüstungsgüter schon. Ein Antrag fordert
dagegen, gar keine Rüstungsexporte mehr zu genehmigen, und ein weiterer,
dass die Bundesregierung die bisherigen Auflagen „wirksam überprüft“.
Wieder ein anderer will festschreiben, dass „zu Recht keine Lieferungen
erfolgen, die völkerrechtswidrig eingesetzt werden könnten“ – ohne dabei
speziell Israel zu benennen. Nach der Ankündigung der Bundesregierung vom
Montag, den teilweisen Exportstopp aufzuheben, könnten zu diesem Punkt bis
zum Parteitag noch Dringlichkeitsanträge eingehen.
## Abräumen oder abstimmen?
Was bislang allerdings niemand explizit befürwortet: Rüstungsgeschäfte mit
Israel wieder bedingungslos zuzulassen. Auf der anderen Seite tauchen in
den Anträgen Forderungen nach [6][einem Kultur- und Sportboykott gegen
Israel] oder Ähnlichem nicht auf. Auch weiterhin ist das Spektrum der
grünen Positionen also nicht unendlicht weit. Was in den Anträgen zudem nur
ganz am Rande vorkommt: eine Reflexion der eigenen Nahost-Politik in der
Regierungszeit.
Dass tatsächlich alle eingereichten Anträge auf dem Parteitag behandeln
werden, ist unwahrscheinlich. Für gewöhnlich wird bei den Grünen vor
Bundesdelegiertenkonferenzen lange verhandelt – mit dem Ziel, Streitfragen
still abzuräumen. Im aktuellen Fall dürfte daran vor allem der
Bundesvorstand ein Interesse haben: Er hat auch Anträge zu einer sozial
gerechten Klimapolitik und zu Kommunalfinanzen eingebracht, die ebenfalls
Aufmerksamkeit bekommen sollen. Eine Nahost-Debatte könnte sie
überstrahlen.
Parteichefin Brantner wirbt jedenfalls für die eingereichte Version des
Gaza-Antrags: „Ich bin überzeugt, dass er für die breite Mitte der
Delegierten steht, die sagt: Wir kennen die Komplexität, wir nehmen sie an
und wir wollen nicht mehr zurückweichen“, sagt sie.
Ganz ohne öffentliche Diskusisonen wird sich der Tagesordnungspunkt dennoch
kaum abhandeln lassen. Die Europa-Abgeordnete Neumann hat mehrere der
Änderungsanträge eingereicht, in denen das israelische Vorgehen schärfer
kritisiert wird. „Unsere Meinungspluralität finde ich ok und ich möchte,
dass wir der Ort sind, an dem man respektvoll über verschiedene Positionen
diskutieren kann – auch beim Thema Nahost. Wo wir nah beieinander sind,
könnten wir uns auch vorab einigen“, sagt sie, „aber wir können nicht alles
mit Formelkompromissen übermalen.“
18 Nov 2025
## LINKS
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(DIR) [2] https://antraege.gruene.de/51bdk/fur-frieden-in-freiheit-konsequent-europaisch-handeln-23318
(DIR) [3] /Drei-Monate-Israel-Gaza-Krieg/!5984870
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## AUTOREN
(DIR) Tobias Schulze
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