# taz.de -- Nachruf auf Thomas Heise: Material und Eigensinn
       
       > Der Dokumentarfilmer Thomas Heise widmete sich den Randständigen – in der
       > DDR wie in der BRD. Nun ist der streitbare Künstler gestorben.
       
 (IMG) Bild: Thomas Heise bei der Verleihung des Konrad-Wolf-Preises an den Wikileaks-Gründer Julian Assange
       
       „Wozu denn über DIESE LEUTE einen FILM“ ist der Titel von Thomas Heises
       erstem „richtigen“ Film 1980. Der zitiert den Kommentar eines Dozenten an
       der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen der DDR, wo Heise damals
       nach drei Jahren als Regieassistent im Defa-Spielfilmstudio Regie
       studierte.
       
       „Diese Leute“ waren zwei Kleinkriminelle aus Prenzlauer Berg, denen Heise
       bei Gesprächen in der Küche oder der Eckkneipe zuhörte. Bald darauf war er
       nicht mehr Student der HFF: Er hatte sich selbst abgemeldet, um einer
       Exmatrikulation zuvorzukommen. Uraufgeführt wurde der Film erst 1989. Filme
       mit Menschen, die gesellschaftlich – dann im wiedervereinigten Deutschland
       – am Rand standen, machte er danach öfter.
       
       Er selbst wurde 1955 in den intellektuellen Adel von Berlin/DDR geboren.
       Doch der Sohn der Germanistin und Übersetzerin Rosemarie Heise und des
       Philosophie-Professors Wolfgang Heise fiel früh als renitent auf und begann
       seine berufliche Laufbahn mit einer Druckerlehre.
       
       Nach dem Studienabbruch fand er Beschäftigung bei der Staatlichen
       Filmdokumentation (SFD), einer Einrichtung, die den Alltag der DDR
       archivieren sollte. Das passte eigentlich gut zu Heises Konzept von Film.
       Doch seine für die SFD realisierten Arbeiten „Das Haus“ und „Volkspolizei“
       zeigen so viel Eigensinn, dass sie damals nicht gut ankamen, bei ihrer
       Erstaufführung Jahrzehnte später aber bestens bestehen konnten.
       
       ## Den Umbruch 1989 filmen
       
       Als Heise im Herbst 1989 für die Aufzeichnung von Theaterproben für das
       West-Fernsehen eine Videokamera in die Hände bekam, zweckentfremdete er
       diese zur Dokumentation des um ihn tobenden Umbruchs: So filmte er bei der
       Demonstration vom 4. November vom Pult ins Publikum, drehte interne
       Sitzungen oder Parteimitglieder vor dem Gebäude des ZK der SED.
       
       Diesmal brauchte Heise selbst ein Jahrzehnt Abstand, um das Material zu
       sortieren und es dann als Film mit kommentarlos roh montierten Sequenzen
       2009 unter dem Titel „Material“ erfolgreich bei Festivals einzureichen.
       
       In den Jahren dazwischen hatte Heise neben Dokumentarfilmen und Hörspielen
       unter Vermittlung Heiner Müllers auch kontinuierlich beim Berliner Ensemble
       inszeniert. Einem größeren Publikum bekannt wurde er ausgerechnet durch
       „Stau – Jetzt geht’s los“, durch den Vorwurf, rechtsextremen Positionen
       eine Bühne zu geben.
       
       Dagegen zeichnet Heises mit Folgefilmen zu einer Langzeitstudie ausgebaute
       Konfrontation mit den jungen Nazis von Halle-Neustadt gerade das Beharren
       auf genauem Hinschauen und Nachfragen aus.
       
       ## Familiäre Erinnerungen an die deutsche Geschichte
       
       Einen Brotberuf fand Heise wie viele andere Dokumentarfilmer in der Lehre.
       Gern erzählte er, wie er seinen StudentInnen verbot, sich in den ersten
       Arbeiten dem Umfeld der eigenen Familie zu widmen. Es ist kein Widerspruch,
       dass er genau dies selbst mehrfach und dann 2019 in seinem Opus magnum
       „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ sehr gründlich tat. Und es darin schaffte,
       in drei Generationen familiärer Erinnerungen auch die mörderische
       Geschichte des europäischen 20. Jahrhunderts brillant zu verdichten.
       
       Vor Kurzem noch hatte sich der streitbare Künstler als Leiter der Abteilung
       Film der Akademie der Künste und Jurymitglied der letzten Berlinale
       kritisch zu einem Interview von Kultursenator Joe Chialo [1][in Sachen
       Berlinale] geäußert. Nun meldete die Akademie, Heise sei am 29. Mai nach
       kurzer schwerer Krankheit verstorben. So ist „Heimat ist ein Raum aus Zeit“
       sein letzter Film: runder Abschluss eines gewichtigen Lebenswerks. Doch
       gerade jetzt fehlt uns, was nicht mehr kommt.
       
       2 Jun 2024
       
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