# taz.de -- Debatte über Migrationspolitik: Jenseits des Grundgesetzes
       
       > Die Bundesregierung reagiert mit Asylverschärfungen auf den Anschlag von
       > Solingen. Damit ist sie denen, die sie bekämpfen will, näher, als sie
       > glaubt.
       
 (IMG) Bild: Ministerin Nancy Faeser, SPD, verklärt die inhumanen Abschiebungen als Erfolg
       
       Der mutmaßlich islamistische Terroranschlag von Solingen erschüttert
       Deutschland. Ein 26-jähriger Syrer hat auf dem dortigen Stadtfest mit einem
       Messer [1][drei Menschen getötet und acht verletzt]. Auf die schreckliche
       Tat folgten Tage diskursiven Durcheinanders: Einerseits versuchten die
       üblichen Verdächtigen, den Anschlag für ihre Zwecke zu nutzen.
       
       Andererseits schlossen sich auch jene links des konservativ-rechten
       Spektrums den populistischen Illusionshändlern an und verflochten das
       Problem des islamistischen Terrors mit Migration. Und so startete auch
       schon am Freitagmorgen, einen Tag nachdem die Bundesregierung
       Asylrechtsverschärfungen verkündet hatte, ein [2][Abschiebeflug nach
       Afghanistan] – der erste, seitdem die islamistischen Taliban dort die Macht
       übernommen haben.
       
       Zuvor hatte der politische Überbietungswettbewerb schnell den Rahmen der
       Vernunft, der Machbarkeit und sogar des Grundgesetzes verlassen. Der
       [3][CDU-Vorsitzende Friedrich Merz forderte], pauschal keine Geflüchteten
       mehr aus Syrien und Afghanistan aufzunehmen, Menschen dorthin abzuschieben,
       auch wenn ihnen Tod und Folter drohen, und ausreisepflichtige Straftäter in
       zeitlich unbegrenzte Abschiebehaft zu stecken.
       
       Fatal ist, dass die anderen demokratischen Parteien dem nicht entschieden
       widersprachen, sondern mitspielten – teilweise, indem sie Merz zustimmten
       und seine Einlassungen mit eigenen realitätsfernen und inhumanen
       Vorschlägen ergänzten, so wie die FDP; teilweise, indem sie die Themen
       islamistischer Terror und Migration genauso willkürlich vermischten, so,
       wie es SPD und Grüne taten.
       
       Bundeskanzler [4][Olaf Scholz (SPD) kündigte Gespräche] mit der Union und
       Vertretern der Länder über Änderungen in der Migrationspolitik an.
       Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) beklagte [5][ausbleibende Abschiebungen].
       Mit einem Positionspapier forderten die Grünen eine [6][„Zeitenwende im
       Inneren“] und meinten damit auch die Migrationspolitik.
       
       Einen Vorgeschmack auf das noch Bevorstehende gab es schließlich am
       Donnerstagabend, als die Bundesregierung [7][ein neues Asylpaket] zur
       Verschärfung der Migrationspolitik ankündigte. Damit streicht sie
       Geflüchteten, für deren Asylantrag andere EU-Staaten zuständig sind, alle
       Leistungen und senkt Schwellen für Abschiebungen. Wohlgemerkt handelt es
       sich dabei erst um eine Gesprächsgrundlage für das bevorstehende Treffen
       mit der CDU, die diese Pläne schon als unzureichend kritisierte.
       
       ## Merz will der Ampel den letzten Schlag versetzen
       
       Man könnte nun sagen: Die demokratischen Parteien lassen sich treiben von
       der AfD und ihrem befürchteten Erfolg bei den [8][Landtagswahlen in
       Sachsen, Thüringen und Brandenburg]. Aber getrieben wirken sie nicht
       wirklich. Eher dankbar für die Gelegenheit, nun allzu bereitwillig Hand an
       das Asylrecht anlegen zu können. Merz sieht außerdem die Gelegenheit, der
       taumelnden Ampelregierung den letzten Schlag versetzen zu können.
       
       Dass die Wortmeldungen der AfD gerade untergehen, ist kein Zeichen ihrer
       Schwäche, im Gegenteil, die anderen Parteien verbreiten jetzt ihre
       rassistische Propaganda. Die AfD braucht sich nur zurückzulehnen.
       Rechtsextreme und Islamisten wollen Schluss machen mit dem demokratischen
       Grundsatz, dass Individuen für ihre Handlungen haften. Sie wollen
       Kollektivbestrafungen und Sippenhaft. So, wie Islamisten den Westen als
       Gemeinschaft verachten, verachten Rechtsextremisten Menschen, die nicht in
       ihr völkisches Weltbild passen. Wer nun Asylbewerber unter Generalverdacht
       stellt, passt sich dem an.
       
       Aktuell stehen Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan im Fokus. Aber auch
       andere Menschen mit Migrationsgeschichte ahnen längst, dass sie früher oder
       später Gegenstand solcher Debatten werden. Dass CDU-Chef Merz auch
       Liberalisierungen im Staatsbürgerschaftsrecht rückgängig machen möchte,
       deutet an, wohin die Reise geht: Ausländer raus! So mehrheitsfähig war
       diese rechtsextreme Forderung in Deutschland lange nicht mehr.
       
       All das ändert nichts daran, dass islamistischer Terror kein individuelles,
       sondern ein politisches Problem ist. Hinter islamistischem Terror stecken
       Ideologie, Organisation, gesellschaftliche Akzeptanz. Wie gut können
       deutsche Sicherheitsbehörden Terroranschläge antizipieren und verhindern?
       Welche diplomatischen Abhängigkeiten halten sie davon ab, entschiedener
       gegen die Repräsentanten des Islamismus in Deutschland vorzugehen? Werden
       in der Präventionsarbeit alle Möglichkeiten ausgeschöpft?
       
       Darüber sollte jetzt debattiert werden – und nicht darüber, wie man
       Asylbewerber am besten schikanieren kann. Auch wenn es eine verlockende
       Vorstellung ist: Islamismus ist keine Lkw-Ladung Tomaten, die man an der
       Grenze einfach zurückweisen kann.
       
       30 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Anschlag-in-Solingen/!6032053
 (DIR) [2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/flug-nach-kabul-gestartet-deutschland-schiebt-afghanische-straftaeter-in-ihr-heimatland-ab-a-f01c0bb1-b5a8-41cd-977d-098a0c165ca6
 (DIR) [3] /Nach-Messerangriff-in-Solingen/!6029864
 (DIR) [4] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/faeser-migration-gespraeche-union-laender-100.html
 (DIR) [5] /Nach-dem-Anschlag-in-Solingen/!6033173
 (DIR) [6] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/solingen-gruene-faeser-abschiebung-waffenrecht-100.html
 (DIR) [7] /Neues-Asylpaket/!6029267
 (DIR) [8] /Landtagswahlen-im-Osten/!6029856
       
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