# taz.de -- Antisemitischer Doppelmord in Erlangen: „Es ist ein Armutszeugnis“
> Vor 45 Jahren erschoss ein Neonazi den Rabbiner Shlomo Lewin und seine
> Frau Frida Poeschke. Die Bundesregierung beerdigt nun die Aufklärung.
(IMG) Bild: Der jüdische Verleger Shlomo Levi und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke wurden in Erlangen im Dezember 1980 umgebracht
Die tödlichen Schüsse fielen vor genau 45 Jahren, am 19. Dezember 1980. Vor
ihrer Wohnungstür in Erlangen wurden der jüdische Rabbiner und Verleger
[1][Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke] erschossen. Eine
Person klingelte, und als der 69-Jährige öffnete, trafen ihn sofort mehrere
Schüsse – kurz darauf auch Poeschke.
Wer der oder die Mörder waren, blieb über lange Zeit unklar. Die Polizei
ermittelte zunächst vor allem im Umfeld von Lewin. Dann wurde klar: Der
Mörder war [2][ein Rechtsextremist, Uwe Behrendt], damals Gehilfe und
Mitbewohner von Karl-Heinz Hoffmann, Anführer der [3][rechtsterroristischen
Wehrsportgruppe Hoffmann], die später verboten wurde. Als die Polizei
schließlich auf Behrendts Spur kam, war es bereits zu spät: Er hatte sich
in den Libanon abgesetzt und soll dort später Suizid begangen haben.
Hoffmann und seine damalige Partnerin wiederum wurden im Prozess zu dem
Doppelmord freigesprochen. Damit wurde für die Tat bis heute niemand
verurteilt.
Das antisemitische Attentat ist heute fast vergessen, die Aufklärung zum
Erliegen gekommen. Dabei gibt es weiter offene Fragen. War für den
Doppelmord wirklich nur ein Einzeltäter verantwortlich – oder nicht doch
die Wehrsportgruppe Hoffmann, deren Kritiker Lewin vor seiner Ermordung
war? Wo ist die Tatwaffe? Und hätten Sicherheitsbehörden, mit ihren
V-Leuten und Erkenntnissen über die Wehrsportgruppe, die Tat verhindern
können?
Die Bundesregierung macht nun aber klar, dass für sie die Aufklärung
beendet ist. Die Grünen-Fraktion im Bundestag hatte dort zuletzt nochmal
mit einer Anfrage zu dem Doppelmord nachgehakt und 25 offene Fragen
gestellt. Die Antwort, die der taz vorliegt, lässt davon aber fast jede
offen.
## Das Ministerium weicht aus
Eine Beantwortung der Fragen würde einen „unzumutbaren Aufwand“ bedeuten,
erklärt das Bundesinnenministerium. Dafür müsste ein „immenser
Aktenbestand“ beim Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt
und dem Bundesarchiv gesichtet werden. Allein zur Wehrsportgruppe Hoffmann
und zu Karl-Heinz Hoffmann lägen mehr als 34.000 Aktenseiten vor, zu Uwe
Behrendt seien es 1.200 Seiten. Würde man dazu auch noch die Strukturakten
aus Bayern durchsuchen, würde damit die Arbeit der zuständigen Abteilungen
für einen nicht absehbaren Zeitraum „zum Erliegen“ kommen, so das
Ministerium.
Aber selbst bei der Frage, ob die Tat von der Bundesregierung inzwischen
als antisemitischer Mord anerkannt wird, weicht das Ministerium aus. Die
Statistik zur politisch motivierten Kriminalität wird erst seit 2001
geführt, heißt es. Daher könnten nur bayerische Behörden eine Einschätzung
abgeben. Und zur Frage des Wissens der Geheimdienste zu dem Doppelmord und
seiner möglichen Verknüpfung zur Wehrsportgruppe Hoffmann antwortet das
Ministerium lediglich, Karl-Heinz Hoffmann sei „fachgerecht beobachtet“
worden.
Die Grünen lässt die Antwort fassungslos zurück. „Es ist ein Armutszeugnis,
dass die Bundesregierung 45 Jahre nach dem grausamen Attentat auf Shlomo
Levin und Frida Poeschke nicht die Haltung findet, die Morde ganz klar als
das zu bezeichnen, was sie sind: antisemitisch“, kritisiert Irene Mihalic,
Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, deutlich.
Angesichts der deutschen Geschichte und auch [4][des jüngsten
antisemitischen Attentats im australischen Sydney] sei es „nicht zu
begreifen, dass die Bundesregierung hier nicht klar Stellung bezieht“.
Mihalic verlangt eine Korrektur dieser Haltung. „Wir fordern die
Bundesregierung auf, angesichts des 45. Jahrestages diese schreckliche Tat
klar als antisemitisch einzuordnen und auch damit deutlich zu machen, dass
Antisemitismus in Deutschland mit Nachdruck und konsequent bekämpft wird.“
Auch die Verweigerung der Bundesregierung, die bestehenden Akten nochmal
mit Blick auf die offenen Fragen durchzuarbeiten, kann Mihalic nicht
nachvollziehen. Die tausenden Aktenseiten klingen nach einer Menge. „Es ist
nur schade, wenn keiner weiß, was drinsteht.“ Es sei „unbegreiflich“, wie
wenig Wissen die Bundesregierung zum Rechtsterrorismus der vergangenen
Jahrzehnte habe, so Mihalic zur taz. „Wir vermuten eine bisher nur schlecht
aufgearbeitete Kontinuität des Rechtsextremismus der 1980er Jahre bis zum
[5][NSU] und darüber hinaus.“
## Tödliche Auswirkungen von Antisemitismus
Die Morde an Shlomo Lewin und Frida Poeschke seien von Beginn an nicht mit
der nötigen Schwere behandelt worden, kritisiert Mihalic. Die Grüne führt
dafür auch die zehn Mordopfer aufgrund antisemitischer Gewalt an, welche
die Bundesregierung selbst seit 2001 auflistet. Gezählt wird dazu der Mord
an dem 16-jährigen [6][Marinus Schöberl im Juli 2002] im brandenburgischen
Potzlow, weil Neonazis fanden, dass er „wie ein Jude“ aussah.
Ebenso aufgelistet wird der Anschlag auf die Synagoge und den Kiezdöner in
Halle mit zwei Toten im Oktober 2019. Oder die Ermordung [7][einer
vierköpfigen Familie in Königs Wusterhausen] [8][im Dezember 2021] durch
den Familienvater, der eine jüdische Weltverschwörung annahm. Und
schließlich die tödliche Messerattacke eines Islamisten im August 2024 in
Solingen auf drei Menschen. In einem Video begründete er die Tat auch als
Racheakt gegen „Massaker“ von „Zionisten“.
[9][Und auch vor 2001 kam es zu antisemitischen Mordtaten]. So starben im
Februar 1970 sieben jüdische Bewohner eines Altenheims in München – der
Täter ist bis heute unbekannt. 1972 starben bei einer Geiselnahme bei den
Olympischen Spielen in der Stadt neun jüdische Geiseln durch
palästinensische Terroristen. Und 1992 wurde in Frankfurt/Main die jüdische
Garderobenfrau Blanka Zmigrod durch den Rechtsextremen John Ausonius
erschossen.
Mihalic erklärt, schon allein diese bekannten Mordopfer zeigten, welche
tödlichen Auswirkungen Antisemitismus haben kann. Die Bundesregierung lasse
es nur leider „an jeder Leidenschaft vermissen, die Zusammenhänge im
Rechtsextremismus aufzuarbeiten“, so die Grüne. „Da waren wir schon mal
weiter.“
Im Fall Shlomo Lewin und Frida Poeschke kämpft auch [10][der Publizist
Ulrich Chaussy seit Jahren für Aufklärung], aktuell auch mit einem
überarbeiteten Buch zum Oktoberfestattentat, das auch den Doppelmord in
Erlangen thematisiert. Das Oktoberfestattentat fand damals nur drei Monate
vor dem Mord an Lewin und Poeschke statt und wurde ebenfalls von einem
Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann verübt.
Chaussy beklagt in seinem Buch, wie der Verfassungsschutz „mit Zähnen und
Klauen“ seinen Quellenschutz höher rangiere als den Schutz des Lebens von
Menschen, die durch Extremisten bedrohten würden. Ermittlungsbehörden
hätten in beiden Fällen Einzeltäter präsentiert, statt rechtsextreme
Netzwerke zu beleuchten. Chaussy fordert „große Beharrlichkeit“, um dies
immer wieder zu dekonstruieren.
18 Dec 2025
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## AUTOREN
(DIR) Konrad Litschko
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