# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Informationsschlacht um Kupjansk
> Russische Truppen wollen die ostukrainische Stadt Kupjansk eingenommen
> haben. Die ukrainische Armee spricht demgegenüber von einer erfolgreichen
> Gegenoffensive.
(IMG) Bild: Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch in der Frontstadt Kupjansk am 12. Dezember 2025
In einem gepanzerten Rettungswagen geht es durch dichten Nebel, teils mit
einer Sichtweite von unter 50 Metern. Das Ziel der Fahrt ist ein Vorort von
Kupjansk. Die Stadt liegt im ostukrainischen Gebiet Charkiw, direkt an der
Frontlinie. Der wichtige Eisenbahnknotenpunkt mit heute gerade noch 800
Einwohner*innen ist schwer umkämpft. Seit Wochen läuft eine
juriukrainische Gegenoffensive.
„Die Lage ändert sich wirklich alle drei Minuten“, sagt ein Sanitäter der
ukrainischen Sondereinheit der Polizei aus dem Gebiet Charkiw mit dem
Kampfnamen „Lasar“. Er kümmert sich um die Evakuierung von verletzten
Polizisten und Angehörigen der Sicherheitskräfte. Seit ein paar Wochen hat
er mehr zu tun.
„Die Situation hat sich verändert. Während es zu Beginn unserer
Gegenoffensive ruhig war, passiert jetzt viel, wo unsere Hilfe benötigt
wird. Die Russen schlagen zurück“, bemerkt Lasar. Andere Soldaten
unterbrechen das Gespräch. Sie berichten davon, dass zwei russische
FPV-Drohnen im Anflug seien. Daraufhin greifen alle Militärs zu den Waffen,
um den Drohnenangriff abzuwehren.
Sie schalten die EloKa (Mittel zur elektronischen Kampfführung) ein.
Anwesende Journalisten müssen zur Sicherheit wieder in das gepanzerte
Rettungsfahrzeug einsteigen. Zum Glück fliegen die Drohnen vorbei. Die
Soldaten erzählen, dass am Tag zuvor ein Pick-up von einer russischen
Drohne getroffen worden sei.
## Video als Beweis
Am Freitag vergangener Woche hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj Kupjansk einen kurzen Besuch abgestattet und Angehörige der
Streitkräfte ausgezeichnet. Ein Video seines Aufenthaltes ging viral. „Er
machte schnell das Video, anschließend verbrachten die Russen den Rest des
Tages damit, mit allem, was sie finden konnten, anzugreifen“, sagt ein
Militärangehöriger, der anonym bleiben möchte, auf die Frage, ob sich
Selenskyj am 12. Dezember in Kupjansk aufgehalten habe.
Dass Selenskyj mitnichten in Kupjansk gewesen und das Video an einem
anderen Ort aufgenommen worden sei, wird in Verschwörungstheorien
behauptet, die auch in ukrainischen sozialen Medien verbreitet wurden.
Nicht nur russische Bots mischen kräftig mit, sondern auch Selenskyjs
politische Gegner.
Und überhaupt: Glaubt man der offiziellen Darstellung des Kreml, steht ganz
Kupjansk bereits unter russischer Kontrolle. Das russische Oberkommando
hatte im November und Dezember wiederholt die Einnahme der Stadt verkündet.
Für die Eroberung der Stadt verlieh der russische Präsident Wladimir Putin
dem Befehlshaber der russischen Streitkräfte in diesem Gebiet, General
Sergei Kusowlew, sogar die Auszeichnung „Held Russlands“. Am vergangenen
Dienstag bekräftigte Putin seine Behauptung von der Einnahme erneut.
## Kein Zugang für Journalisten
Die ukrainische Operation in Kupjansk wird unter einer maximalen
Informationssperre durchgeführt. Journalisten haben bis heute keinen Zugang
zu der Stadt. Allerdings nicht wegen fehlender ukrainischer Kontrolle über
das Gebiet, sondern wegen des ungeschützten Luftraums. Die Russen setzen
verschiedene Drohnenarten ein, gegen die auch mit der EloKa wenig
auszurichten ist. Ukrainische Soldaten kommen jedoch sowohl mit Fahrzeugen
als auch zu Fuß in die Stadt.
Die Vorbereitungen für die ukrainische Gegenoffensive begannen im August
und dauerten bis Oktober 2025. In dieser Zeit wurden die Dörfer
Kindraschiwka, Mirnyje und Radkiwka nordwestlich von Kupjansk befreit.
Ukrainische Truppen erreichten den Fluss Oskil, die Russen mussten sich auf
die andere Seite zurückziehen. Eine Pipeline, über die russische Truppen in
den Norden der Stadt eingedrungen waren, wurde ebenfalls zerstört. 40,2
Quadratkilometer ukrainischen Territoriums wurden zurückerobert.
Lediglich der Generalstab und das Korps der Nationalgarde der Ukraine, das
für die Kämpfe in diesem Gebiet zuständig ist, sind auskunftsbefugt. Laut
ihren Angaben seien Mitte Dezember 2025 etwa 40 bis 50 russische Funkgeräte
in der Stadt geortet worden. Da jeweils ein Funkgerät einer Gruppe von vier
bis fünf Soldaten zugeordnet ist, bedeutet dies, dass derzeit bis zu 200
russische Soldaten eingekesselt sind. Die ukrainische Seite spricht von
einer kompletten Einkesselung.
In Kupjansk und Umgebung wurden 1.027 russische Soldaten getötet, ihr Tod
ist durch Videos dokumentiert. Zusätzlich wurden 291 Besatzer verwundet und
13 gefangen genommen. Die russischen Nachschubwege in die Stadt sollen
mittlerweile abgeschnitten sein. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen
Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, erklärte, dass die Ukraine mit Stand vom
17. Dezember 90 Prozent der Stadt Kupjansk kontrolliere.
## Lenkbomben, Drohnen und Raketen
Auch der ukrainische Informationsdienst Deep State, der über militärische
Quellen verfügt, hat die erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen
Verteidigungskräfte in Kupjansk bestätigt. Analysten zufolge kontrollieren
russische Truppen seit dem 17. Dezember einen Teil des Stadtteils Jubileiny
mit Hochhäusern im Süden der Stadt, mehrere kleine Viertel mit Hochhäusern
im Stadtzentrum in der Nähe des Stadions sowie ein Einfamilienhausgebiet
südlich des Marktes im Zentrum von Kupjansk.
Dass die ukrainischen Kräfte vorrücken, berichten auch ukrainische Soldaten
aus verschiedenen Brigaden in diesem Gebiet, Angehörige der Sondereinheit
der Charkiwer Polizei und Soldaten des Sicherheitsdienstes der Ukraine, die
an der Gegenoffensive beteiligt waren, in privaten Gesprächen.
Und dennoch: Russische Streitkräfte greifen Kupjansk weiter mit Lenkbomben,
Raketen und Drohnen an. Dennoch ist der Sanitäter „Lasar“ zuversichtlich.
„Wir befreien die Stadt, die Lage ist viel besser, als sie bislang war“,
sagt er. Die in Kupjansk gerade häufigsten Verletzungen würden durch
Drohnenangriffe und Artilleriebeschuss verursacht. Dabei handele es sich
hauptsächlich um Schnittwunden, geschlossene Schädel-Hirn-Traumata und
Prellungen. Chemische Verletzungen hätten die Polizeimediziner in Kupjansk
bisher noch nicht festgestellt.
„Die Stadt ist komplett zerstört. Es gibt nur sehr wenige Zivilisten“, sagt
der Chef der Charkiwer Polizei-Sondereinheit mit dem Kampfnamen „Bulava“
(Keule). 2022 vor dem Beginn der vollumfänglichen Invasion in die Ukraine
lebten 26.600 Menschen in Kupjansk. „Bulava“ hat erst vor Kurzem einige
seiner Kameraden aus Kupjansk evakuiert. „Wir evakuieren, wenn es nötig
ist, wenn die Menschen uns darum bitten. Es ist fast niemand mehr in der
Stadt, nur noch wenige alte Leute“, so „Bulava“.
Nach Kupjansk fahren diese Polizisten regelmäßig. Mit hoher Geschwindigkeit
und „Hoffnung“, wie einer sagt. Denn es bleibt weiterhin gefährlich.
Wahrscheinlich ist, dass sich aufgrund der großen internationalen Resonanz
die Lage noch einmal verschärfen wird. Die russische Armee wird sich noch
mehr anstrengen. Und so manch ein russischer Soldat wird den bereits an
General Kusowlew verliehenen Orden für die Eroberung von Kupjansk mit
seinem Leben bezahlen.
Aus dem Russischen: Gaby Coldewey und Barbara Oertel
17 Dec 2025
## AUTOREN
(DIR) Juri Larin
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