# taz.de -- Rückblick auf Corona-Pandemie: „Bis heute ist Corona für uns allgegenwärtig“
       
       > Die Lebensrealitäten in der Corona-Pandemie drifteten in Deutschland
       > stark auseinander. Fünf Menschen blicken zurück auf Frust, Hoffnung und
       > Verluste.
       
 (IMG) Bild: Normalerweise belebte Orte waren in den ersten Monaten der Pandemie gespenstisch leer, wie der Viktoriapark in Berlin im März 2020
       
       Zara, 19, Fachabiturientin
       
       Dass wir so vieles nicht machen konnten, anders als andere Jahrgänge, fühlt
       sich bis heute unfair an. Eigentlich war ich 2020 in der Profilklasse für
       Musik und Kunst und hätte Gitarre lernen sollen. Doch statt praktischem
       Unterricht gab es nur noch [1][Arbeitsblätter und Zoom-Calls]. Nicht alle
       hatten Laptops und Drucker, oft musste das Handy herhalten. Mein jüngerer
       Bruder und ich teilten uns einen Laptop und das Zimmer.
       
       Überhaupt war es manchmal herausfordernd, mit meinen vier Geschwistern und
       meiner Mama in einer Wohnung zu leben. Gleichzeitig war ich froh darum. Als
       Einzelkind wäre ich vielleicht noch einsamer gewesen. Dank sozialer
       Netzwerke bin ich zumindest mit meinen Freunden in Kontakt geblieben.
       Außerdem war ich auch auf Discord – einem Gaming-Server –, um Leute
       kennenzulernen, dabei habe ich nicht mal gespielt. Das hatte noch etwas
       Positives: Weil dort alle Englisch sprachen, konnte ich meins auf
       Top-1-Niveau bringen.
       
       Mit den Onlinecalls war richtiges Lernen unmöglich. Weil ich nur zu Hause
       war, hatte mich Schule irgendwann nur noch gelangweilt.
       
       Für mich war Corona schwierig, ich hatte riesige Angst, Menschen in meiner
       Familie anzustecken. Zum Glück habe ich mich selbst nie angesteckt. Und ich
       habe mich auch impfen lassen zur Klassenfahrt. Trotzdem hatte ich auch
       Sorge, wie [2][die Impfung bei mir wirkt].
       
       Meinen mittleren Schulabschluss habe ich fast geschenkt bekommen, die
       Abschlussprüfung bestand nur aus der Klausur. Der Jahrgang über mir, die
       2005er, mussten sogar nur eine Präsentation machen.
       
       Bei meinen Prüfungen zum Fachabi merke ich immer noch die Lücken von
       Corona. Manche Lehrer haben das auf dem Schirm, andere kapieren das nicht
       und werten einen ab.
       
       Immerhin weiß ich jetzt, wie ich gut lerne. Für mich ist wichtig, morgens
       rauszugehen und ich brauche eine Person vor mir, bei der ich nach der
       Stunde nachfragen kann.
       
       Moritz, 29, Medizinstudent
       
       Menschen in meiner Umgebung erinnern sich manchmal daran, wie ihnen während
       der Pandemie zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist. Ich kann das
       überhaupt nicht nachempfinden, weil ich damals mehr gearbeitet habe als je
       zuvor. Zu Beginn als Pfleger auf der „normalen“ Station für
       Coronapatient*innen, später auf der Intensivstation. Vor allem die Arbeit
       auf der Intensivstation war super anstrengend, hat mich aber auch ein Stück
       weit entlastet. Weil ich mich wirkmächtig gefühlt habe, zumindest
       irgendetwas tun zu können gegen diese Situation, der wir ja alle erst mal
       ausgeliefert waren.
       
       Gleichzeitig war es viel zu viel Arbeit für viel zu wenig
       Freizeitausgleich. Früher haben wir Kolleg*innen uns nach einem
       anstrengenden Dienst abends noch zusammen in eine Kneipe gesetzt, uns
       ausgetauscht und abgelenkt. In den Hochzeiten der Pandemie konnten wir noch
       nicht mal zu zweit draußen spazieren gehen. In meiner WG war es auch nicht
       einfach, ich hatte eine ganz andere Lebensrealität als meine Mitbewohner.
       Sie wollten sich am liebsten gar nicht mehr mit Corona beschäftigen und ich
       suchte den Austausch, weil mich die Eindrücke aus dem Krankenhaus
       belasteten.
       
       Weil sich auch viele meiner Kolleg*innen mit Corona infizierten, gab es
       immer mehr zu tun. Zum Teil musste ich neun oder zehn Tage in Folge
       arbeiten. Anfangs hatte ich Angst, so viel Kontakt mit
       Coronapatient*innen zu haben. Was passiert, wenn ich meine Eltern
       besuche und krank bin, ohne es zu merken? Oder meinen Mitbewohner anstecke,
       der dann zu seiner Oma fährt? Vielleicht war ich auch ein bisschen
       paranoid, das war bestimmt dem Stress und der großen Ungewissheit
       geschuldet. Zwischenzeitlich habe ich selbst zu Hause eine Maske getragen.
       
       Die ständige Konfrontation mit dem Tod war für mich nichts Neues. Das ist
       man als Pfleger in einem Krankenhaus gewohnt. Dramatisch war, wie viele
       [3][Menschen gestorben sind, ohne ihre Angehörigen] bei sich zu haben. Für
       viele waren wir in unserer Schutzausrüstung die Letzten, die sie in ihrem
       Leben gesehen haben. Von ihnen Abschied zu nehmen, war nicht wirklich
       möglich, denn kurz nach ihrem Tod mussten wir sie in schwarze Leichensäcke
       packen.
       
       Nach der Pandemie wusste ich, dass ich nicht in der Pflege bleiben will.
       Generell halten nur wenige, die die Ausbildung heute abschließen, den Beruf
       über viele Jahre aus. Er ist für den Körper einfach sehr anstrengend, die
       Arbeitsbedingungen sind miserabel. Während der Pandemie wurde dafür [4][an
       den Fenstern geklatscht]. Verändert hat das nichts.
       
       Natascha, 43, Frührentnerin
       
       Vor Corona hatte ich keine Angst. Jedenfalls nicht davor, selbst schwer zu
       erkranken. Bis zu meiner Infektion im April 2022 war ich schon dreifach
       geimpft. Ich hatte einen milden Verlauf, nur leicht erhöhte Temperatur,
       Husten, Schnupfen. Nach einer Woche waren die Symptome wieder weg. Doch
       dann hatte ich ungefähr alle vier Wochen einen positiven Coronatest. Auch
       gesundheitlich ging es mir zunehmend schlechter. Ich war immer müde, habe
       mich krank gefühlt und konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren.
       Diagnose: Post-Covid mit Fatigue-Syndrom.
       
       Während der Pandemie habe ich im medizinischen Dienst gearbeitet und war
       dafür zuständig, Patienten zu begutachten und zu bewerten, ob bestimmte
       Leistungen für sie begründbar sind. Da waren vereinzelt schon
       Post-Covid-Betroffene dabei. Ich weiß noch, dass ich bei einer jungen
       Mutter zu Besuch war, die ein Herz transplantiert bekommen sollte, weil ihr
       eigenes nicht mehr richtig funktioniert hat. Sie war völlig aus dem Leben
       gerissen. Ich weiß noch, wie sehr mich das berührt hat.
       
       Heute sitze ich im Rollstuhl, weil ich nicht länger als 500 Meter alleine
       gehen kann. Seit mehr als zwei Jahren kann ich nicht mehr arbeiten, obwohl
       ich das immer so gern getan habe. Als die Symptome schlimmer wurden, war
       ich erst im Homeoffice und wurde zeitweise krankgeschrieben, um mich
       auszuruhen. Leider hat nichts davon geholfen. Ich konnte kaum noch
       vernünftig mit meiner Familie sprechen, dauernd sind mir Begriffe
       entfallen. Ich hatte Fieber, obwohl ich gar nicht krank war. Meine
       [5][Post-Covid-Erkrankung hat sich zur schwersten Form], zu ME/CFS
       entwickelt.
       
       An besonders guten Tagen kann ich selbstständig ein Brot holen. Ansonsten
       bin ich in der Regel, egal was ich tue, auf Begleitung angewiesen. Mein
       Mann arbeitet in Vollzeit und muss trotzdem fast den ganzen Haushalt
       alleine bewältigen. Meine Kinder müssen auf vieles verzichten, um mir unter
       die Arme zu greifen. Früher haben wir immer viel zusammen unternommen, das
       vermisse ich sehr. Auch das Reisen. Inzwischen kann ich das nur noch
       bedingt und auch nur in bestimmte Gebiete, wo es nicht zu warm und nicht zu
       kalt ist.
       
       Es ist unwahrscheinlich schwierig, mit gesunden Menschen [6][über diese
       Erkrankung zu sprechen]. Denn ich habe eben kein gebrochenes Bein, ich sehe
       auch nicht unbedingt immer schlecht aus. Wahrscheinlich hat sich deshalb
       auch in der Politik lange so wenig bewegt. Viele haben immer noch keine
       Ahnung, was Post-Covid oder ME/CFS überhaupt bedeutet. Und viele wollen
       davon auch gar nichts wissen, denn an die Pandemie möchte man lieber nicht
       erinnert werden.
       
       Wir Betroffene werden das leider jeden Tag.
       
       Natascha, 58, Yogalehrerin
       
       Es gab Phasen, da habe ich überlegt, mich gegen Corona impfen zu lassen.
       Ich habe damals in einer Grundschule gearbeitet, hatte also als über
       50-Jährige jeden Tag Kontakt mit Kindern. Natürlich habe ich mir die Frage
       gestellt, ob ich das für mich vertreten kann. Ich habe mich jeden Morgen
       getestet, habe Corona und die damit verbundenen Regeln ernst genommen.
       Gleichzeitig bin ich, was meinen Körper betrifft und die Einflüsse auf ihn
       von außen, generell sehr sorgfältig.
       
       Anfangs, als die Pandemie ausgebrochen ist, habe ich mich noch gar nicht so
       isoliert gefühlt. Los ging es erst, als es den Impfstoff gab und sich in
       meinem Umfeld viele Menschen impfen ließen. Ich hatte das Gefühl, zu einer
       Entscheidung gedrängt zu werden, obwohl die [7][Impfstoffe noch neu] und
       wenig erforscht waren. Weil ich mich gegen die Impfung entschied, wurde ich
       vom Rest der Gesellschaft abgetrennt. Irgendwann konnte ich nicht mehr Yoga
       unterrichten, trotz Hygieneplan und Abstandsregeln. Ich konnte nicht in
       Restaurants oder Bars gehen, auch als die schon längst wieder offen waren.
       
       Wenn ich mich daran zurückerinnere, breitet sich eine tiefe Traurigkeit in
       mir aus. Ich hatte das Gefühl, nirgends zugehörig zu sein. Das Narrativ war
       ja, entweder man gehörte zur geimpften Mehrheit oder zur Minderheit, den
       Impfgegnern, den Verschwörungstheoretikern, den Coronaleugnern. Als gäbe es
       nur Gut und Böse, Schwarz und Weiß.
       
       Während Corona blieb mir eigentlich nichts anderes übrig, als mich auf mich
       selbst zu fokussieren. Ich bin ohnehin viel in der Natur und selten in
       großen Menschengruppen unterwegs, von daher kam ich mit meiner Situation
       schon irgendwie klar. Aber ich weiß noch, dass ich mich in vielen Momenten
       ohnmächtig gefühlt habe. Und auch Angst bekommen habe, nicht vor dem Virus,
       sondern vor der fehlenden Menschlichkeit. Zum Beispiel, als ich vor
       [8][leeren Supermarktregalen] stand und an der Kasse ein Schild hing mit
       der Bitte, nur noch maximal drei Pakete Zucker und Mehl mitzunehmen.
       
       Die Traurigkeit ist immer wieder da, wenn ich an Corona erinnert werde. Ich
       wünschte, wir würden mehr darüber sprechen, wie es gelingen kann,
       zukünftige Krisen miteinander zu bewältigen, ohne Menschen auszuschließen.
       
       Ute, 71, Rentnerin
       
       Bis Corona kam, haben mein Mann Frank und ich jeden Tag unsere Mütter im
       selben Altenheim besucht. Meine Mutter hatte [9][Demenz], Franks Mutter
       benötigte mit 90 viel Betreuung.
       
       Im Frühjahr 2020 durfte plötzlich niemand mehr ins Heim. Erst brachten sie
       zu Terminen unsere Mütter ins Freie, bald durften wir sie nur noch am
       Fenster mit einer Tischlänge Abstand besuchen. Meine Mutter war so dement,
       sie hat das gar nicht mehr mitbekommen. Meine Schwiegermutter hingegen
       schon, aber immer hat sie gefragt: Warum kommt ihr nicht mehr rein und
       besucht mich? Mit jedem Besuch am Fenster wurde sie teilnahmsloser.
       
       Als wir sie dann im harten Lockdown gar nicht mehr sehen durften, lief auch
       das Telefonieren nicht mehr gut. Nur einmal, als sie nach einem Sturz eine
       tiefe Platzwunde am Kopf hatte, durften wir sie im Heim sehen. Wenn sie
       sagte, im Heim gehe es ihr nicht gut, konnten wir nur telefonisch
       nachforschen. Und dann starb sie auch noch im Krankenhaus – [10][ganz
       alleine]. Bis heute fragen wir uns, was damals im Heim eigentlich passiert
       war. Meinen Mann hat das richtig aufgefressen. Wir sind noch in der Nacht
       hingefahren und durften mit Mundschutz aufs Zimmer. Sie war ja schon tot.
       Wir fragten uns, ob das mit Schutzkleidung nicht vorher gegangen wäre. Vier
       Wochen später verstarb auch meine Mutter. In der Woche, in der sie im
       Sterben lag, durften meine Schwestern und ich sie in Schutzkleidung
       besuchen.
       
       Später haben wir uns auch angesteckt. Im Urlaub, in einem Hotel mit gerade
       mal sechs anderen Gästen. War es also doch richtig, alles abzusperren? Das
       hat uns zerrissen: die Angst, jemanden im Heim anzustecken und zugleich die
       Mutter im Stich zu lassen. Unsere Mütter sind zuletzt nicht an Corona
       gestorben. Sie starben an Herzschmerz.
       
       Bis heute ist Corona für uns allgegenwärtig. Aber wir versuchen, nach vorne
       zu gucken. Die Schwiegermutter war 96, ein schönes Alter und vielleicht
       wäre sie auch so gestorben.
       
       28 Dec 2025
       
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