# taz.de -- Jane Austens Roman „Northanger Abbey“: Catherine und die Geister
       
       > Auch in „Northanger Abbey“ wird am Ende geheiratet. Aber bis dahin
       > parodiert Jane Austen kunstfertig und liebevoll den damals populären
       > Schauerroman.
       
 (IMG) Bild: Bebilderung aus der Originalausgabe von Jane Austens “„Northanger Abbey“
       
       Zwischen [1][E. T. A. Hoffmann] und [2][H. P. Lovecraft]: Als Folgen 40 und
       41 erschien im Jahr 2010 in der deutschen Hörspielreihe „Gruselkabinett“
       eine [3][dramatisierte Bearbeitung] von „Northanger Abbey“. Ja, Jane
       Austens erstem fertiggestellten, dann aber erst nach Überarbeitungen und
       postum veröffentlichten Roman. Ausgerechnet diese Autorin also hat ein
       „Meisterwerk der Schauer-Romantik“ verfasst, wie die Reihe lange Zeit für
       sich in Anspruch nahm? Nein, hat sie nicht – aber.
       
       Auch hier geht es um eine junge Frau auf der Suche, und am Ende wird
       geheiratet. Zwischen 1798 und 1803 geschrieben und im Dezember 1817
       schließlich herausgekommen, ist „Northanger Abbey“ aber ein Spiel mit den
       Konventionen der seinerzeit enorm populären [4][Gothic novel]. Austen
       greift auf, variiert, überzieht und ironisiert. Das Objekt der
       kompliziert-doppelbödigen Verarbeitung ist insbesondere eine erfolgreiche
       Kollegin: Ann Radcliffe, bekannt vor allem durch ihren einflussreichen
       Roman „Udolphos Geheimnisse“ von 1794.
       
       ## Schatten werfende Gemäuer
       
       Die Abtei oder, je nach Übersetzung, das Kloster von Northanger nimmt als
       Schauplatz gar nicht genug Raum ein, als dass es Austen den Titel stiften
       müsste. Aber es ist doch die Art von altem Gemäuer, ohne die damals kein
       Schauerroman auskam; die Northanger Abbey werfe ihren Schatten ja merklich
       über die Handlung, so hat der in Australien lehrende irische
       Literaturwissenschaftler Chris Murray die Prominenz einmal [5][zu erklären
       versucht].
       
       Gleich zu Beginn nimmt Austen den Spielball auf: Über den Vater von
       Protagonistin Catherine Morland erfahren wir, er „neigte nicht im
       Geringsten dazu, seine Töchter einzusperren“. In den Schauerromanen, die
       Austen aufs Korn nimmt, fiele der brave Landpfarrer damit beinahe schon aus
       dem Rahmen. Von ihrer Mutter heißt es gleich darauf: „Sie hatte bereits
       drei Söhne, als Catherine geboren wurde, und anstatt zu sterben, als sie
       Letztere in die Welt setzte […], lebte sie weiter, bekam noch sechs Kinder,
       sah diese heranwachsen und erfreute sich bester Gesundheit.“ Die früh
       verstorbene, auch gemordete Mutter aber: gleich noch so ein Standard der
       damaligen horrid novels. (So etwas erfährt, wer die schmucke
       [6][Büchergilden-Jubiläumsausgabe] zur Hand nimmt: Die vielleicht
       maßgebliche Übersetzung von Andrea Ott begleiten hier auch sehr informative
       Anmerkungen.)
       
       Die horrid novels treten sogar selbst auf: Neben „Udolpho“ unterhalten sich
       die anfangs arg naiv gezeichnete Catherine und ihre neue Freundin Isabella
       Thorpe über einen ganzen Schwung dringend zu lesender Romane. „Sind sie
       auch wirklich alle schön schaurig?“, fragt eine aufgeregte Catherine. „Bist
       du sicher, dass sie alle schaurig sind?“
       
       ## Schundbücher vor dem Vergessen bewahrt
       
       Es sind reale Bücher, darunter ein weiteres von Radcliffe und zwei aus dem
       Deutschen übersetzte. Für einige der Titel dürfte ihre Erwähnung in
       „Northanger Abbey“ die Rettung vor dem Vergessen bedeutet haben: Eine 1968
       herausgegebene „Gesamtausgabe“, sieben teils [7][für Austen’sche
       Erfindungen gehaltene] Titel, findet sich, Stand Anfang Dezember, [8][im
       Internet für gut 600 Euro angeboten].
       
       Die „wirklich schön schaurigen“ stehen dabei für den Roman an sich, für
       eskapistisches Glücksversprechen und einen mahnenden Diskurs um
       Realitätsverlust und, überhaupt, schickliches Benehmen: Der Clou von
       „Northanger Abbey“, auch im parodistischen Sinn, ist ja, dass Catherine die
       Realität zum Spukstück überhöht, Geheimnis sieht, wo keines ist,
       verheimlichte Verbrechen wähnt, wo keine begangen wurden – ganz unter dem
       Einfluss der heißgeliebten, nun, Schundliteratur.
       
       Man ersetze Schauerroman durch Horrorvideo oder Ego-Shooter, und lande in
       höchst heutigen Debatten; eine vielleicht überraschende Facette
       Austen’scher Aktualität. Als ihr englischer Verlag vor ein paar Jahren, zu
       einem anderen Jubiläum, heutige Autor:innen mit „Rewrites“ des
       Austen-Katalogs betraute, gelangte „Northanger Abbey“ in die Hände der
       schottischen Thriller-Queen [9][Val McDermid]. Die machte daraus eine
       Young-Adult-Spannungs-Version, eng am Original, aber nun wurden halt auch
       sehnsüchtige SMS geschrieben.
       
       Neben zwei erwartbaren Verfilmungen, 1987 und 2007, wurde Catherine Morland
       zur Heldin zweier Web-Serien, und in dem Jugendbuch-Pastiche „Northanger
       Alibi“ schwärmt die Hauptfigur dann statt für gotischen Grusel für den
       „Twilight“-Zyklus. Auch eine [10][queere Graphic-Novel-Variante] gibt es
       und sogar mehrere erklärte Fortsetzungen: [11][„Murder at Northanger
       Abbey“] von Shannon Winslow oder „Woodston“ von [12][Kate Westwood].
       
       Vielleicht ist diese Geschichte um die Macht der Medien und die
       Selbstbehauptung junger Frauen noch längst nicht auserzählt?
       
       9 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Schauerliteratur
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=sRAYESjnWzo
 (DIR) [6] https://buechergilde.de/shop/produkte/176327-northanger-abbey
 (DIR) [7] https://alwaysausten.com/2024/10/07/northanger-horrid-novels-did-the-actually-exist/
 (DIR) [8] https://www.etsy.com/de/listing/1888307693/erste-ausgabe-1968-the-northanger-set-of
 (DIR) [9] /crime-scene/!689930
 (DIR) [10] https://www.harpercollins.com/products/northranger-rey-terciero?variant=40985569558562
 (DIR) [11] https://austenprose.com/2020/07/03/murder-at-northanger-abbey-sequel-to-jane-austens-spoof-on-the-gothic-novel-by-shannon-winslow-a-review/
 (DIR) [12] https://www.goodreads.com/author/show/18850096.Kate_Westwood
       
       ## AUTOREN
       
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