# taz.de -- 250. Geburtstag von Jane Austen: Wenn Paare zueinanderfinden
       
       > Das Romance-Genre boomt und beruft sich auf Jane Austen als Ahnherrin. Zu
       > Recht? Auftakt einer Reihe zum 250. Geburtstag der britischen Autorin.
       
 (IMG) Bild: Liebe auf den ersten Blick? Mr. Darcy und Elizabeth B. starten den „Enemies to Lovers“-Topos. „Stolz und Vorurteil“ (2005)
       
       Boy meets Girl, die Formel ist einfach: Zwei Menschen begegnen sich, sie
       stolpern und ringen, verändern sich dabei, doch am Ende finden sie
       zueinander. Ein Erzählrezept, das zuverlässig funktioniert. Das,
       wahrscheinlich auch dieser Einfachheit wegen, überall zu entdecken ist.
       Besonders in den Büchern auf der „BookTok-Bestseller“-Liste, auf den
       New-Adult-Tischen in den Buchhandlungen, in Reihen wie Ana Huangs „Twisted
       Dreams“ oder in Caroline Wahls Erfolgsromanen „22 Bahnen“ und „Windstärke
       17“.
       
       Wer heute einen New-Adult-Roman oder eine Romance-Novel aufschlägt,
       begegnet einer entfernten Verwandten jener Geschichten, die Jane Austen vor
       mehr als 200 Jahren zu schreiben begann. Viele Autorinnen des Genres sehen
       in Austen deshalb die Erfinderin des „Enemies to Lovers“-Topos und die
       Patronin ihrer romantisch verstrickten Heldinnen. [1][Romance boomt] und
       das Genre scheint auf den ersten Blick nichts anderes zu tun, als eine alte
       Formel zu erneuern.
       
       Doch so sehr sich die Branche auf sie beruft, als hätte Austen schon damals
       den Grundstein zur heutigen Feel-Good-Literatur gelegt: Diese Verehrung ist
       oft vereinfachend naiv. Austen als bloße Romantikerin zu lesen, mag bequem
       sein, richtig ist es nicht. [2][H. G. Wells] nannte Austen einst einen
       bezaubernden Schmetterling „ohne jedes Mark“. Ein Missverständnis, aus dem
       sich die moderne Romance gern bedient. Denn Austen ist ein Skalpell. Es
       stimmt, zwischen ihrem Werk und den Romance-Novels gibt es
       Berührungspunkte. Aber eben auch tiefe Gräben.
       
       ## Das Erbe und die Klasse
       
       Das Happy End gehört in beide Welten, meint aber Unterschiedliches. Wenn
       das [3][Paar zueinanderfindet,] ist es bei Austen ein ökonomischer und
       sozialer Grundpfeiler, der Frauen überhaupt erst Handlungsspielraum
       verschafft. In einer Zeit, in der unverheiratete Damen nach geltendem Recht
       nicht einmal eine eigene Wohnung haben oder alleine reisen durften. Die
       Hochzeit ist die soziale Grundwährung der Lower Gentry, des Landadels, zu
       dem Austen selbst gehörte.
       
       Das Erbproblem – in [4][„Stolz und Vorurteil“] personifiziert durch Mr.
       Collins, der, kommen die Töchter nicht unter die Haube, das Bennet-Anwesen
       erbt – ist zentrales Motiv einer Klasse, deren Töchter buchstäblich in die
       Zukunft einheiraten mussten.
       
       In der modernen Romance dagegen dient die Beziehung, die Heirat, eher der
       inneren Heilung, weniger der sozialen Sicherung. Dass der Love Interest
       meist beinahe zufällig Millionär, Erbe, Neurochirurg oder hochbezahlter
       Profisportler ist, erscheint als geduldeter Bonus, nicht als
       Existenzsicherung. Reichtum ist hier ein ästhetischer Effekt, Geld
       existiert als Versprechen von Sorglosigkeit, aber es wird fast schamhaft
       verleugnet. Die Heldin ist, ganz nebenbei, stets naiv distanziert gegenüber
       Vermögen, so als müsse sich die Romance ihrer eigenen Luxusfantasie
       entschuldigen. Austen hingegen benennt Zahlen: [5][Mr. Darcys 10.000 Pfund]
       jährlich markieren seinen gesellschaftlichen Rang präzise.
       
       Und was passiert, findet das gebeutelte Paar zusammen? In der Romance ist
       das klar: Sex, endlich. Die Szenen sind ausführlich, explizit, dienen als
       dramaturgische Spannungsachse. Austen dagegen schreibt sexuelles Begehren
       ausschließlich durch dessen Abwesenheit, in Andeutung, verschobenen Blicken
       oder in gesellschaftlichen Ritualen. Austen war keine prüde Autorin, doch
       ihre Erotik entsteht in der sozialen Choreografie, nicht im Schlafzimmer.
       
       ## Die Leerstellen der Beschreibung
       
       Raum lässt Austen auch in der Beschreibung ihrer Figuren. Über Mr. Darcy
       erfahren wir im Grunde nur drei Worte: tall, dark and handsome. Mehr
       braucht Austen nicht. Ihre Figuren entstehen aus Verhalten, nicht aus
       Körperdetails, aus Moral, nicht aus Makellosigkeit. Ganz anders die heutige
       Romance: Der „Love Interest“ wird als visuelles Gesamtkunstwerk
       ausgeleuchtet, mit Sixpack, eisblauen Augen und verwuschelter Frisur.
       Nichts bleibt der Vorstellung überlassen. Romanhelden folgen meist
       normierten Schönheitsidealen, illustriert wie aus dem Katalog; manche
       Bücher liefern sogar Postkarten der Protagonisten mit, sogenannte
       „Character Cards“.
       
       Wo Austen Leerstellen lässt, liefert Romance visuelle Totalität.
       Deutungsspielraum brauchen die zeitgenössischen Romance-Erzählungen nicht,
       sie setzten auf maximalen Detailrealismus, einer der Gründe, der sie so
       hindernislos lesbar macht.
       
       Romance-Autorinnen betonen gern, dass der beliebte „Enemies to
       Lovers“-Trope eigentlich auf „Stolz und Vorurteil“ zurückgeht. Was Austen
       zwischen Darcy und Elizabeth beschreibt, ist kein Hass, sondern ein
       kompliziertes soziales Gefüge: Klassendistanz, verletzte Eitelkeiten –
       Stolz und Vorurteil eben. Romance macht aus der Paar-Findung eine
       Dramaturgie, während Austen dagegen eine subtile Charakterstudie und eine
       scharfe Gesellschaftsanalyse zu Papier brachte.
       
       Und Austen ist unbarmherzig, ihre Figuren prüft sie ständig und verurteilt
       sie scharf. Mary Bennet etwa macht die Kultautorin zur tragischen Fußnote:
       Mary bleibt unverheiratet, zum Leben bei der alten Mutter verdammt. Ein
       Schicksal, das Austen aus nächster Nähe kannte. Sie selbst, siebtes von
       acht Kindern, nie verheiratet, trotz Verehrern und Heiratsangebot. Ihre
       Romane wissen, wovon sie schweigen.
       
       ## Das reine Herz der Heldinnen
       
       Die Moral in den romantischen Romanen folgt einer anderen, weicheren
       Funktion. Ihre Heldinnen müssen ein reines Herz besitzen, sich im Kern
       niemals falsch verhalten, während ihre Helden missverstandene Männer mit
       guten Absichten sind, deren grobes Benehmen zuverlässig durch
       Kindheitstraumata oder Familienwunden psychologisiert wird. Moral ist
       weniger Kritik als Belohnungslogik: Wer nur gut genug bleibt, bekommt am
       Ende den gutaussehenden, reichen, verletzten Mann.
       
       Der Ursprung der jüngsten New-Adult-Welle, die frühen 2020er Jahre, waren
       geprägt von den Auswirkungen der Coronapandemie, es entstand eine neue
       Leselust, vorangetrieben vom Stillstand des öffentlichen Lebens und eines
       neuen digitalen Nähe-Distanz-Verhältnisses. Eine Zeit, ideal als Brutstätte
       eskapistischer, tröstender Erzählungen von Selbstfindung, Heilung und der
       Gewissheit, dass Liebe rettet.
       
       Austen arbeitete ebenfalls in einer Ära drastischer Verwerfungen, im
       Schatten des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs, der napoleonischen
       Kriege des Königreichs und der Französischen Revolution. Während Romance
       Konflikte meist auf das Innenleben ihrer Figuren verengt, schrieb Austen
       über Beziehungen in einer Welt, die bedroht war. „[6][Mansfield Park]“
       entsteht, während sie militärische Traktate über die Schwächen der
       britischen Verteidigung studiert.
       
       Das spiegelt sich in den Texten, sie sind bevölkert von militärischem
       Personal. Doch Austen schrieb nicht als Eskapismus. Dieses Bewusstsein für
       die Zerbrechlichkeit der Welt fehlt in vielen zeitgenössischen Romance- und
       New-Adult-Romanen, die Krisen auf Paarebene beschränken.
       
       ## Zuneigung gehört zur Partnerwahl
       
       Literaturhistorisch muss Austen aber noch aus einem anderen Grund ernst
       genommen werden: Sie ist die erste Autorin, die weibliche romantische Liebe
       als legitimes Kriterium der Ehe verhandelt. Austen nimmt weibliches
       Empfinden ernst, ohne es zu sentimentalisieren. Ihre Heldinnen sind
       selbstständige Akteurinnen, keine Empfängerinnen von Heiratsangeboten. Dass
       Zuneigung und Respekt zur Partnerwahl gehören dürfen, ist um 1800
       revolutionär.
       
       Natürlich ist Romance ein weites Feld. Einige der Bücher sind diverser und
       queerer, als seine Bestseller erahnen lassen. Doch der Mainstream bleibt
       häufig ein Rückzug in alte Märchenmuster, in denen politische Realitäten
       kaum vorkommen. Austen dagegen ist politisch, subtil, trotzdem konsequent.
       Ihr Horizont bleibt die Gesellschaft, nicht das Paar.
       
       Dass [7][die Serie „Bridgerton“], dass zahllose Regency-Romance-Reihen,
       dass die florierende Austen-Fan-Fiction-Ökosphäre existieren, zeigt: Austen
       wurde von der Popkultur nicht nur vereinnahmt, sondern vervielfacht. Weg
       von Analyse, hin zu Gefühl und Körper. Sie verstärken den romantischen
       Aspekt, während das gesellschaftliche Kalkül verdampft.
       
       Vielleicht ist das der größte Unterschied: Romance will verführen. Austen
       will entlarven.
       
       7 Dec 2025
       
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