# taz.de -- Innenministerkonferenz: Leichter länger in die Haft
       
       > Niedersachsens Innenministerin will Ausreisepflichtigen leichter die
       > Freiheit nehmen – und zwar, ohne dass sie zuvor einen Richter gesehen
       > haben.
       
 (IMG) Bild: Bringt Antrag auf Verschärfungen für Asylbewerber mit zur Konferenz der Innenminister*innen der Länder: Daniela Behrens
       
       In dieser Woche treffen sich die Innenminister der Länder in Bremen. Neben
       einem [1][härteren Vorgehen gegen Pyrotechnik im Stadion] und einem Aus für
       neue [2][Cannabisclubs] soll es einmal mehr um Verschärfungen für
       Asylbewerber*innen gehen. Ein Antrag aus Niedersachsen fordert, dass
       fortan ausreisepflichtige Personen leichter festgehalten werden können –
       und zwar, ohne dass sie zuvor einen Richter gesehen haben.
       
       Der Flüchtlingsrat Niedersachsen reagiert scharf auf den Vorstoß: Von „Haft
       auf Vorrat“ ist die Rede – und die sei grundrechtswidrig. „Abschiebungshaft
       darf nur nach persönlicher Anhörung angeordnet werden“, schreibt der
       Flüchtlingsrat. Die Rechtsprechung sei eindeutig: „Haftbeschlüsse gegen
       abwesende Menschen sind unzulässig, weil jede Haftanordnung einen massiven
       Eingriff in die Freiheitsrechte darstellt“, heißt es in einer Mitteilung.
       Menschen müssten die Chance bekommen, sich zu verteidigen.
       
       Ganz so eindeutig ist die Rechtslage möglicherweise nicht: Im Strafrecht
       gibt es schon jetzt die Möglichkeit, bei einem dringenden Tatverdacht auch
       in Abwesenheit einen Haftbefehl zu verhängen. Darauf verweist auch der
       Antrag aus dem Ressort von Innenministerin Daniela Behrens (SPD).
       
       Hintergrund für den aktuellen Vorstoß ist nun laut Innenbehörde der
       [3][Fall der 16-jährigen Liana K., die im August in Friedland] vor einen
       Zug gestoßen wurde – mutmaßlich von dem ausreisepflichtigen Iraker Muhammad
       A. Dessen Überstellung nach Litauen scheiterte zuvor mehrfach, immer wieder
       tauchte er unter. Im Juli hatte die Landesaufnahmebehörde einen Antrag auf
       Überstellungshaft gestellt. Das Amtsgericht Hannover lehnte ab.
       
       Nach niedersächsischem Wunsch soll die Polizei in Zukunft eine Person auch
       ohne Haftbeschluss festhalten dürfen. Die Gerichte sollen präventiv über
       diese Ingewahrsamnahme entscheiden, in Abwesenheit des Gesuchten.
       Zusätzlich sollen die Bedingungen für Abschiebe- oder Überstellungshaft
       herabgesenkt werden.
       
       ## Schlecht gestellter Antrag statt Rechtslücke
       
       Doch tatsächlich scheiterte der Antrag der Landesaufnahmebehörde im Juli
       gar nicht an der Abwesenheit von A.: Der saß nämlich zum Zeitpunkt des
       Antrags mit einer Ersatzfreiheitsstrafe für 20 Tage in der JVA Hannover.
       Die Ausländerbehörde beantragte für die Zeit danach eine Überstellungshaft
       beim Amtsgericht – die Haft hätten sie aber mit einer Fluchtgefahr von A.
       begründen müssen. Und diese Fluchtgefahr belegte die Behörde laut
       Amtsgericht nicht, auch nicht auf Nachfrage. Muhammad A. wurde deshalb nach
       Absitzen seiner Ersatzfreiheitsstrafe freigelassen.
       
       Nicht eine Rechtslücke war also verantwortlich für die gescheiterte
       Überstellung nach Litauen – sondern ein schlecht gestellter Antrag. Das
       freilich, sagt ein Sprecher des Amtsgerichts Hannover, sei ein Problem, das
       in der Praxis immer wieder auftrete: Nicht jede Ausländerbehörde hat
       regelmäßig mit Haftprüfungsanträgen zu tun. Gerade zu schlecht besetzten
       Randzeiten, zum Beispiel am Wochenende, gibt es wenige Mitarbeiter*innen,
       die sich auskennen.
       
       Dabei muss es in solchen Situationen schnell gehen, meist viel schneller
       als im Juli in Hannover: Nach aktueller Rechtslage darf die Polizei die
       gesuchte Person nur kurz festhalten – innerhalb von maximal 48, eher aber
       24 Stunden, muss ein ordentlicher Haftbeschluss eingeholt werden; der
       Richter muss die Betroffenen dafür sofort anhören. Eigentlich bräuchten
       dafür sowohl die Ausländerbehörden als auch die Amtsgerichte ständige
       fachlich geschulte Notbereitschaften.
       
       ## Präventiver Antrag auf Haft verschafft Zeit
       
       Würde die Ingewahrsamnahme dagegen schon präventiv beantragt, könnten
       Behörde und Gerichte in aller Ruhe Anträge bearbeiten. Man würde, so das
       Innenressort, „eine rechtssichere Grundlage für Situationen schaffen, in
       denen eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung in
       Aufgriffsfällen nicht zeitnah möglich ist.“
       
       Das ist praktisch für die Behörden – geht aber auf Kosten der Grundrechte
       und des Rechtsschutzes der Geflüchteten. Der Flüchtlingsrat geht deshalb
       davon aus, dass eine Neuregelung juristisch nicht gut begründet werden
       kann: „Ich sehe hier überhaupt keine Regelungslücke“, sagt Referent
       Muzaffer Öztürkyilmaz. „Die Behörden können gesuchte Personen ja bereits
       festhalten, nur eben nicht so lange, wie sie sich das wünschen.“
       
       Die Behörde wiegelt ab: Das Gesetz solle ja nicht auf alle
       Ausreisepflichtigen angewandt werden, sondern nur in Fällen, in denen
       Menschen mehrfach bewusst untergetaucht seien und andere Mittel versagt
       hätten. Und: Die Anhörung vor Gericht solle ja auch weiterhin
       „unverzüglich“ nachgeholt werden.
       
       Genau definiert ist dieses „unverzüglich“ im Antrag noch nicht. „Über die
       Details muss dann ja erst entschieden werden“, erklärt die Sprecherin. Das
       Gesetz, das vom niedersächsischen Innenministerium als Referenz
       herangezogen wird, [4][§ 427 FamFG], sieht aber eine „vorläufige
       Freiheitsentziehung“ von maximal sechs Wochen vor – weit länger also als
       die 48 Stunden, die heute als letzte Grenze für das Festhalten ohne
       richterliche Anhörung gelten.
       
       Wenn der Richter dann irgendwann bei der Anhörung feststellt, dass die Haft
       zu Unrecht verhängt wurde, haben die Betroffenen schon lange Zeit in
       Unfreiheit gelebt. Das geschehene Unrecht ist größer, je länger es
       andauert.
       
       Dass schon mit der aktuellen Rechtslage Menschen zu Unrecht in Haft kommen,
       betont Peter Fahlbusch, Rechtsanwalt für Migrationsrecht aus Hannover. Die
       Hälfte all seiner Mandant*innen seit 2021, insgesamt 1.430 Menschen, sei
       zwischenzeitlich [5][rechtswidrig inhaftiert worden] – im Durchschnitt fast
       vier Wochen lang.
       
       Anderen Akteuren wiederum geht der Vorschlag aus dem Innenministerium noch
       gar nicht weit genug: Die CDU Niedersachsen [6][fordert in der
       Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sogar eine Fußfessel] für
       Ausreisepflichtige, damit niemand mehr verloren geht auf dem Weg zur
       möglichen Abschiebung.
       
       1 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://www.gesetze-im-internet.de/famfg/__427.html
 (DIR) [5] /Anwalt-Peter-Fahlbusch-zu-Abschiebehaft/!6083072
 (DIR) [6] https://www.haz.de/der-norden/nach-friedland-tat-cdu-will-fussfessel-fuer-abgelehnte-asylbewerber-XLOL25CBEJEDXD7EIDC44343JA.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
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