# taz.de -- Anwalt Peter Fahlbusch zu Abschiebehaft: „Mehr als die Hälfte rechtswidrig inhaftiert“
       
       > Vergessen und im falschen Knast: Peter Fahlbusch beobachtet viele Fehler
       > bei der Abschiebehaft. Aber die Regierung will die Rechte Betroffener
       > einschränken.
       
 (IMG) Bild: Endstation Deutschland: Ein Abschiebegefängnis in Hannover im Jahr 2018
       
       taz: Herr Fahlbusch, [1][im Juni hat das Kabinett nach eigenen Worten
       beschlossen], den „verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der
       Durchsetzung der Abschiebung“ abzuschaffen. Jetzt kommt das Gesetz in den
       Bundestag. Was heißt das in der Praxis? 
       
       Peter Fahlbusch: Das bedeutet zunächst einmal, dass die Koalitionäre das
       Gesetz nicht richtig gelesen haben. Einen „verpflichtend beigestellten
       Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung“ gibt es gar nicht.
       
       taz: Ach so? 
       
       Fahlbusch: Wahrscheinlich meint der Koalitionsvertrag die [2][im Februar
       2024 eingeführte Regelung], der zufolge Menschen in Abschiebungshaft eine
       sogenannte Pflichtanwält*in bestellt wird, wenn sie noch nicht
       anwaltlich vertreten werden. Friedrich Merz hatte schon im Kanzlerduell die
       Abschaffung der Pflichtanwält*innen anklingen lassen, da sie seiner
       Auffassung nach Abschiebungen mit [3][„allen Tricks“] verhindern würden.
       Das ist blanker Populismus und hat mit der bestehenden gesetzlichen
       Regelung nichts zu tun.
       
       taz: Was ist denn die Aufgabe der Pflichtanwält*innen? 
       
       Fahlbusch: Sie überprüfen einzig, ob die Haft rechtmäßig angeordnet wurde.
       Wenn diese Regelung abgeschafft wird, hängt es wieder von Glück,
       individuellem Zugang zu Informationen, sozialen Netzwerken und Vermögen ab,
       ob Menschen an eine Anwält*in kommen. Ich habe seit 2001 bundesweit
       [4][gut 2.600 Mandant*innen in Abschiebungshaft begleitet], mehr als die
       Hälfte der Betroffenen war zumindest teilweise rechtswidrig inhaftiert. Im
       Durchschnitt saßen sie knapp 4 Wochen zu Unrecht in Haft. Das zeigt, wie
       notwendig Anwält*innen für diese Menschen sind.
       
       taz: Warum sitzen so viele Menschen zu Unrecht in Abschiebungshaft? 
       
       Fahlbusch: Die Palette an Fehlern ist unfassbar breit. Teilweise sitzen
       Leute in Haft, obwohl sie das Land gar nicht verlassen müssen, krank und
       deswegen haftunfähig oder minderjährig sind. Teilweise sind Leute im
       falschen Gefängnis eingesperrt, also in Strafhaftanstalten mit entsprechend
       härteren Bedingungen. Manche werden schlicht in Abschiebungshaft vergessen:
       Wenn sie einmal inhaftiert sind, kümmert sich die zuständige Behörde nicht
       zeitnah darum, die für die Abschiebung notwendigen Dokumente zu beschaffen.
       
       taz: Und Pflichtanwält*innen können das verhindern? 
       
       Fahlbusch: Die Bestellung eines Pflichtanwalts kann helfen. Leider wurde
       das Gesetz mehr schlecht als recht umgesetzt. Nur ein Beispiel: Kennen die
       Betroffenen keine Anwält*in, sucht das Gericht sie aus. Nicht selten hat
       man das Gefühl, dass die Richter*innen dann solche Anwält*innen
       bestellen, die die Betroffenen besonders wenig engagiert vertreten. An
       vielen Gerichten können diese Anwält*innen später nicht mehr gewechselt
       werden.
       
       taz: Die Bundespolizei soll, wenn es nach der Koalition geht, auch die
       Kompetenz bekommen, vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu
       beantragen. Können Sie sagen, was das in der Praxis bedeuten würde? 
       
       Fahlbusch: Wenn die Bundespolizei zum Beispiel am Wochenende bei Kontrollen
       an Bahnhöfen Menschen ohne gültige Papiere antrifft, kann sie momentan
       nichts tun. Und die Ausländerbehörden, die möglicherweise Haft beantragen
       könnten, sind oft nicht erreichbar. Das soll die Neuregelung ändern.
       Allerdings würde die Bundespolizei Haftanträge stellen, ohne die
       Ausländerakten und damit die Besonderheiten des Falls zu kennen. Ich
       prognostiziere bereits jetzt, dass das Ganze häufig schiefgehen wird.
       Gravierender in der Praxis ist die Idee eines dauerhaften Ausreisearrestes
       für Gefährder und schwere Straftäter, nachdem diese ihre Haftstrafe verbüßt
       haben.
       
       taz: Was sehen Sie denn daran als gravierend an? 
       
       Fahlbusch: Deutschland würde die sogenannte Beugehaft wieder einführen,
       wenn dieses Vorhaben umgesetzt wird. Die Idee ist, Betroffene so lange zu
       inhaftieren, bis sie etwa ihren Pass beschaffen oder ihre wahre Identität
       preisgeben und abgeschoben werden können. Der Wille der Menschen soll also
       durch Freiheitsentzug gebrochen werden. Das ist europarechts- und
       verfassungswidrig, wie so vieles in diesem Koalitionsvertrag.
       
       taz: Was denn noch? 
       
       Fahlbusch: Leistungen für Ausreisepflichtige sollen in bestimmten Fällen
       noch häufiger gekürzt oder gar gestrichen werden – der Europäische
       Gerichtshof beschäftigt sich gerade damit, ob das überhaupt zulässig ist.
       Die schwarz-rote Koalition möchte zudem in der EU darauf hinarbeiten, dass
       Menschen auch in Länder abgeschoben werden können, zu denen sie gar keinen
       Bezug haben. Fällt das sogenannte „Verbindungselement“, würden Deals mit
       Ländern wie Ruanda möglich werden. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden in
       ein Land abgeschoben, wo Sie niemals waren und niemanden kennen! Äußerst
       besorgniserregend ist für Asylverfahren zudem die geplante Ersetzung des
       Amtsermittlungsgrundsatzes durch den Beibringungsgrundsatz.
       
       taz: Was meinen Sie damit genau? 
       
       Fahlbusch: Bislang müssen Gericht und Behörde aufklären, warum Geflüchtete
       nicht in ihrem Herkunftsland bleiben können – und zwar über das hinaus, was
       von den Asylsuchenden vorgetragen wird. Wird dies abgeschafft, können
       Gerichte ihre Entscheidung ausschließlich auf Tatsachen stützen, die die
       Beteiligten selbst vorbringen. Die Geflüchteten müssten dann alle Beweise
       für ihren Fall ranschaffen, also alle politischen, sozialen und technischen
       Zusammenhänge im Herkunftsland eigenständig darlegen. Für die Einzelnen ist
       das oft eine kaum zu überwindende Hürde. Ich finde es zynisch, dass im
       Koalitionsvertrag auch erklärt wird, das Grundrecht auf Asyl bleibe
       unangetastet: Davon ist ohnehin kaum noch etwas übrig. Wenn die Koalition
       ihre Vorhaben umsetzt, wird das eine weitere gravierende Verschlechterung
       der Rechtssituation von Geflüchteten bedeuten, weit über den Bereich
       Abschiebungshaft hinaus.
       
       8 Jul 2025
       
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