# taz.de -- Ägyptens Superstar Umm Kulthum: Wie migrantische Kultur Hamburgs Elbphilharmonie erobert
       
       > Über 2.000 Menschen kamen zu einem Konzert, das von der arabischen Ikone
       > inspiriert war – ganz selbstverständlich im Zentrum der deutschen
       > Hochkultur.
       
 (IMG) Bild: Panarabische Ikone: Dieses Café in Baghdad ist Umm Kulthum gewidmet
       
       Am Sonntag saß ich in der Elbphilharmonie und erlebte etwas, das mich
       selbst überraschte: In einem der bedeutendsten Konzertsäle Europas erklang
       Musik, die von Umm Kulthum inspiriert ist, – der größten Sängerin der
       arabischen Musikgeschichte, 1975 gestorben, aber durch ihre Musik heute
       noch lebendig. [1][Fünfzig Jahre nach ihrem Tod] wird ihre Musik in Hamburg
       gefeiert. Allein diese Tatsache erzählt bereits eine Geschichte.
       
       Umm Kulthum war nicht einfach eine Sängerin. Sie war ein Phänomen. Man
       nannte sie die „vierte Pyramide“ oder den „Stern des Orients“. Im Jahr 1924
       erschien die erste Aufnahme eines Liedes von ihr. Davon wurden 18.000
       Schallplatten verkauft.
       
       Sie gehörte zu den berühmtesten Künstlerinnen der Welt. Oft sang sie ohne
       Mikrofon, weil ihre Stimme einen ganzen Saal füllen konnte. Ihre Konzerte
       waren keine Darbietungen – sie waren Zustände. Dieser Zustand heißt Tarab –
       ein Begriff, der schwer zu übersetzen ist. Er beschreibt kollektive
       emotionale Ekstase, ein Sich-Verlieren in der Musik.
       
       Geboren Ende des 19. Jahrhunderts, begann Umm Kulthum [2][ihre musikalische
       Laufbahn als Kind]. Gemeinsam mit ihrem Vater sang sie religiöse Lieder auf
       Festen. Weil es für Mädchen gesellschaftlich nicht akzeptiert war,
       öffentlich aufzutreten, trug sie Jungenkleidung. Schon hier zeigt sich:
       Diese Stimme musste sich ihren Raum erst erkämpfen.
       
       Legendär ist ihr einziges Konzert in Paris 1967. Es wurde von Le Monde als
       eines der größten Konzertereignisse in Paris gewürdigt. Der Veranstalter
       schlug vor, sie solle zwei Stunden singen – mit drei Liedern. Er hielt das
       für großzügig. Am Ende dauerte der Abend fünfeinhalb Stunden. Drei Lieder.
       Erst danach verstand Europa, dass Umm Kulthums Musik einer anderen
       Zeitlogik folgte.
       
       All das wurde nun in der Elbphilharmonie spürbar. Für viele Deutsche war es
       eine Entdeckung. Weil sie Umm Kulthum zuvor nicht kannten. Wie konnte das
       sein? Außerhalb Frankreichs war Umm Kulthum in Europa lange kaum präsent.
       
       Für viele Menschen mit arabischer Geschichte hingegen ist ihre Stimme Teil
       der eigenen Biografie: eine Stimme der Kindheit, der Eltern, der
       Erinnerung. An jedem Ort in Syrien war Umm Kulthums Stimme präsent – im
       Radio, im Fernsehen, ihre Musik wurde in Bussen und Geschäften gespielt.
       
       Dass der große Saal mit über 2.100 Plätzen ausverkauft war, ist kein
       Zufall. Dieses Konzert hat gezeigt, wie migrantische Kultur nicht am Rand,
       sondern im Zentrum der deutschen Kulturlandschaft stattfinden kann.
       Sichtbar. Selbstverständlich.
       
       ## Nicht frei von Widersprüchen
       
       In einer patriarchalen Gesellschaft war Umm Kulthum eine emanzipatorische
       Ikone. Doch ihre Geschichte ist nicht frei von Widersprüchen. Umm Kulthum
       steht auch für etwas anderes: Sie stand dem ägyptischen Staat sehr nahe –
       zunächst dem Königreich, später dem Regime von Gamal Abdel Nasser.
       
       Genau hier setzt die berühmte satirische Episode des Dichters Ahmed Fouad
       Negm an. In einem Gedicht erzählt er von einem Studenten namens Ismail, der
       von Umm Kulthums Hund gebissen wird. Der Fall geht zur Polizei, die
       Verletzung wird bestätigt – und dennoch werden Umm Kulthum und ihr Hund von
       jeder Verantwortung freigesprochen. Begründung: ihre Verdienste für den
       Staat.
       
       Die Pointe folgt in der Realität. Der Student sagt später in einem
       Interview: „Ich bin glücklich, denn der Hund, der mich gebissen hat, war
       der Hund von Umm Kulthum.“ Negm legte noch nach: Er verbreitete die
       Anekdote, als Umm Kulthum sein Gedicht gelesen habe, habe sie gesagt: „Ich
       werde das Haus dessen zerstören, der dieses Gedicht geschrieben hat.“ Diese
       Geschichte erzählt von Macht, Nähe zur Elite und von den Brüchen hinter dem
       Mythos. Und vielleicht macht genau das [3][Umm Kulthum so relevant bis
       heute].
       
       Besonders berührend machte den Abend in der Elbphilharmonie, dass
       Musikerinnen und Musiker aus arabischen Ländern, aus dem Iran und aus
       Deutschland gemeinsam auf der Bühne standen. Es wurde auf Arabisch und
       Farsi gesungen. Es wurde gelacht, erinnert, geschwiegen, auch Tränen
       vergossen. Es war ein Abend, der gezeigt hat, dass Musik nicht nur gehört
       werden will. Sie will verstanden werden – als Geschichte, als Migration,
       als Emotion.
       
       20 Dec 2025
       
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