# taz.de -- Schärfere Flüchtlingspolitik in Berlin: Hauptsache, man sieht sie nicht
> Der Senat setzt nur noch auf Großunterkünfte für Flüchtlinge und auch bei
> ihrer Beschulung geht der Trend zur Segregation. Kritiker sind entrüstet.
(IMG) Bild: Untergebracht, aber von Wohnen weit entfernt: Geflüchtete in der Unterkunft im ehemaligen Flughafen Tegel
Zur Zeit sieht es nicht gut aus für Flüchtlinge, auch nicht in Berlin.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit verabschiedet sich der Senat
gerade scheibchenweise von lange hochgehaltenen Prinzipien. Etwa, dass
Geflüchtete möglichst dezentral untergebracht werden und dass geflüchtete
Kinder in Regelschulen gehen, um ihre Integration zu erleichtern.
Stattdessen setzt die Koalition zunehmend auf Großunterkünfte – und plant
dort „Flüchtlingsschulen" gleich mit.
Doch solche „Segregationsschulen" gefährdeten die Bildungschancen und die
psychische Gesundheit geflüchteter Kinder und Jugendlicher, heißt es in
einem offenen Brief, den 80 Berliner Organisationen an diesen Donnerstag –
dem Internationalen Tag der Kinderrechte – an Bildungssenatorin Katharina
Günther-Wunsch (CDU) überreichen. „Besonders für die große Zahl von Kindern
und Jugendlichen mit Traumafolgestörungen ist eine isolierte Beschulung
innerhalb von Großunterkünften hochgradig belastend", schreiben die
Unterzeichner – darunter Flüchtlingsrat, Moabit hilft, Grips Theater und
Terre des Hommes Deutschland.
[1][Die erste „Flüchtlingsschule" direkt in einem Heim wurde Anfang 2024 in
der Notunterkunft Tegel] für rund 300 Kinder eröffnet. Begründung: In den
Schulen der näheren Umgebung gebe es nicht genug Platz für weitere
Willkommensklassen. Was zunächst als absolute Ausnahme verkauft wurde, wird
offensichtlich zum neuen Normal. Laut Bildungsverwaltung eröffnete nach den
Herbstferien im früheren City Hotel an der Landsberger Allee eine
„Beschulung" für rund 70 Kinder, Anfang November startete zudem die
„Willkommensschule THF" am Ex-Flughafen Tempelhof mit 50 Kindern. In der
Notunterkunft Tegel, die bis Jahresende leer gezogen werden soll, gehen
weiterhin 180 Kinder in die Flüchtlingsschule. Auch in der neuen
Großunterkunft Hasenheide ist eine eigene Schule in den Räumen der
Einrichtung geplant.
Diese Praxis der Segregation stehe in eklatantem Widerspruch zu nationalem
und internationalem Recht, heißt es im offenen Brief – die Unterzeichner
verweisen unter anderem auf die UN-Kinderechtskonvention (Art. 28), den
UN-Sozialpakt (Art. 13) und die EU-Grundrechte-Charta (Art. 14). Der
Sprecher der Bildungsverwaltung, Martin Klesmann, erwiderte auf
taz-Anfrage: Es helfe nicht, „eine integrative Beschulung zu fordern, wenn
die sächlichen Ressourcen – die Klassenräume – nicht in auskömmlichen Maße
vorhanden sind". Insofern sei die vorübergehende Beschulung in Unterkünften
nur die zweitbeste Form, „aber an den genannten Standorten alternativlos".
Dennoch habe das Recht auf Bildung „oberste Priorität".
## Tausende Schulplätze fehlen
Als „Übergangslösung" seien die Flüchtlingsschulen auch nicht zwangsläufig
schlecht, sagt Hans-Jürgen Kuhn, der sich für Schöneberg hilft um
Bildungsprojekte kümmert. So sei die Flüchtlingsschule THF personell und
räumlich sehr gut ausgestattet, die Kinder bekämen dort ein gutes
Ganzstagsangebot. Dennoch sei es richtig, „dass Kinder ins Regelsystem
gehören" – daher hat auch sein Verein hat den Brief unterzeichnet.
Das große Problem sind für Kühn aber nicht die Flüchtlingsschulen, sondern
die Qualität des Unterrichts in den Willkommensklassen an den Regelschulen,
die die allermeisten Flüchtlingskinder, derzeit rund 11.000, besuchen.
Echte Integration in den Schulalltag finde auch hier nicht statt, so Kühn –
und die Frage bleibe: „Wie bekommen wir diese Kinder in den Regelbetrieb?"
Dafür fehlten Tausende reguläre Schulplätze.
Dieses Problem wird sich durch den jüngsten Beschluss des
Koalitionsausschusses wohl noch verschärfen, weil er dafür sorgen wird,
dass neue Flüchtlinge zunehmend an wenigen Orten konzentriert werden.
Vorige Woche erklärte die Spitzenrunde von Schwarz-Rot, sie gehe davon aus,
„dass sich das Fluchtgeschehen der kommenden Jahre auf dem in den
vergangenen Monaten zu beobachtenden moderaten Niveau stabilisiert". Daher
setzt der Senat nun ausschließlich auf die Ausweitung der Großunterkünfte.
Am und im Ex-Flughafen Tempelhof, wo schon jetzt rund 2.000 Menschen leben,
sollen weitere 1.000 Plätze in Containern entstehen, im neuen
[2][Ankunftszentrum Tegel], das nach dem Abbau der bisherigen Zeltstadt als
Containerdorf hochgezogen werden soll, sollen 2.600 Menschen untergebracht
werden – und im [3][früheren Glaspalast der Rentenversicherung an der
Hasenheide] sollen 1.000 bis 1.500 Menschen unterkommen.
„Die Koalition ist sich darin einig, dass auf Grundlage ihrer Annahmen
weitere zusätzliche Standorte in 2026 und 2027 vorerst nicht erforderlich
sind", heißt es im Beschluss des Koalitionsausschusses vom 13. November.
Die für andere Standorte bereits bestellten Continer könne man ja in Tegel
und Tempelhof nutzen, ansonsten „erscheint es vorzugswürdig, vor allem
bereits genutzte Hotels, Hostels und ehemalige Schul- oder Bürostandorte am
Netz zu halten, soweit dafür ein Belegungsbedarf besteht".
## CDU hat ihr Ziel erreicht
Damit hat sich die CDU auf ganzer Linie durchgesetzt: Schon länger reden
Politiker wie Fraktionschef Dirk Stettner bei jeder sich bietenden
Gelegenheit der Konzentration von Flüchtlingen in wenigen Großlagern das
Wort – und Pläne für neue Heime, die in für die Partei wichtigen
Wahlbezirken liegen, werden torpediert, wo es geht. Entsprechend dürr fällt
das Statement von Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) zum
Koalitionsbeschluss aus. „Als Integrations- und Sozialsenatorin setze ich
mich weiterhin ausdrücklich für die dezentrale Unterbringung ein – und
zugleich tragen wir gemeinsam die Entscheidung des Koalitionsausschusses",
sagte sie der taz. Und setzt hinzu: „Integration gelingt am besten
dezentral, vor Ort, in den Kiezen und Nachbarschaften."
Abgegessen davon und zunehmend entrüstet sind die Organisationen
Flüchtlingsrat, Migrationsrat, Moabit hilft und Schöneberg hilft: „Eine
Stadt, die Integration ernst nimmt, baut keine neuen Lager. Sie schafft
Wohnraum. Sie schafft kleinere, dezentrale Unterkünfte, die in bestehende
Nachbarschaften eingebettet sind", schreiben sie in einer gemeinsamen
Erklärung. An solchen kleinen Einheiten gebe weiterhin großen Bedarf, denn
viele Einrichtungen „haben keine Kochmöglichkeiten, kaum Privatsphäre und
keine verlässlichen sozialen oder medizinischen Strukturen", die Bewohner
seien häufig Willkür und Diskriminierung durch Betreiber und deren
Dienstleister ausgesetzt. Gerade Großunterkünfte wie Tempelhof, wo Menschen
in Hallen und Containern leben, seien Dauerprovisorien, wo Menschen nicht
in Würde leben könnten.
Auch in den zuständigen Verwaltungen und Ämtern brodelt es. Nach
taz-Informationen gibt es große Verunsicherung, was mit den vielen bereits
geplanten und teils schon vertraglich vorbereiteten Containerdörfern,
Modularen Unterkünften und Umbauten passieren soll. So gibt es etwa für ein
ehemaliges Bürogebäude in der Soorstraße im Westend, das zu einem Heim für
Flüchtlinge und Azubis umgebaut werden soll(te), bereits einen Mietvertrag.
Würde das Land davon zurücktreten, drohe eine Vertragsstrafe im mittleren
zweistelligen Millionenbereich, erfuhr die taz aus gewöhnlich gut
unterrichteten Kreisen.
Zudem ist die Prognose, dass die Flüchtlingszahlen absehbar niedrig
bleiben, höchst gewagt: So kamen im Oktober allein aus der Ukraine 1.314
Menschen nach Berlin – noch im Mai waren es fast 1.000 weniger. Die Zahlen
steigen wieder, auch weil die Ukraine die Ausreise junger Männer
erleichtert hat. Schon jetzt gibt es kaum freie Plätze in den regulären
Unterkünften des LAF – und aus der Zeltstadt in Tegel müssen bis Jahresende
noch 1.000 Menschen ausziehen.
Dass die Pläne des Senats auch wirtschaftlich eine Katastrophe sind –
Großunterkünfte und Hotels/Hostels sind nachweislich die teurste aller
Unterbringungsmöglichkeiten –, kommt erschwerend hinzu. Aber wen
interssiert das, wenn es darum geht, Flüchtlinge möglichst aus dem
Stadtbild zu entfernen.
20 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Susanne Memarnia
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