# taz.de -- Lernangebot zu selbstbestimmten Geburten: „Es ist nicht egal, wie wir geboren werden“
       
       > Heute ist vielen Frauen der intuitive Zugang zum Körper verlorengegangen,
       > sagt Hebamme Angelica Ensel. Aber selbstbestimmte Geburten sind möglich.
       
 (IMG) Bild: Selbstbestimmt und geborgen: eine gute Geburt prägt die gesamte Familie
       
       taz: Frau Ensel, warum sind Geburten politisch? 
       
       Angelica Ensel: Es ist nicht egal, wie wir geboren werden. Die Art und
       Weise, wie wir Frauen während der Geburt behandeln, zeigt, welche Position
       sie in einer Gesellschaft haben.
       
       taz: Wie sieht eine selbstbestimmte Geburt aus? 
       
       Ensel: Selbstbestimmt bedeutet: Die Frau steht im Mittelpunkt, sie wird
       gehört und ernst genommen. Sie wird nach ihrem Einverständnis gefragt,
       bevor sie untersucht wird, wenn es um Entscheidungen geht, werden ihr
       Alternativen aufgezeigt. Damit nichts passiert, womit sie nicht
       einverstanden ist und sie am Ende sagen kann: Es war eine gute Geburt, auch
       wenn sie vielleicht ganz anders verlaufen ist, als sie es sich vorgestellt
       hat.
       
       taz: Kann man bei der praktizierten Geburtshilfe in Deutschland von
       selbstbestimmten Geburten sprechen?Ensel: Keinesfalls. Es gibt gute
       Geburtsorte in Deutschland, doch das hängt neben der Philosophie einer
       Geburtsklinik stark von den [1][strukturellen Bedingungen] ab. Wir haben
       eine dramatische personelle Enge, die begleitenden Berufsgruppen können oft
       überhaupt nicht so arbeiten, wie sie gerne würden. Viele Frauen erleben
       Entwürdigungen und Grenzverletzungen bis hin zu Gewalt. Darüber wird nicht
       nur zu wenig geredet, es wird auch zu wenig gehandelt.
       
       taz: Es sind vor allem schwarze und queere Eltern, die unter Geburt
       Gewalterfahrungen machen. 
       
       Ensel: Aber auch Migrant*innen oder zum Beispiel Frauen mit
       Behinderungen. Es sind intersektionale Themen, die Übergriffigkeiten
       begünstigen.
       
       taz: Was muss sich verändern? 
       
       Ensel: Es muss endlich politisch anerkannt werden, dass Frauen das Recht
       haben, ihr Kind selbstbestimmt und menschenwürdig zu gebären. Eine
       Investition in die Geburtshilfe ist eine Investition in die
       Familiengesundheit. Eine traumatische Geburtserfahrung kann eine Frau ihr
       Leben lang gesundheitlich beeinträchtigen, eine selbstbestimmte Geburt kann
       sie ihr Leben lang stärken. Das kann uns doch nicht egal sein.
       
       taz: Mit der Hamburg Open Online University ist eine kostenlose
       Lernplattform entstanden, die „Hochschulwissen für alle“ ermöglichen soll.
       Sie bieten dort den Kurs „Menschenwürdig gebären – erfahren und begleiten“
       an. Warum braucht es solche niedrigschwelligen Bildungsangebote? 
       
       Ensel: Weil es wichtig ist, dass qualitativ hochwertiges Wissen zu den
       Menschen kommt. In einer Welt voller Fake News und Manipulation steht eine
       Hochschule für solides, wissenschaftsfundiertes Wissen. Dieses Wissen soll
       nicht nur Expert*innen vorbehalten sein, sondern allen Menschen
       kostenlos und niedrigschwellig zugänglich gemacht werden. Schließlich wird
       die Hochschule ja auch von der Gesellschaft finanziert.
       
       taz: Was erhoffen Sie sich von dem Angebot? 
       
       Ensel: Die Lernplattform entstand aus der Dokumentation der mittlerweile
       geschlossenen Geburtsstation der Paracelsus-Klinik in Henstedt-Ulzburg.
       Dort durften Frauen schon in den 70ern selbstbestimmt entscheiden, wie sie
       gebären. Die Hebammen und Reinhard Müller als Chefarzt haben sich auf die
       Wünsche der Frauen eingelassen. Wir haben viele Interviews mit
       Zeitzeug*innen und Expert*innen der Geburtshilfe gemacht, um zu
       zeigen: selbstbestimmte Geburten sind möglich.
       
       taz: Waren Schwangere früher selbstbewusster? 
       
       Ensel: Die Frauen, in den 70ern und 80ern waren geprägt von der
       Frauenbewegung. Sie hatten genaue Vorstellungen, wie sie gebären wollen,
       weil sie davon überzeugt waren, dass Gebären etwas Natürliches ist, was ihr
       Körper kann. Zum Kampf gegen den [2][§218] und dem Bewusstsein „Mein Körper
       gehört mir“ kam später auch: „Meine Geburt gehört mir“. Heute sind Frauen
       häufig sehr unsicher, von diesem intuitiven Zugang zum Körper ist viel
       weniger da. Stattdessen beobachten wir eine große Abhängigkeit von
       Technologie und Expert*innen. Es ist so viel Angst da. Dabei ist die Frau
       die Expertin ihres Körpers und es sollte immer das Ziel der Begleitung
       sein, sie darin zu bestärken.
       
       24 Dec 2025
       
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