# taz.de -- Schlechte Bezahlung von Hebammen: „Zwei Kreißsaalteams haben schon als ganze gekündigt“
       
       > Seit November regelt ein neuer Vertrag die Vergütung von Hebammen. Ursula
       > Jahn-Zöhrens vom Deutschen Hebammenverband sieht darin große Probleme.
       
 (IMG) Bild: Demonstration einer Geburt an einem Modell in einer Hebammenschule in Herne
       
       taz: Frau Jahn-Zöhrens, einer aktuellen Studie zufolge spielt jede zweite
       freiberufliche Hebamme mit dem Gedanken, ihren Beruf aufzugeben. Warum? 
       
       Jahn-Zöhrens: Hebammen hadern schon länger mit den Verhältnissen, in denen
       sie ihren Beruf ausüben. Weder bekommen sie die Anerkennung, die ihrer
       Verantwortung gerecht wird, noch spiegelt sich das, was sie unter
       schwierigen Arbeitsbedingungen leisten, in der Vergütung wider. Zudem fand
       die Befragung zu einem Zeitpunkt statt, als die jüngste Fassung des
       Hebammenhilfevertrags bereits bekannt geworden war. Damit wurde Öl ins
       Feuer gegossen.
       
       taz: Der von einer Schiedsstelle festgesetzte Hebammenhilfevertrag regelt
       die neue Vergütung von Hebammen, er ist nun Anfang November in Kraft
       getreten. Was ist dabei das Problem? 
       
       Jahn-Zöhrens: Freiberuflich tätige Hebammen berechnen ihre Leistungen gemäß
       diesem Vertrag. Die neue Version wurde im April 2025 festgesetzt. Wir haben
       mehrere Kritikpunkte daran. Erstens verdienen Hebammen grundsätzlich zu
       wenig. Ihr Stundenlohn ist dem neuen Vertrag zufolge etwa 10 Euro niedriger
       als der von ErgotherapeutInnen und LogopädInnen. Zweitens werden
       verschiedene Gruppen von Hebammen unterschiedlich bezahlt, was die
       Kolleginnen spaltet.
       
       taz: Was meinen Sie genau? 
       
       Jahn-Zöhrens: Rund 4.000 Hebammen in Deutschland arbeiten als sogenannte
       Beleghebammen: freiberufliche Hebammen, die ihre Arbeit eigenständig in
       Klinikkreißsälen organisieren. Diese Gruppe [1][wird in Zukunft deutlich
       schlechter bezahlt.]
       
       taz: Was würde eine solche Hebamme, die in Vollzeit arbeitet, künftig etwa
       durchschnittlich verdienen? 
       
       Jahn-Zöhrens: Das Einkommen von Hebammen unterliegt starken Schwankungen,
       die zum Beispiel von der Zahl der betreuten Geburten und den Bedarfen der
       Frauen abhängen. Über alle Tätigkeitsbereiche hinweg gehen wir derzeit von
       einem Jahresumsatz zwischen 50.000 und 75.000 Euro brutto aus. Davon
       müssen, wie bei allen freiberuflich Tätigen, zum Beispiel Kranken- und
       Rentenversicherung getragen werden, zudem die Berufshaftpflicht, die sehr
       teuer sein kann. Die Beleghebammen haben mit dem neuen Vertrag
       Einkommensminderungen um bis zu 30 Prozent.
       
       taz: Das Deutsche Krankenhausinstitut schreibt, dass es mehr als 80 Prozent
       aller Kliniken, in denen Beleghebammen arbeiten, für sehr oder für ziemlich
       wahrscheinlich halten, dass ihre Hebammen angesichts des neuen Vertrags in
       hoher Zahl kündigen oder ihre Tätigkeit stark einschränken. Haben schon
       Teams gekündigt? 
       
       Jahn-Zöhrens: Wir wissen von mindestens zwei Kreißsaalteams in
       Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die als ganze gekündigt haben.
       Vor allem aber kündigen derzeit etliche einzelne Kolleginnen. Wenn eine
       Geburtshilfe in einem Beleghaus mit 15 Kolleginnen gut arbeiten kann, aber
       5 von ihnen kündigen, können die übrigen 10 die Betreuung nicht mehr
       gewährleisten. Manche Hebammen wechseln jetzt auch aus dem freiberuflichen
       ins angestellte System.
       
       taz: Was ist daran schlimm? 
       
       Jahn-Zöhrens: Erst mal nichts, der Kreißsaal steht ja weiter zur Verfügung.
       Aber die Durchlässigkeit sowohl zwischen ambulanter und stationärer
       Versorgung wie auch innerhalb der Hebammenarbeit kann im Belegsystem
       vorteilhafter geregelt werden. Die Flexibilität von Beleghebammen ist
       größer: Sie unterliegen nicht dem Arbeitszeitgesetz und können sich ihre
       Arbeit anders einteilen. Sie können zum Beispiel leichter aus der
       Bereitschaft hinzugezogen werden. Aber ich will die Systeme auch nicht
       gegeneinander ausspielen.
       
       taz: Wollen die Beleghebammen denn lieber freiberuflich arbeiten, auch wenn
       etwa das Arbeitszeitgesetz nicht gilt? 
       
       Jahn-Zöhrens: Ausdrücklich ja. Sie wollen entscheiden können, auch noch ein
       drittes Mal innerhalb von vier Tagen zu kommen, wenn sie eigentlich einen
       freien Tag hätten, aber viel los ist. Sie wissen, nächste Woche wird dafür
       dann weniger los sein.
       
       taz: Was bedeutet der neue Vertrag für die Geburtshilfe? 
       
       Jahn-Zöhrens: Wir haben die große Sorge, dass er regional zu Engpässen und
       letztlich zu Schließungen ganzer Kreißsäle führt. Zudem werden sich
       Kolleginnen frustriert beruflich verändern, weil sie mit ihrem Einkommen
       nicht mehr zurechtkommen.
       
       Was heißt die Situation für werdende Mütter? 
       
       Jahn-Zöhrens: Gerade ringen wir noch mit den Kassen um Änderungen bei
       Regelungen zu notfallmedizinisch-ambulanten Leistungen, zum Beispiel
       fraglichen Blasensprüngen. Mit dem jetzt gültigen Vertrag befürchten wir,
       dass Frauen in der Versorgung in der Schwangerschaft – also noch nicht akut
       unter der Geburt – in ähnlich langen Warteschleifen hängen, wie es jetzt
       schon PatientInnen aus den Notaufnahmen der Kliniken berichten. Zudem
       müssen werdende Eltern weiter fahren, wenn tatsächlich so viele Hebammen
       aussteigen, dass Kreißsäle schließen. Das muss [2][im Kontext der
       Krankenhausreform] generell noch mal betrachtet werden. Und schließlich
       kann es gut sein, dass Kolleginnen sagen: Ich würde gern zur Verfügung
       stehen, schaffe es aber nicht mehr, weil die neuen Abrechnungsregelungen zu
       starr sind.
       
       taz: Kürzlich hat auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und
       Geburtshilfe geschrieben, sie nehme „mit Sorge“ wahr, dass der Vertrag in
       Kraft getreten sei. Wenn den nur die Krankenkassen gut finden, warum kam er
       zustande? 
       
       Jahn-Zöhrens: Den Vertrag hat eine unabhängige Schiedsstelle beschlossen,
       die sich einschaltet, wenn sich Parteien nicht einigen können. Wir als
       Deutscher Hebammenverband hatten die Verhandlungen dazu mit dem
       GKV-Spitzenverband der Krankenkassen abgebrochen. Die Schiedsstelle hat dem
       GKV-Entwurf zugestimmt. Wir fordern deshalb eine Reform sowohl der
       Vertragsverhandlungen als auch des Prozederes innerhalb der Schiedsstelle.
       Aber für diesmal hilft das nichts mehr.
       
       taz: Welche Optionen haben Sie noch, den Vertrag zu verändern? 
       
       Jahn-Zöhrens: Wir haben Klage vor dem Landessozialgericht
       Berlin-Brandenburg eingereicht. Allerdings dauert ein Beschluss
       erfahrungsgemäß zwei bis drei Jahre, und die Klageeinreichung hat keine
       aufschiebende Wirkung. Um besonders die Härten für das Belegsystem
       abzufedern, haben wir noch einen Eilantrag eingereicht, der das
       Inkrafttreten dieser Vertragsteile zunächst stoppen soll. Den Beschluss
       dazu hätten wir vor Inkrafttreten des Vertrags am 1. November erwartet. Uns
       liegt aber noch nichts vor.
       
       taz: Kann sich politisch noch etwas tun? 
       
       Jahn-Zöhrens: Alle demokratischen Parteien haben sich sehr engagiert, dafür
       sind wir sehr dankbar. Das hat dazu geführt, dass der GKV-Spitzenverband im
       September noch zum Versuch bereit war, die eine oder andere Härte des
       Vertrags abzumildern. Nichtsdestotrotz kann die Politik einem Prozedere
       innerhalb der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen faktisch nichts
       entgegensetzen. Ein geschiedster Vertrag gilt. Die Politik könnte nur
       intervenieren, wenn es grob fahrlässige Fehler gegeben hätte, die zu einem
       Versorgungsnotstand der Bevölkerung führen könnten.
       
       taz: Diese Gefahr sehen Sie aber nicht? 
       
       Jahn-Zöhrens: Das nicht, nein.
       
       taz: Was könnte im schlechtesten Fall passieren? 
       
       Jahn-Zöhrens: Wenn wir das Eilverfahren verlieren und die Kolleginnen im
       freiberuflichen Bereich nicht durchhalten, weil die Bedingungen einfach zu
       schlecht sind, kommen wir zu einer [3][prekären Situation] in ländlichen
       Regionen mit weniger Kreißsälen. In urbanen Regionen müssen weniger Klinken
       dann mehr Schwangere versorgen.
       
       taz: Und was könnte im besten Fall noch passieren? 
       
       Jahn-Zöhrens: Bestenfalls käme im Eilverfahren ein Beschluss zustande, der
       es uns gestattet, die extremsten Schieflagen des Vertrags auszugleichen.
       
       10 Nov 2025
       
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