# taz.de -- Gefängnis Sde Teiman: Ein Ort der Hölle in Israels Wüste
       
       > In der Haftanstalt soll ein Gefangener vergewaltigt worden sein, andere
       > verletzt. Ein Häftling und ein Whistleblower berichten von ihren
       > Erfahrungen.
       
 (IMG) Bild: Baracken hinter Zaun: Sde Teiman im Januar 2025
       
       Im Dezember 2023 beginnt das israelische Militär mit seiner Offensive auf
       das Al-Awda-Spital im Gazastreifen. Krankenhaus-Direktor Ahmad Mhanna, 52
       Jahre alt, weigert sich damals, das Krankenhaus zu verlassen. Nach
       tagelanger Belagerung dringen IDF-Soldat*innen schließlich in das Spital
       ein und nehmen einen Teil des Personals fest, auch Mhanna.
       
       Erst 686 Tage später kommt er wieder frei, im Oktober 2025, im Rahmen des
       Waffenruhedeals. Nun sitzt er in einer Wohnung in Gaza, mit der taz spricht
       er am Handy, die Verbindung bricht immer wieder ab. Im Video sieht er
       deutlich abgemagert aus. 24 dieser 686 Tage, erzählt Mhanna, habe er in der
       berühmt-berüchtigten israelischen Haftanstalt Sde Teiman in der Wüste Negev
       gesessen.
       
       [1][Das US-Medium CNN legte im Mai 2024] in einer Investigativrecherche die
       Zustände in der Haftanstalt-cum-Militärbasis offen. Viele Medien
       berichteten, israelische Menschenrechtsorganisationen beantragten die
       Schließung von Sde Teiman vor dem Obersten Gerichtshof Israels. Im Juni
       2024 erklärte Israel seine Absicht, die Gefangenen in andere Haftanstalten
       verlegen zu wollen. Auch dort sind, [2][wie etwa die taz berichtete], die
       Haftbedingungen kaum besser.
       
       ## Ein geleaktes Video zeigt Missbrauch
       
       Die Geschehnisse in Sde Teiman beschäftigten auch die israelische Justiz,
       bis heute: Im Februar dieses Jahres wurden fünf israelische Soldaten der
       Reserve angeklagt, weil sie einen Palästinenser in Gefangenschaft in Sde
       Teiman geschlagen und schwer misshandelt hatten – wohl auch sexuell. Der
       Häftling trug schwerste Verletzungen davon: gebrochene Rippen, ein Loch im
       Darm – und ein Riss im Rektum.
       
       Im August 2024 gelangte ein Video des Angriffs an die Presse: Es zeigt, wie
       Soldaten den Gefangenen umringen, mit Schutzschilden die Sicht behindern –
       und ihm dann wohl mit einem scharfen Gegenstand ins Rektum stechen.
       [3][Rechte israelische Politiker sprangen den mutmaßlichen Tätern bei.] Und
       es begann die Suche nach demjenigen, der es geleakt hatte.
       
       Über ein Jahr später ist nun die Militärstaatsanwältin Yifat
       Tomer-Yerushalmi deswegen zurückgetreten. Sie hatte genehmigt, das Video
       der Presse zuzuspielen, erklärt sie – und gab als Grund an: Die Rechten
       hätten auf ihre Ermittlungen wegen sexueller Misshandlung großen Druck
       ausgeübt. Mit der Veröffentlichung des Materials habe sie „falscher
       Propaganda gegen die militärischen Strafverfolgungsbehörden“ entgegenwirken
       wollen.
       
       Zurück zu Mhanna: Neben ihm kamen im Oktober 2025 [4][über 1.700 weitere im
       Laufe des Kriegs nach dem 7. Oktober 2023] aus dem Gazastreifen
       [5][festgenommene Palästinenser*innen aus verschiedenen israelischen
       Gefängnissen frei]. Auch über 200 Tote wurden zurückgebracht, davon
       mindestens 135, die nach Bericht des Guardian Spuren der Folter aufwiesen.
       Auch gebe es „substanzielle Hinweise“ darauf, dass viele von ihnen
       hingerichtet wurden. Dokumente in den Leichensäcken wiesen darauf hin, dass
       die Körper aus der Haftanstalt Sde Teiman kamen. Es sei aber unklar, ob sie
       dort auch getötet wurden. Denn dort gibt es auch einen Lagerraum für tote
       Palästinenser.
       
       ## Ein Whistleblower erhebt schwere Vorwürfe
       
       Einer, der aber weiß, wie es in der Haftanstalt Sde Teiman zuging, ist
       Shimon. Er heißt eigentlich anders und will anonym bleiben. In seinem
       normalen Leben ist Shimon Student eines naturwissenschaftlichen Fachs an
       einer Universität in einer großen israelischen Stadt. In der Hölle von Sde
       Teiman arbeitete der junge Mann eine Zeit lang im Schichtdienst in dem
       Militärgefängnis und dem angeschlossenen Spital als Reservist.
       
       Seine Motivation, der taz über seine Zeit dort zu berichten, erklärt er
       gleich am Anfang des Gesprächs: Ein Teil von dem, was in diesem Krieg
       geschehen ist, sei moralisch falsch. Und diene nicht dem Schutz Israels.
       Handlungen, wie sie in Sde Teiman geschahen, hätten den Konflikt
       zugespitzt.
       
       Als er damals in der Haftanstalt stationiert wird, ahnt er noch nicht,
       welche Szenen ihn dort erwarten werden. Männer, Gefangene, in großen
       Käfigen, Dutzende von ihnen in jedem Käfig. Sie trugen Sportanzüge und
       Augenbinden, alle in Handschellen. Sitzen mussten sie, still, etwa achtzehn
       Stunden am Tag. Sprechen durften sie nicht. Nicht mal flüstern. Einige von
       ihnen sind seit Wochen dort, einige werden Monate an diesem Ort verbringen.
       
       Er erzählt: Die Luft roch schlecht. Auf Toilette durften die Gefangenen nur
       in Handschellen und mit Augenbinden. Drei Mahlzeiten bekamen sie am Tag:
       zwei, drei Brotscheiben mit Pastrami oder mit einer Gurke und ein wenig
       Käse. [6][Sehr geringe Mengen.]
       
       Ein Gefangener, von dem man festgestellt hatte, dass er nicht der Hamas
       angehörte, fungierte als Mittelsmann zwischen Wächtern und Gefangenen. Er
       protestierte irgendwann, dass sie nicht genug zu essen bekommen. Der
       Wächter antwortete: „Wir haben es abgezählt und an euch ausgeteilt. Das ist
       euer Problem.“
       
       ## Gefangene im Spital von Sde Teiman wurden gefesselt
       
       Shimon beobachtet diese Szene aus der Ferne, erzählt er, außerhalb der
       Käfige. Wächter und Gefangene waren räumlich voneinander getrennt, die
       Soldaten trugen Waffen und Munition am Körper, sollten die Gefangenen
       rebellieren. Das taten sie aber nicht. Wenn jemand sprach oder sich
       unerlaubt bewegte oder versuchte, durch die Augenbinde zu schielen, wurde
       er bestraft. Der musste dann mit erhobenen Händen stehen, auf unbestimmte
       Zeit. Manchmal nahmen der diensthabende Offizier und ein weiterer Soldat
       den Gefangenen auch mit hinter eine Ecke, wo sie nicht sichtbar sind.
       
       Im Krankenhaus von Sde Teiman war die Lage nicht besser, sagt er. Die
       Gefangenen trugen Augenbinden, waren ans Bett gefesselt. Sie mussten
       Windeln tragen, konnten sich wochenlang nicht bewegen. Und sie wurden
       medizinisch vernachlässigt. Ihnen wurden kaum Schmerzmittel verabreicht,
       und wenn, dann rezeptfreie Mittel – als ob sie nur an milden Kopfschmerz
       litten. Dabei hatten sie Schusswunden, abgerissene Stücke Fleisch oder
       amputierte Beine oder Arme, sagt Shimon.
       
       Einmal, erzählt er, sieht er einen älteren Mann, der Herzprobleme hat.
       Welche, darüber wird unter Ärzten spekuliert. „Wären wir in einem richtigen
       Krankenhaus, würden wir es wissen. Aber wir hatten die Ausstattung hier
       nicht“, sagt einer. Israelische Krankenhäuser nähmen nur sehr widerwillig
       Gazaner auf.
       
       Im Krankenhaus sah man manchmal die Auswirkungen der körperlichen Gewalt
       der Wärter, erzählt Shimon weiter. Ein Patient wurde eingeliefert, die
       Krankenschwester sagte: „Die gebrochene Rippe steht nicht in den Akten.“
       Ein Patient hatte eine schwere Verletzung an Handgelenk, man konnte die
       Sehnen sehen. Auf die Frage, was ihm geschehen sei, sagte der Wächter: Er
       sei beim Verhör eben in Handschellen gewesen. Viele dieser Verletzungen
       seien zu frisch gewesen, um aus Gefechten in Gaza stammen zu können.
       
       ## Soldaten hätten ihm zwei Rippen gebrochen, sagt Mhanna
       
       Als Reservist bleibt Shimon nur ein paar Wochen in Sde Teiman. Und als er
       die Haftanstalt bereits verlassen hat, wird Mhanna aus dem Gazastreifen
       dorthin gebracht.
       
       Am 17. Dezember, erzählt er, kam er dort an. Und bleibt 24 Tage, danach
       wird er in das Gefängnis Ketziot verlegt. Er erzählt von Sde Teiman: Der
       Raum, in dem er dort festgehalten wurde, war etwa 150 Quadratmeter groß. Es
       war kalt – Winter in der Wüste. Trennwände gab es keine, die Matratzen
       waren dünn, Decken bekamen die Gefangenen nicht. Etwa 135 Menschen saßen in
       diesem Raum mit ihm, schätzt er. Jeder hatte demnach nur etwas mehr als
       einen Quadratmeter zur Verfügung. Dünn angezogen waren sie für die kalten
       Wintertemperaturen, sagt er.
       
       Seine Berichte decken sich mit denen von Shimon: Sie trugen Augenbinden und
       Handschellen, die ganze Zeit. Stehen war verboten, sie mussten sitzen. Zu
       essen bekam Mhanna pro Tag zwei Brotscheiben mit ein wenig Käse oder
       Thunfisch.
       
       Auf dem Weg von Gaza nach Sde Teiman hätten Soldaten ihm zwei Rippen
       gebrochen, sagt Mhanna. Als er sich in den Militärjeep gesetzt hatte, an
       Füßen und Händen gefesselt, hätten sie begonnen, ihn zu schubsen und auf
       den Oberkörper zu schlagen. Einen Arzt habe er bei seiner Ankunft in Sde
       Teiman trotzdem nicht besuchen dürfen.
       
       Immer wieder wurde er verhört, erzählt er. Die Vernehmer benutzten
       psychologische Tricks, sagt er: Drohungen, um ihn unter Druck zu setzen.
       Dass sie seine Frau und seine Tochter ebenso nach Sde Teiman bringen
       würden. Und sie vor seinen Augen missbrauchen. Die physische Misshandlung
       sei hingegen minimal gewesen, sagt er, nur einmal habe er durch Schläge
       einen Zahn verloren. Wieso er damals festgenommen wurde, das wisse er bis
       heute nicht. Er verneint, Verbindungen zu politischen Parteien oder
       Organisationen zu haben. Auf Nachfrage äußert sich das israelische Militär
       nicht konkret zu Mhannas Fall.
       
       ## Die zwei Phasen in Sde Teiman
       
       Die taz hat mit drei israelischen Menschenrechtsorganisationen über Sde
       Teiman gesprochen. Alle waren sich einig: Die Misshandlung von
       palästinensischen Gefangenen hatte System. Nach dem 7. Oktober waren
       Gefängnisse in Foltercamps umgewandelt worden. Die Organisation Physicians
       for Human Rights (PHRI) hat mit israelischen Whistleblower*innen, vor allem
       Ärzt*innen, gesprochen und das Camp auch besucht.
       
       Naji Abbas ist Direktor der Abteilung Gefangene bei PHRI. Er sagt: „Allen,
       allen, 100 Prozent der Menschen, die dort festgehalten wurden, begegneten
       Gewalt, Folter, Schläge. Wöchentlich, manchen täglich. Für uns ist das ein
       Foltercamp.“ Sde Teiman sei durch zwei Phasen gegangen: In den ersten zehn
       Monaten seien Gefangene mit Augenbinde und in Handschellen gehalten worden,
       teilweise monatelang. Hunger und Gewalt waren an der Tagesordnung,
       teilweise sogar Vergewaltigungen. „Wir wissen, dass Dutzende getötet
       wurden“, betont Abbas. PHRI habe Fälle von zu Tode geprügelten Männern
       dokumentiert wie auch Fälle medizinischer Vernachlässigung, die zum Tode
       führte. [7][Über zwei solche Fälle berichtete auch die taz mit Bezug auf
       PHRI.]
       
       Dann passierte etwas. Im Herbst 2024, nach den Petitionen und den
       Medienberichten, auch dem geleakten Video, begann sich die Lage zu ändern.
       Die Gefangenen hätten nicht mehr 24 Stunden am Tag in Handschellen
       verbringen müssen. Ihnen wurde eine Dusche pro Woche erlaubt. Zellen wurden
       aufgebaut. Eine Verbesserung, sagt Abbas. Doch die Zustände blieben
       weiterhin harsch: Gefangene berichteten auch danach noch von physischer
       Gewalt, bis heute.
       
       Shimon, der israelische Whistleblower, sagt: Die Erfahrung in Sde Teiman
       habe ihm „das wahre Gesicht dieses Kriegs gezeigt“. Nach dem Massaker des
       7. Oktobers 2023, das die israelische Gesellschaft tief erschütterte, habe
       sich die Stimmung in Israel verändert: Die Bereitschaft zur Gewalt sei
       gestiegen. Dinge, die früher unvorstellbar gewesen wären, würden nun
       einfach hingenommen: Nicht im Eifer des Gefechts, sondern in einer
       kontrollierten Militärbasis mit integrierter Haftanstalt sah Shimon ein
       System der „vollkommenen Grausamkeit“.
       
       Auch Mhanna bleibt wütend. Er ist nun wieder ein freier Mann, in einem noch
       unfreien Land in Trümmern. Er sagt, es gehe ihm gut, weil es seiner Familie
       gut geht, weil sie den fürchterlichen Krieg im Gazastreifen überlebt haben.
       Sein Zuhause sei aber zerstört – seine Heimatregion, Zentralgaza, liegt in
       Schutt und Asche, wie auch Teile seiner Wohnung. In der israelischen Haft
       habe er 30 Kilo verloren, Krätze bekommen, erzählt er. „Ich hasse sie“,
       sagt er, „weil sie uns wie Tiere behandelt haben.“
       
       ## Was sagt das Recht zu den Zuständen in Sde Teiman?
       
       Das israelische Militär weist alle Vorwürfe von sich: Man handle „im
       Einklang mit israelischem und internationalem Recht und schützt die Rechte
       von Menschen in Haft unter seiner Verantwortung. Jeglicher Missbrauch von
       Gefangenen, sei es in Gewahrsam oder beim Verhör, verletzt das Gesetz sowie
       die IDF-Richtlinien und ist somit streng verboten.“ Man lehne sämtliche
       Anschuldigungen von systematischem Missbrauch von Insassen ab – inklusive
       Bezichtigungen der sexuellen Gewalt.
       
       Doch selbst die Festnahme von Zivilisten ist eigentlich nicht rechtens.
       Christoph Safferling ist Professor für internationales Völkerrecht an der
       Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er betont: „Artikel 9
       des UN-[8][Menschenrechtspaktes] verbietet Festnahmen ohne richterliche
       Anordnung“, so Safferling. Man könne sie eventuell – wenn es sich um
       feindliche Kämpfer handelt – als Kriegsgefangene festhalten, solange der
       Konflikt laufe. Doch Zivilist*innen sind damit nicht mitgemeint. Folter
       sei unter keinen Umständen erlaubt.
       
       Der Minimalstandard für die Behandlung von Gefangenen findet sich im
       Artikel 3 der Genfer Konvention von 1949: keine Ermordung, Verstümmelung,
       Folter und grausame Behandlung.
       
       Mitarbeit: Lisa Schneider
       
       2 Nov 2025
       
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