# taz.de -- Abschiebung trotz Ausbildungsvertrag: Aus dem Bett geholt, ins Flugzeug gesetzt
       
       > Rouaa und Ibrahim hatten ihre Ausbildungsverträge unterschrieben und
       > hätten damit bis zum Abschluss bleiben dürfen. Trotzdem wurden sie
       > abgeschoben.
       
 (IMG) Bild: Kommen immer häufiger vor: nächtliche Abschiebungen wie hier 2017 vom Flughafen München
       
       Die Polizei kam in der Nacht: Gegen vier Uhr morgens drangen Beamt:innen
       in die Wohnung der syrischen Familie Seleman ein, führten die Geschwister
       Rouaa (24) und Ibrahim (28) ab und setzten sie in ein Flugzeug. Dabei
       sollten beide eine Ausbildung antreten. Der Flüchtlingsrat
       Schleswig-Holstein nennt das „Behördenwahnsinn“. Das zuständige
       Sozialministerium spricht von einem besonderen Fall und stellt eine Lösung
       in Aussicht.
       
       „Nächtliche Abschiebungen sollten laut Gesetzesgeber die Ausnahme sein,
       kommen aber traurigerweise häufig vor“, sagt Leonie Melk, Geschäftsführerin
       des [1][Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein]. Sie sieht den Fall, der sich
       in der Nacht zu Donnerstag in Sülfeld im Kreis Segeberg ereignete, als Teil
       der aktuellen harten Linie gegen jedwede Migration: „Die Abschiebungen von
       Personen in Ausbildung oder Arbeit zeigen, dass es schlicht um die Erhöhung
       der Zahlen geht und weder der Schutz der Betroffenen noch ihre
       [2][Potentiale für den Arbeitsmarkt] ernst genommen werden.“
       
       ## Seit fünf Jahren in Deutschland
       
       Seit 2020 lebt die aus Syrien stammende Familie Seleman in Deutschland. Die
       ältesten Kinder Rouaa und Ibrahim hatten kürzlich Ausbildungsverträge in
       einer Bäckerei unterschrieben, was eigentlich eine Duldung zumindest für
       die Zeit der Ausbildung bedeutet. Zudem gilt generell ein besonderer Schutz
       für Kranke – beide Geschwister seien bereits wegen Depressionen in
       Behandlung gewesen, teilt der Flüchtlingsrat mit. Nun sind sie in
       Griechenland, „ohne persönliche Gegenstände oder Gepäck, denn Zeit zum
       Packen wurde ihnen nicht gewährt“.
       
       Griechenland war das erste EU-Land, das die Familie bei ihrer Flucht
       betrat. Dort war den ältesten Kindern ein sogenannter [3][subsidiärer
       Schutzstatus] zugesprochen worden. Damit seien sie eben auch nur dort
       aufenthaltsberechtigt, sagt Hanna Beyer, Sprecherin des Kieler
       Sozialministeriums, der taz. Die Anträge auf Asyl in Deutschland seien vom
       Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Hinweis auf den
       bestehenden Schutz in Griechenland abgelehnt worden. „Die Rechtsmittel
       waren ausgeschöpft.“
       
       Zuständig war dann das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge in
       Schleswig-Holstein, das dem [4][von Aminata Touré (Grüne) geführten
       Ministerium] untersteht. „Das Landesamt habe die Betroffenen „über mehrere
       Monate intensiv und mit Unterstützung von erfahrenen NGOs“ beraten,
       berichtet Beyer.
       
       Das Amt habe den Vorschlag gemacht, dass Rouaa und Ibrahim Seleman
       freiwillig nach Griechenland ausreisen und dort einen Antrag stellen, um
       über das Fachkräfteprogramm wieder einzureisen. „Von dieser Option –
       inklusive der vorherigen Planung der Modalitäten einer Rückkehr nach
       Deutschland – wollten die Betroffenen keinen Gebrauch machen“, sagt die
       Ministeriumssprecherin.
       
       ## In Griechenland droht Obdachlosigkeit
       
       Der Flüchtlingsrat verweist dagegen auf die Lage in Griechenland: Vielen
       Geflüchteten, die dorthin abgeschoben werden, [5][drohe ein Leben in
       Obdachlosigkeit, denn es gibt fast keine staatliche Unterstützung]. Ihren
       Lebensunterhalt könnten sich die Betroffenen „nur in der
       Schattenwirtschaft“, also mit halblegalen Jobs, sichern. Zudem kritisiert
       der Rat die Art der Festnahme. Der nächtliche Einsatz sei nicht nur für die
       nun abgeschobenen Geschwister traumatisierend, sondern auch für die anderen
       Familienmitglieder. Die Mutter der beiden habe einen Zusammenbruch
       erlitten.
       
       Ja, Abschiebungen seien mit Härten verbunden, heißt es aus dem Ministerium.
       In diesem Fall habe man die beiden Syrer:innen morgens um vier aus den
       Betten geholt, weil der Flieger um 10.30 Uhr ging, und sie vorher noch
       untersucht werden mussten, so erklärt Beyer auf taz-Nachfrage. Den Flieger
       hätten griechische Behörden terminiert.
       
       Und ja, es sei oft unverständlich, warum gut integrierte Personen auf diese
       Weise außer Landes gebracht würden. Ministerin Touré setze sich daher für
       rechtliche Änderungen auf Bundes- und auf europäischer Ebene ein, eine
       entsprechende Bundesratsinitiative sei in Arbeit.
       
       Für die beiden Geschwister gibt es einen Weg zurück, so das Ministerium.
       Zwar gilt nach einer Abschiebung eigentlich eine 30-monatige Sperre. Die
       könne aber auf Antrag verkürzt werden. „Das Landesamt für Zuwanderung und
       Flüchtlinge hat bereits signalisiert, einen solchen Antrag wohlwollend zu
       prüfen“, sagt Beyer. Das Ministerium stehe dabei beratend zur Seite.
       
       24 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.frsh.de/
 (DIR) [2] /Gefluechtete-als-Arbeitskraefte-entdeckt/!6005178
 (DIR) [3] https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/Schutzformen/SubisidiaerSchutz/subisidiaerschutz-node.html
 (DIR) [4] /Ministerin-ueber-gebrochenes-Kirchenasyl/!5984676
 (DIR) [5] /Abschiebungen-nach-Griechenland/!6123280
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geisslinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Abschiebung
 (DIR) Flüchtlingsrat
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Asylpolitik
 (DIR) Migration
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Duale Ausbildung
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Syrischer Bürgerkrieg
 (DIR) Migration
 (DIR) Lager
 (DIR) Friedrich Merz
 (DIR) Schweden
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Geflüchtete in der Berufsausbildung: Es gibt noch zu wenige Erfolgsgeschichten
       
       Auf einer Fachtagung ging es um die Probleme von Geflüchteten bei der
       Berufsausbildung. Mahmood Achikzehi kann von einer Erfolgsgeschichte
       berichten.
       
 (DIR) Abschiebungen nach Syrien: Reden wir nicht darüber!
       
       Die Union versucht, die von Außenminister Wadephul (CDU) losgetretene
       Debatte über Abschiebungen nach Syrien wieder einzufangen. Mit wenig
       Erfolg.
       
 (DIR) Syrische Geflüchtete in Deutschland: Knallharte Regeln
       
       Syrische Flüchtlinge, die die Lage in ihrer Heimat erkunden wollen,
       riskieren damit ihren Schutzstatus. Dabei wollen die wenigsten in dem
       zerstörten Land bleiben.
       
 (DIR) Migration: Zahl der Abschiebungen gestiegen
       
       Im laufenden Jahr wurden bisher deutlich mehr Menschen abgeschoben als im
       Vorjahr. Die meisten von ihnen wurden in die Türkei und nach Georgien
       geflogen.
       
 (DIR) Ausreisezentrum in Braunschweig: Neue niedersächsische Härte
       
       Die rot-grüne Landesregierung will von Abschiebung bedrohte Geflüchtete
       wieder in Lagern unterbringen – eine Praxis, die sie 2014 abgeschafft
       hatte.
       
 (DIR) Merz will Abschiebungen fürs Stadtbild: Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler
       
       Der Bundeskanzler nennt Migrant:innen ein Problem fürs Stadtbild. Was
       ist das? Apartheid? Rassismus? Nazi-Sprech? Es ist Grund für einen
       Aufschrei.
       
 (DIR) Streit ums Kirchenasyl: Abschiebung in die Obdachlosigkeit
       
       Trotz Kirchenasyls in Berlin schob Hamburg einen Afghanen nach Schweden ab.
       Dort lebte er auf der Straße, sagt der Pastor der Berliner Gemeinde.