# taz.de -- Debatte um neue Wehrpflicht: Ist Losen eine Form der Willkür?
       
       > Die Koalition überlegt, auszulosen, wer gemustert werden und wer
       > Wehrdienst leisten muss. Ob das verfassungsrechtlich geht, ist sehr
       > umstritten.
       
 (IMG) Bild: Verteidigungsminister Boris Pistorius ist nicht generell gegen das Losen als Methode
       
       Falls nicht genug junge Männer freiwillig zum Bund gehen, will die
       schwarz-rote Koalition die ausgesetzte Wehrpflicht wieder einzuführen. Die
       Dienstpflichtigen könnten dabei ausgelost werden. Ob das rechtlich zulässig
       ist, muss dann das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
       
       Wegen der Bedrohungslage soll die Bundeswehr von derzeit 183.000 Soldaten
       auf 260.000 Soldaten bis Anfang der 2030er Jahre anwachsen. Das soll
       dadurch geschehen, dass die Zahl derjenigen gesteigert wird, die freiwillig
       zur Bundeswehr gehen. Der Dienst soll attraktiver werden, insbesondere
       durch besseren Sold.
       
       Falls das nicht gelingt, [1][will die Koalition auf Wunsch der CDU/CSU eine
       begrenzte Zahl von jungen Männern zwangsweise einziehen], um die Sollstärke
       zu erreichen. Vorige Woche hatte eine kleine Koalitions-AG um Norbert
       Röttgen (CDU) und Siemtje Möller (SPD) dafür einen Vorschlag gemacht: In
       einer ersten Runde sollte ausgelost werden, wer verpflichtend zur Musterung
       muss. In einer zweiten Runde sollte dann abermals gelost werden, wer auch
       tatsächlich zum Dienst verpflichtet wird.
       
       Verteidigungsminister Boris Pistorius legte gegen die Einigung zwar ein
       Veto ein. [2][Doch er ist nicht generell gegen das Losen als Methode.]
       Pistorius will vor allem erreichen, dass alle jungen Männer eines Jahrgangs
       gemustert werden. Als neuer Kompromiss liegt nahe: Erst werden alle
       gemustert, dann aber nur wenige Ausgeloste zum Wehrdienst eingezogen.
       
       ## "Massive Ungleichbehandlung"
       
       Doch ist eine Los-Auswahl der Wehrpflichtigen überhaupt mit dem Grundgesetz
       vereinbar? Die konventionelle Sichtweise vertritt der Anwalt David
       Werdermann in einem Gutachten für Greenpeace. Danach ist ein Auslosen der
       Wehrpflichtigen eindeutig verfassungswidrig. Und zwar aus zwei Gründen: Zum
       einen [3][sehe das Grundgesetz eine "allgemeine" Wehrpflicht vor]. Damit
       sei nicht zu vereinbaren, nur fünf- bis zehntausend Männer eines Jahrgangs
       zwangsweise einzuziehen.
       
       Zum anderen müsse die Auswahl der Wehrpflichtigen nach sachlichen Kriterien
       erfolgen. Das Auslosen sei jedoch pure Willkür und könne eine so massive
       Ungleichbehandlung - manche müssen sechs Monate zum Bund, die meisten aber
       nicht - auf keinen Fall rechtfertigen.
       
       Auf der anderen Seite steht Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio, der in
       einem Gutachten für die CDU/CSU-Fraktion zum unkonventionellen Ergebnis
       kommt, dass das Auslosen der Wehrpflichtigen nicht gegen das Grundgesetz
       verstößt. Di Fabio argumentiert, dass das Grundgesetz schon gar keine
       "allgemeine" Wehrpflicht vorsieht. Das sei nur eine Erfindung der
       Rechtsprechung.
       
       Eine allgemeine Wehrpflicht, bei der Jahr für Jahr bis zu 300.000 junge
       Männer eingezogen werden, würde heute sogar zu einer "Überstrapazierung"
       der Bundeswehr führen und damit die Landesverteidigung gefährden. Deshalb
       könne der Bundestag, wenn derzeit weniger Soldaten benötigt werden, auch
       eine sogenannte "Kontingent-Wehrpflicht" für nur einen Teil des Jahrgangs
       einführen.
       
       ## Gleiche Chance durch Zufall
       
       Dabei hält Di Fabio das Losen für die einzig vertretbare Auswahlmethode.
       Der Zufall sei keine Willkür, sondern das Gegenteil davon, nämlich gerecht.
       Der Zufall sorge dafür, dass alle die gleiche Chance haben und
       Manipulationen und Umgehungsversuche ausgeschlossen sind.
       
       Sowohl Werdermann als auch Di Fabio gehen also davon aus, dass Willkür bei
       der Wehrpflicht verboten ist. Sie streiten nur darüber, ob das Losen nun
       Willkür ist oder Willkür verhindert. Dabei sind beide Positionen juristisch
       gut vertretbar. Sollte der Bundestag tatsächlich eine Los-Wehrpflicht
       einführen, müsste also letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden,
       ob sie zulässig ist.
       
       Am elegantesten wäre es natürlich, die neuen Regeln mit
       Zwei-Drittel-Mehrheit direkt im Grundgesetz zu verankern. Doch dies
       erscheint derzeit illusorisch, weil Grüne, Linke und AfD die neue
       Los-Wehrpflicht aus unterschiedlichen Gründen ablehnen.
       
       18 Oct 2025
       
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