# taz.de -- Reform des Bürgergelds: Kommt jetzt Hartz IV zurück?
       
       > Die Bundesregierung hat ihre neue Grundsicherung vorgestellt. Wie ein
       > Arbeitsmarktforscher die Vorschläge beurteilt.
       
 (IMG) Bild: Demonstrant:innen auf der Leipziger Montagsdemonstration gegen die geplante Arbeitsmarktreform Hartz IV am 30. August 2004
       
       Berlin taz | Der Kampf um die Deutungshoheit hat begonnen. [1][Seit die
       Bundesregierung am Donnerstag ihre Reform des Bürgergelds vorgestellt hat],
       das nun Grundsicherung heißen soll, wird gestritten, wie tiefgreifend die
       Veränderungen tatsächlich sind. „Das Bürgergeld ist Geschichte“, frohlockte
       schon während der Pressekonferenz CSU-Chef Markus Söder.
       
       Unionsfraktionschef Jens Spahn will sogar eine „neue Ära der
       Arbeitsmarktpolitik“ erkennen. SPD-Chefin Bärbel Bas dagegen verteidigte am
       Freitag den Kompromiss, auch gegen Kritik ihrer Jusos. Es würden lediglich
       die Mitwirkungspflichten durch neue Sanktionsmöglichkeiten „angeschärft“.
       
       Experten sind mit ihrer Einschätzung zurückhaltender. „Für eine Bewertung
       ist es noch zu früh“, sagt etwa [2][Joachim Wolff, der zum Bürgergeld und
       der Grundsicherung am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) in Nürnberg
       forscht.] Wie hart die angekündigten Sanktionen am Ende im Gesetzestext
       stehen und wie diese dann in der Praxis angewandt werden, ist im Konzept
       der Bundesregierung nicht ersichtlich.
       
       Ungeklärt ist beispielsweise, wie die Regierung umsetzen will, dass bei
       mehrfachen Meldeversäumnissen auch [3][die Kosten der Unterkunft] nicht
       ausgezahlt werden. Werden die Zahlungen nur zeitweise gestoppt und zu einem
       späteren Zeitpunkt rückwirkend ausgezahlt – etwa wenn ein
       Leistungsberechtigter wieder zum Termin im Jobcenter erscheint? Vermutlich
       meint die Bundesregierung es so – und das wird von den Jobcentern in der
       Praxis schon jetzt regelmäßig so gehandhabt.
       
       ## Zurück auf Hartz
       
       Oder handelt es sich um eine echte Streichung der Kosten der Unterkunft?
       Das wäre rechtlich nur schwer umsetzbar, sagt Experte Wolff: „Hinter das
       Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann man nicht zurück“. Das Gericht
       hatte 2019 geurteilt, dass es für Sanktionen, die an das Existenzminimum
       gehen, enge Grenzen gibt.
       
       Die Antwort auf diese Frage entscheidet auch darüber, ob die Reform im
       schlimmsten Fall dazu führen könnte, dass mehr Menschen ihre Wohnung
       verlieren. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in der ARD beschwichtigt: „Es
       wird in Deutschland niemand obdachlos.“
       
       Ist die neue Grundsicherung nun das alte Hartz IV, wie die einen
       kritisieren und wie es sich die anderen erhoffen? Ganz so eindeutig ist es
       nicht. „Es ist schon ein Kompromiss erkennbar“, sagt Experte Wolff. Die
       strengeren Sanktionen, insbesondere für das Verpassen von Terminen,
       erinnerten teils an die ursprünglichen Hartz-Reformen.
       
       Doch in einer anderen Frage könnten sich die SPD und Befürworter des
       Bürgergelds durchgesetzt haben: Weiterhin müssen Leistungsberechtigte
       Arbeit wohl nicht um jeden Preis annehmen. Kanzler Merz sagte bei der
       Vorstellung der Reform am Donnerstag, dass der „Vermittlungsvorrang zurück“
       sei. Dementgegen gibt die Reform den Jobcentern auch in Zukunft die
       Möglichkeit, auf Berufsausbildung und Qualifizierung zu setzen, statt
       Menschen zur Aufnahme einer Arbeit zu zwingen.
       
       ## Qualifizierung gegen Hilfsbedürftigkeit
       
       „Qualifizierung kann im Einzelfall der bessere Weg sein, um nachhaltig aus
       der Hilfebedürftigkeit herauszukommen“, sagt Wolff, „weil qualifizierte
       Arbeit besser bezahlt wird.“ Hier bleibt also eine Errungenschaft aus dem
       Bürgergeld voraussichtlich weitgehend erhalten.
       
       Eine weitere Änderung plant die Bundesregierung für Menschen, die mehrfach
       Arbeitsangebote ablehnen. Bereits heute können diese Menschen, die oft als
       [4]["Totalverweigerer"] diffamiert werden, unter Umständen ihren kompletten
       Regelsatz per Sanktion verlieren. In Zukunft soll das bereits nach dem
       ersten abgelehnten Jobangebot passieren.
       
       Fraglich ist jedoch, ob das rechtlich umsetzbar ist. Denn um den Vorgaben
       des Verfassungsgerichts zu genügen, ist die aktuelle Regelung aus Zeiten
       der Ampel-Regierung so kompliziert, dass sie in der Praxis kaum Anwendung
       findet. Wolff hat erst vor kurzem eine Studie dazu vorgelegt und bundesweit
       nur eine „niedrige zweistellige Zahl“ von Fällen gefunden.
       
       ## Sanktionen können helfen
       
       [5][Grundsätzlich zeigen Forschungsergebnisse allerdings, dass Sanktionen
       tatsächlich dazu führen können, dass Menschen schneller eine Arbeit
       aufnehmen], auch wenn sie gar nicht selbst von ihnen betroffen sind. Zu
       hohe Sanktionen könnten laut Experten des IAB allerdings kontraproduktiv
       wirken. Wer so stark sanktioniert werde, dass er in der Folge
       beispielsweise Probleme habe, seine Stromrechnung zu bezahlen, werde
       dadurch eher nicht dazu motiviert, nach Arbeit zu suchen.
       
       Zuletzt hat die Bundesregierung angekündigt, Langzeitarbeitslose in Zukunft
       enger betreuen zu wollen, mit „hoher Kontaktdichte“. Wolff begrüßt dieses
       Vorhaben, stellt aber fest: „Dafür braucht es an den Jobcentern
       zusätzliches Personal und Mittel“. Ob die Bundesregierung, deren Chef gern
       behauptet, im Bürgergeld Milliarden sparen zu können, dafür Geld
       bereitstellt, ist ungewiss.
       
       11 Oct 2025
       
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