# taz.de -- Deutsche Israel-Politik: Auf das Versagen muss Einsicht folgen
       
       > Gaza lehrt: Die deutsche Israel-Politik ist gescheitert. Ein Neustart
       > muss historische Verantwortung und Völkerrecht in Einklang bringen.
       
 (IMG) Bild: Ein apokalyptisches Bild: Gaza Stadt am 12.Oktober 2025
       
       Gaza sei ein Laboratorium, wie die Welt aussähe ohne internationales Recht.
       So formulierte es der französische Historiker Jean-Pierre Filiu, nachdem er
       im vergangenen Winter für einen Monat Augenzeuge des Horrors war.
       [1][Trumps Diktatfrieden] verzichtet gleichfalls auf jeglichen
       Rechtsgedanken, und von Wiederaufbau wird nun in einem Ton gesprochen, als
       sei Gaza ein Erdbebengebiet und kein Tatort schlimmster Kriegsverbrechen.
       Genozid? Schwamm drüber. Wird Gaza [2][also erneut zum Labor] – wie Macht,
       Deals und Geld das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Freiheit ersticken?
       
       Dazu darf es nicht kommen. Jetzt müssen sich Forensiker ans Werk machen und
       Experten für die Befragung traumatisierter Menschen. Es muss
       Rechenschaftspflicht geben für die Vergehen der Hamas wie für die
       israelischen. Vieles wurde bereits digital dokumentiert, etwa, wo
       Journalisten und Ärzte getötet wurden. Die grauen Schutthalden von Gaza
       bergen unzählige Leichen ebenso wie DNA-Spuren der Wahrheit, und ein
       beträchtlicher Teil der Menschheit erwartet, dass mit beidem respektvoll
       umgegangen wird.
       
       Denn der Trump’sche Diktatfrieden spiegelt auf doppelte Weise eine sich
       verändernde Welt: den Aufstieg bizarrer Autokraten ebenso wie die Wirkung
       einer globalen Protestbewegung. Trump hat die Reißleine gezogen, um Israel
       zu retten, es vor sich selbst zu retten in einem Moment, da das Land
       international so isoliert ist wie nie zuvor. „Israel cannot fight the whole
       world“, soll Trump zu Netanjahu gesagt haben.
       
       Was bedeutet dies alles nun also für Deutschland und den überfälligen
       Neustart seiner gescheiterten Nahost-Politik? Zunächst ist intellektuelle
       Klarheit nötig. Israel bleibt zwar historisch betrachtet ein Staat der
       Opfer – rund ein Drittel der Staatsgründer waren Überlebende der Shoah –,
       aber für Israels Verbrechen in der Gegenwart darf es nicht länger einen
       Opferbonus geben. Dies zu konstatieren ist keine Relativierung des
       Ursprungsgeschehens, des Holocaust, und vermindert um kein Jota unsere
       Pflicht, das Holocaust-Gedenken wach zu halten. Doch es ist an der Zeit,
       historische Verantwortung und Völkerrecht in Einklang zu bringen.
       
       ## Ob an ihren Händen Blut klebt
       
       Die apokalyptischen Bilder aus Gaza erzwingen die Einsicht, wie desaströs
       die deutsche Israelpolitik auf Grund gelaufen ist. Gescheitert die
       Illusion, durch beflissene Nähe und beschönigende Diplomatie Einfluss auf
       Israels Regierung auszuüben. Stattdessen hat sich Deutschland durch
       Waffenlieferungen zum Gehilfen eines mutmaßlichen Genozids gemacht, ist
       jedenfalls seiner Verpflichtung als Unterzeichner der Konvention zur
       Verhütung eines Völkermords [3][in keiner Weise nachgekommen].
       
       Damit haben die Regierungen von Olaf Scholz und Friedrich Merz obendrein
       die Verfassung verletzt, denn das Grundgesetz verpflichtet in Artikel 25
       zum Einsatz für internationales Recht – der Passus war eine Lehre aus dem
       Nationalsozialismus. Doch geht es hier nicht um abstrakte Rechtsgüter. So
       wie der zögerliche Joe Biden müssen sich auch deutsche Politiker fragen, ob
       an ihren Händen das Blut palästinensischer Kinder klebt.
       
       Die Lehren aus der Shoah bedeuten eine partikulare Verantwortung gegenüber
       jüdischen Menschen und einen universellen Einsatz für Völkerstrafrecht und
       Menschenrechte. Beides muss im Einklang stehen, auch im Verhältnis zu
       Israel. Und aus der Geschichte folgt gleichfalls eine Mitverantwortung für
       das Schicksal der Palästinenser. Diese Prinzipien sind der Kompass, nach
       dem sich eine neue deutsche Nahost-Politik ausrichten muss. Das verlangt,
       sich von überholten Israelbildern aus den 1990er Jahren zu lösen.
       Rechtsradikales Gedankengut ist nicht auf ein paar Minister beschränkt,
       sondern weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen.
       
       Drei Viertel der jüdischen Israelis sind [4][laut Umfragen des Instituts
       for National Security Studies in Tel Aviv] gegen einen palästinensischen
       Staat – das bedeutet, die Mehrheitsgesellschaft ist derzeit leider kein
       Partner für eine Politik, die palästinensische Selbstbestimmung
       respektiert. Und viele Israelis sind weiterhin davon überzeugt, dass der
       historische Opferstatus ihrem Land das Recht gibt, Dinge zu tun, die keinem
       anderen Land erlaubt sind. Wer widerspricht, ist antisemitisch, bis hin zu
       den Vereinten Nationen und jenen Institutionen, die einst nach „Nürnberg“
       geschaffen wurden. Dieser Wahn hat Israel an den Punkt gebracht, wo es
       heute ist.
       
       ## Nur eine Frage der Zeit
       
       Unsere Wertepartner aber sind jene Menschen in Israel, die verzweifelt die
       Stimme erhoben haben gegen den Horror von Gaza und die sich dabei fühlten,
       so beschrieb es der Anwalt Michael Sfard, als lebten sie inmitten einer
       kriminellen Familie. Deutschlands Freunde können nur die Gegner von
       Unrechtspolitik, Besatzung und Unterdrückung sein. Eine Minderheit, gewiss,
       aber im Wortsinn maßgebend.
       
       Zum Labor der Rechtlosigkeit [5][verkommt gleichfalls das Westjordanland].
       In diesen Tagen wurden Bauern sogar bei der Olivenernte von Siedlern blutig
       attackiert. Mehr als 1.000 Palästinenser wurden in den vergangenen zwei
       Jahren durch Armee und Siedler getötet, ohne Folgen. Es ist eine Frage der
       Zeit, bis das Westjordanland in Wut explodiert.
       
       Der Internationale Gerichtshof verlangt längst, alles zu unterlassen,
       [6][was die illegale Besetzung aufrechterhält]. Also keine deutschen
       Rüstungsgüter an den Besatzungsstaat und ein EU-Importverbot für
       Siedlungsprodukte – das sind einfache erste Schritte. Mehr müssen folgen.
       Ohne Druck von außen auf Israel ist auch die diplomatische Anerkennung
       eines „Staats Palästina“ wertloses Papier.
       
       Der weitere Weg nach vorn? Palästinensische Gleichberechtigung und jüdische
       Sicherheit sind untrennbar verbunden. Das heißt: Israelis werden nur sicher
       leben, wenn Palästinenser in Freiheit leben können. Wer auf der Straße
       „Free Palestine“ ruft, schützt jüdisches Leben in Israel also womöglich
       mehr, als es eine fehlgeleitete deutsche Nahostpolitik getan hat.
       
       14 Oct 2025
       
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 (DIR) [4] https://www.inss.org.il/publication/survey-fabruary-2025/
 (DIR) [5] /Siedlergewalt-im-Westjordanland/!6120424
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 (DIR) Charlotte Wiedemann
       
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