# taz.de -- Vergessene Künstlerin Sarah Schumann: Mit geschärften Klingen
       
       > Die Berliner Künstlerin Sarah Schumann setzte sich ab den 1950ern mit dem
       > Bild der Frau auseinander – und dieses mit Schere und Kleber neu
       > zusammen.
       
 (IMG) Bild: Schockcollage von Sarah Schumann, ohne Titel („Ungarn“), 1959
       
       Zwei Frauen sitzen an einem Tisch, denken, rauchen, jede für sich, der
       Blick klar und kontemplierend. Es sind die Freundinnen der Künstlerin Sarah
       Schumann, sie hat sie 1977 mit Schere und Kleber ins Bild gesetzt. [1][Die
       Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen] und die Schriftstellerin und
       Übersetzerin Ann Anders sind zwei Protagonistinnen der Intellektuellenszene
       im Westberlin der 1970er Jahre und der zweiten Frauenbewegung.
       
       Im Bildzentrum steht hochkant eine Ausgabe der von [2][Helke Sander]
       gegründeten Zeitschrift Frauen und Film und daran angelehnt ein großes
       Küchenmesser. Messer und Schere sind in Schumanns Œuvre dieser Jahre
       überall. Sie sind für die Collage-Künstlerin das Werkzeug der Bildkritik.
       Ihr Thema ist das Bild der Frau.
       
       Selten sind selbst in Berlin, wo Sarah Schumann geboren ist und viele Jahre
       lebte und arbeitete, Werke der Künstlerin zu sehen. Eine Gelegenheit gibt
       es aktuell in einer Einzelausstellung in der Galerie Meyer Riegger in
       Berlin-Charlottenburg. Gezeigt wird dort – als eine von vielen – auch die
       eingangs beschriebene Collage.
       
       Schumanns Auseinandersetzung mit Weiblichkeitskonstruktionen begann nicht
       erst in den politisch bewegten 1970er Jahren, sondern nahm bereits im
       Frühwerk ihren Anfang. Die Künstlerin wird 1933 in Berlin geboren und
       beginnt schon als Kind mit dem Zeichnen. Sie bleibt Autodidaktin, besucht
       nie eine Akademie. In den 1950er Jahren entstehen erste abstrakte Gemälde.
       Wolkige Gebilde in Gelb und Braun, Lila- und Rosatönen im Zeichen des
       Informel. Sie liegt damit ganz im Trend der Abstraktion, die Werner
       Haftmann und Arnold Bode 1959 mit der zweiten documenta zum Gebot der
       Stunde erklären.
       
       Gleichzeitig zu den abstrakten Gemälden fertigt Schumann in den späten
       1950er und frühen 1960er Jahren Fotocollagen an. Bilder, für die sich heute
       auf dem Kunstmarkt der Begriff Schockcollagen etabliert hat. Ausschnitte
       aus Magazinen und Zeitungen verbindet sie zu surrealen,
       poetisch-dissonanten Kompositionen. Die Motive entstammen dem
       Zeitgeschehen: Autounfälle, Trümmerlandschaften, Soldaten,
       Erschießungskommandos.
       
       Der Vietnamkrieg taucht auf, auch der Zweite Weltkrieg, den die
       Gesellschaft der Adenauer-Ära so bemüht ist zu verdrängen. Dazwischen
       Pin-ups, Filmstars, antike Skulpturen. Immer wieder Marilyn Monroe,
       Filmikone und Sexsymbol. Oder die Mona Lisa, deren Lächeln sich auch
       angesichts eines Zugunglücks nicht verzieht.
       
       ## Traumartige Bilder
       
       Die Gleichzeitigkeit von Krieg und Gewalt, Konsum und Oberfläche machte die
       Pop Art ebenso zum Thema wie politische Künstler der Fluxus-Bewegung. Bei
       Sarah Schumann geht diese Konfrontation quer durch die Jahrhunderte. Ihre
       ambigen, traumartigen Bilder handeln von den Höhenflügen und Abgründen der
       menschlichen Existenz; von den Errungenschaften der Kultur ebenso wie von
       den Katastrophen und Verwüstungen der Menschheitsgeschichte. Und hindurch
       zieht sich wie ein roter Faden die Auseinandersetzung mit den überlieferten
       Bildern der Frau.
       
       Als Schumann 1960 ihre Ehe auflöst und nach London geht (sie war bis zu
       diesem Zeitpunkt mit dem Kunsthändler Hans Brockstedt verheiratet und lebte
       in Hamburg), feiert sie künstlerische Erfolge. Sie stellt im renommierten
       Institute of Contemporary Arts aus und verkauft ihre Arbeiten gut. Weil
       London teuer wird, zieht sie 1963 weiter nach Italien. Für wenig Geld
       erwirbt sie ein sanierungsbedürftiges Haus im Piemont, erlebt dort jedoch
       eine persönliche Krise.
       
       Zurück in Berlin, wird die Frauenbewegung ab 1968 zu ihrem wichtigsten
       Bezugsfeld. Gemeinsam mit der Filmemacherin und Autorin [3][Helke Sander]
       gründet sie die Gruppe Brot und Rosen, die über Frauengesundheit und den
       Schwangerschaftsabbruch aufklärt. 1972 gibt die Gruppe das „Frauenhandbuch
       Nr. 1“ heraus (spätere Auflage: 100.000), Schumann gestaltet das Cover. Für
       die von Sander gegründete feministische Filmzeitschrift Frauen und Film
       entwirft sie viele Titelblätter.
       
       ## Feministische Geschichtsarbeit
       
       1977 realisiert sie gemeinsam mit sechs Künstlerinnen und
       Wissenschaftlerinnen unter der Trägerschaft der Berliner neuen Gesellschaft
       für bildende Kunst die Ausstellung „Künstlerinnen international 1877–1977“.
       Rund 1.000 Werke von 182 Künstlerinnen tragen sie zusammen, darunter so
       schillernde Namen wie Frida Kahlo und Martha Rosler oder Dorothea Tanning
       und Meret Oppenheim. Die Schau ist aus kunsthistorischer Sicht eine
       Pionierleistung feministischer Geschichtsarbeit. Erstaunlich, dass sie bis
       heute in Vergessenheit geriet.
       
       Als Collagistin setzte Schumann in den 1970er Jahren ihren eigenen
       Zeitgenossinnen ein Denkmal. An die Stelle der Pin-ups aus der Presse, der
       Marmorbüsten und der Mona Lisas tritt in ihrem Œuvre zu der Zeit das Motiv
       der Freundin. Groß und prominent, selbstbewusst in der Bildmitte platziert,
       befinden sich die Frauenfiguren inmitten von überzeitlichen Landschaften.
       
       Neben Helke Sander und [4][Schumanns Partnerin Silvia Bovenschen] stehen
       die Schriftstellerin Iris Wagner, die Historikerin Marianne Herzog und die
       Künstlerinnen [5][Evelyn Kuwertz] und Ursula Lefkes Modell. Sie
       fotografiert, schneidet, klebt, malt, montiert, übermalt. Ursula Lefkes’
       Ehemann, der Filmemacher Harun Farocki, verewigt diese Arbeitsweise in
       seinem Film „Ein Bild von Sarah Schumann“, der 1978 im WDR ausgestrahlt
       wird.
       
       ## Frühwerk war verschollen
       
       Wie kann es sein, dass das Werk Schumanns, die 2019 in Berlin verstarb,
       heute kaum bekannt ist? Sicher auch, weil ein Großteil des Frühwerks lange
       Zeit verschollen war. Viele Jahre lagerten die Arbeiten auf dem Dachboden
       von Schumanns früherem Ehemann Hans Brockstedt. 1983 zeigte sie der
       Hamburger Kunstverein, danach landeten sie wieder auf dem Speicher.
       
       Im Nachlass von Brockstedt entdeckte ein Bekannter Schumanns, der Verleger,
       Gestalter, Ausstellungsmacher und Schnapsbrenner Christoph Keller, das
       Konvolut. Rund 60 Collagen und 15 Gemälde hat er daraufhin in einer
       quasi-musealen Ausstellung versammelt. Die Galerie Meyer Riegger bot dafür
       ihre Räume an. Nur zu sehen sind die Arbeiten dort, verkäuflich sind sie
       nicht. Alle Beteiligten sind überzeugt, dass das Frühwerk eine Entdeckung
       ist und an die Öffentlichkeit gehört.
       
       Derzeit hängen die frühen informellen Gemälde von Sarah Schumann übrigens
       nicht nur in der Berliner Ausstellung, sondern auch im Emil Schumacher
       Museum Hagen. Dort versammelt die Schau „InformELLE“ 16 abstrakt malende
       Künstlerinnen der 50er und 60er Jahre und erweitert so den Kanon der
       männlich dominierten europäischen Nachkriegsabstraktion um vergessene
       Positionen. Zu sehen sind neben Werken von etablierten Künstlerinnen wie
       Maria Helena Vieira da Silva und Maria Lassnig auch zahlreiche
       Neuentdeckungen, darunter Sarah Schumann.
       
       Manch früher Kritiker fand Schumanns Bilder kitschig. Diejenigen, die ihre
       Qualität erkannten, lobten das angeblich spezifisch Weibliche ihrer
       Malweise – in der Geschichte der Kunstkritik leider ein alter Hut, der seit
       jeher auch dazu dient, Künstlerinnen aus dem Spielfeld der männlichen
       Kollegen herauszuhalten.
       
       ## Stieß in den 1970er Jahren auf Skepsis
       
       In den 1970er Jahren stießen Schumanns Bilder schöner, erhabener Frauen
       auch bei manchen Feministinnen auf Skepsis. Es war die Zeit der Body Art,
       der Video- und Performancekunst und des radikalen Zugriffs auf den eigenen
       Körper als Material. Für den Kunstmarkt war Schumann zu „weiblich“, für die
       feministische Kunst zu rosa. Heute besteht zwischen feministischen Anliegen
       und pinker Farbe kein Widerspruch. Es ist also wirklich an der Zeit, Sarah
       Schumann neu zu entdecken.
       
       Die Autorin promoviert an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu Sarah
       Schumanns Werk der 1970er Jahre.
       
       5 Oct 2025
       
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       rechnet mit der Zivilisation ab. Er ist durchaus mit Zuneigung geschrieben.