# taz.de -- Hohe Lebensmittelpreise: Weg mit der Mehrwertsteuer?
       
       > Die Linke will die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel streichen – für
       > mehr Entlastung und gesündere Ernährung bei kleinen Einkommen.
       
 (IMG) Bild: Zu teuer? Eine Senkung der Mehrwertsteuer könnte die Konjunktur ankurbeln
       
       Berlin taz | Jede Legislaturperiode kommt derselbe Vorschlag: Die
       Mehrwertsteuer (MwSt.) auf Grundnahrungsmittel soll gesenkt oder
       abgeschafft werden. Genauso stetig wird der Vorschlag abgelehnt. So auch
       der Antrag der Linken, der Mittwochabend im Finanzausschuss durchfiel. Alle
       Fraktionen außer der Linken votierten dagegen. Am Freitag wird dann im
       Bundestag abgestimmt. Die Erfolgschancen für die Linke stehen bei null. Was
       ist dran an der Idee?
       
       Doris Achelwilm, Bundestagsabgeordnete der Linken, argumentierte noch vor
       der Abstimmung, dass mit einer Abschaffung „Menschen mit geringem Einkommen
       von Preissteigerungen entlastet werden und alle Menschen mehr gesunde
       Lebensmittel kaufen können“. Experten haben aber Zweifel, ob das der
       richtige Weg gewesen wäre, um Haushalte zu entlasten.
       
       Dennoch hat die Linke mit der Problemanalyse recht. Die Preise für diese
       Lebensmittel sind stark gestiegen, die Inflationsrate auf Lebensmittel
       beläuft sich seit 2020 auf 34 Prozent. Viele Verbraucher:innen müssen
       deshalb im Supermarkt genau kalkulieren, Produkte zurücklegen und
       Prioritäten setzen. Für Grundnahrungsmittel zahlen Verbraucher:innen
       bislang nur sieben Prozent Mehrwertsteuer, während für die meisten anderen
       Produkte der reguläre Satz von 19 Prozent gilt. Die Steuerermäßigung sollte
       ursprünglich für mehr soziale Gerechtigkeit an den Supermarktkassen sorgen.
       
       Für die Linke reicht das nicht, die MwSt auf Grundnahrungsmittel sollte
       ihrem Antrag nach komplett wegfallen. Schließlich würden Personen mit einem
       geringeren Einkommen einen Großteil ihres Geldes für Grundbedürfnisse
       ausgeben. Ein Unterstützer des Antrags ist der Verbraucherschutz. Jochen
       Geilenkirchen, Leiter des Teams Lebensmittel des Bundesverbands
       Verbraucherschutz, sagt, dass das „Niveau der Preise gerade immer noch sehr
       hoch ist“. Wir merken in Umfragen, aber auch in der Verbraucherberatung,
       dass das viele Verbraucher belastet.“
       
       ## Hochverarbeitet
       
       [1][Die neueste dieser Umfragen] belegt, dass 39 Prozent der
       Verbraucher:innen sich wegen der hohen Lebensmittelpreise beim Kauf von
       Lebensmitteln einschränken. Bei Haushalten mit einem Haushaltseinkommen von
       unter 2000 Euro netto waren es sogar 70 Prozent. Diese Menschen kaufen dann
       meist „hochverarbeitete Lebensmittel statt gesunde Produkte“, meint
       Geilenkirchen.
       
       Wie kann man es ermöglichen, finanziell schlechter Gestellten eine gesunde
       Ernährung zu ermöglichen? Diese Frage ist der Grund, weshalb der
       Verbraucherschutz die Abschaffung der MwSt. auf Grundnahrungsmittel zwar
       gut findet, eigentlich aber für etwas anderes plädiert: eine Abschaffung
       der MwSt. auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Also nicht für Fleisch, Öle
       oder Milchprodukte. Für sie wäre das eine Win-Win-Situation. Preise sinken
       und Menschen ernähren sich gesünder.
       
       Damit die Preise nach der Abschaffung der MwSt aber auch wirklich sinken,
       fordert die Linke in ihrem Antrag eine Art Preisbeobachtungsstelle, ähnlich
       wie Geilenkirchen vom Verbraucherschutz. Sie sollte nach Auffassung des
       Verbraucherschutzes bei der Bundesanstalt für Lebensmittel und Ernährung
       angesiedelt sein und einen Einblick in die Preisbildung „bestimmter
       ausgewählter Lebensmittel, die besonders hohe Relevanz für eine gesunde
       Ernährung“ haben. Das bedeutet aber nicht, betont Geilenkirchen, „dass die
       Preise und die Kosten innerhalb der Kette dann tatsächlich veröffentlicht
       werden.“ Seiner Meinung nach sollten diese Auswertungen dann zu politischen
       Maßnahmen führen können. Momentan sei das nicht möglich, weil niemand weiß,
       wie die Preise ganz genau zusammenkommen.
       
       ## Aufwand
       
       Sebastian Dullien von der Hans-Böckler-Stiftung hält eine solche
       Preisaufsicht für sehr schwierig umzusetzen: „Das wäre ein wahnsinniger
       Aufwand, auch die ganzen Einzelpreise zu kontrollieren, wo es eigentlich
       gesamtwirtschaftlich dann doch um eine kleine Summe geht.“ Auch die anderen
       Parteien im Finanzausschuss haben eine solche Preisbeobachtungsstelle
       kategorisch abgelehnt.
       
       An sich findet Dullien, dass die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf
       Grundnahrungsmittel kein geeignetes Instrument ist, um arme Haushalte zu
       entlasten. „Man entlastet doch sehr breit alle möglichen Haushalte damit“,
       meint Dullien. Reichere Menschen kaufen den teuren Käse für acht Euro und
       bekommen prozentual mehr Entlastung als die ärmere Person, die einen Käse
       für einen Euro kauft. Diese Ersparnis sei im Verhältnis zu den Einnahmen,
       die dem Staat fehlen würden, 15 Milliarden Euro, nicht verhältnismäßig. In
       den vergangenen zwölf Monaten sind etwa 30 Milliarden insgesamt für
       Bürgergeld ausgegeben worden. Außerdem sei die Entlastung an sich sehr
       gering. Wenn 10 Prozent des Einkaufs Grundnahrungsmittel sind und da die 7
       Prozent wegfallen, dann „reden wir von Einsparungen irgendwo in der
       Größenordnung vielleicht vom halben Prozent des monatlichen Konsums
       insgesamt“. Wenn man armen Haushalten helfen wolle, ginge das wirksamer,
       sagt Dullien: „Mit 15 Milliarden könnte man etwa das Bürgergeld um fast die
       Hälfte aufstocken.“
       
       Fritz Güntzler, finanzpolitischer Sprecher der CDU, meint, der Vorschlag
       der Linken sei „reiner Populismus“. Wie Dullien kritisiert die CDU die
       soziale Treffsicherheit der Maßnahme. „Die Umsatzsteuerbefreiung auf
       Lebensmitteln kommt allen Steuerpflichtigen zugute, auch mir als
       Bundestagsabgeordnetem und anderen Gutverdienern“, so Güntzler. Angesichts
       des bestehenden strukturellen Haushaltsdefizits sei dieser Vorschlag nicht
       verantwortbar. „Die erste Reaktion darf nicht immer sein: ‚Das können wir
       uns nicht leisten‘“, sagt hingegen Achelwilm von den Linken.
       
       Zwar könnte eine Abschaffung der Mehrwertsteuer Haushalte kurzfristig
       entlasten, „doch die Idee ist nicht zu Ende gedacht“, kritisiert
       SPD-Finanzpolitiker Jens Behrens den Vorschlag der Linken. Statt an der
       Steuer zu drehen, setzt die SPD daher weiter auf eine Erhöhung des
       Mindestlohns. Diskutieren könne man aber durchaus, was überhaupt als
       Grundnahrungsmittel gelten soll.
       
       ## 7 Prozent
       
       „Wollen wir Babynahrung wirklich mit 19 Prozent belasten, während
       Tierfutter mit 7 Prozent besteuert wird?“, fragt Behrens. Auch die Linke
       möchte diskutieren, was zu den Grundnahrungsmitteln gehört. „Es ist nicht
       nachvollziehbar, dass tierische Ersatzprodukte immer noch mit 19 Prozent
       besteuert werden und dadurch teurer sind als tierische Produkte“, so
       Achelwilm. Denn warum sollte die Mandelmilch mehr kosten als die Kuhmilch?
       Oder teure Lebensmittel wie Trüffel nur mit 7 Prozent besteuert werden?
       
       Der Ökonom Dullien verstehe nicht, warum die Linke sich so auf die
       Lebensmittelpreise fokussiere. Denn neben den Preisen im Supermarkt sind
       „auch die Heiz-, Strom- und Mietkosten enorm gestiegen und eigentlich das
       größere Problem.“ Um diese aber anzugehen, muss man das machen, was Lars
       Klingbeil vor einigen Wochen ins Gespräch gebracht und Friedrich Merz
       sofort wieder abgeräumt hatte: „Man müsste überlegen, ob man nicht
       vielleicht die Einkommensteuer für Reiche erhöht.“ Das größte Problem sieht
       er aber darin, dass man zwar viel über Verteilungsgerechtigkeit spricht,
       „dass es auf der anderen Seite auch ziemlich viele Leute gibt, die eben
       eigentlich kein Interesse daran haben.“
       
       12 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.vzbv.de/pressemitteilungen/staerken-was-alle-staerkt-verbraucherschutz-im-supermarkt
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Verseck
 (DIR) Marc Tawadrous
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lebensmittel
 (DIR) Inflation
 (DIR) Mehrwertsteuer
 (DIR) Verbraucherschutz
 (DIR) Hans-Böckler-Stiftung
 (DIR) CDU/CSU
 (DIR) SPD
 (DIR) Die Linke
 (DIR) Schulden
 (DIR) Bürgergeld
 (DIR) Unicef
 (DIR) Kolumne Was kostet die Welt?
 (DIR) Veganismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Alltag auf Pump: Viele Menschen müssen sich für Lebensmitteleinkäufe Geld leihen
       
       Mehr als die Hälfte der unter 50-Jährigen greift für notwendige
       Alltagsausgaben zum Kredit – oft bei der Familie. Wer besonders betroffen
       ist.
       
 (DIR) Friedrich Merz und Sozialkürzungen: Unklar, ob so viel Geld gespart werden kann
       
       5 Milliarden Euro Sparpotenzial beim Bürgergeld? Das Sozialministerium
       stützt die Prognose des Kanzlers nicht, sondern nennt sie offenbar
       „unseriös“.
       
 (DIR) Unicef über Mangelernährung: Erstmals mehr Kinder über- als untergewichtig
       
       Mit Ausnahme des südlichen Afrikas und Südasiens gibt es weltweit mehr
       über- als untergewichtige Kinder. Das kann Folgen für ihre Entwicklung
       haben.
       
 (DIR) Steigende Preise: Deutschland braucht eine gerechtere Mehrwertsteuer
       
       Der Staat verdient daran, dass Menschen Nahrung brauchen – bei armen
       Menschen umso mehr. Das muss unbedingt aufhören.
       
 (DIR) Versteckte Kosten der Ernährung: Was im Supermarkt nicht ausgezeichnet ist
       
       Übermäßiger Fleisch- und Zuckerkonsum kostet die Allgemeinheit zig
       Milliarden, zeigt eine aktuelle Studie. Expert*innen fordern politische
       Lösungen.