# taz.de -- Bürgermeisterwahl in Bad Freienwalde: Eine Stadt ringt mit sich selbst
       
       > Nicht erst, seit rechtsextreme Schläger ein Straßenfest der Vielfalt
       > überfielen, ist die Stadtgesellschaft polarisiert. Am Sonntag ist
       > Bürgermeisterwahl.
       
 (IMG) Bild: Die Innenstadt von Bad Freienwalde
       
       Markthändler bauen ihre Stände ab, Jugendliche rattern in schwarzen Hoodies
       auf [1][Simson-Mopeds] vorbei. „Eigentlich wollen wir einfach unsere Ruhe
       haben hier.“ Die Rentnerin, die das sagt sitzt in ihrem motorisierten
       Rollator auf dem von Eichen gesäumten Marktplatz von Bad Freienwalde. Ihr
       Gesicht hat sie mit einem Käppi vor der Herbstsonne abgeschirmt. Ihren
       Namen möchte sie nicht nennen. Gelb-schwarze Hertha-Sticker kleben auf
       ihrem Gefährt. Auf dem Button an ihrem Beutel steht „Die Friedenspartei“ –
       er ist von der AfD.
       
       In dem brandenburgischen Städtchen Bad Freienwalde ist am Sonntag
       Bürgermeisterwahl. Die Frage, wer hier vor wem Ruhe haben will, ist nicht
       so leicht zu beantworten. Sicher ist nur das: Ruhig ist es zurzeit nicht.
       Der Bürgermeister Ralf Lehmann (CDU), seit 1993 Amtsinhaber, tritt nicht
       mehr an. Nach über 30 Jahren wird es erstmals einen Wechsel im Rathaus
       geben.
       
       Nahezu wöchentlich finden Wahlforen mit den Kandidierenden statt, Wahlkampf
       wird an Ständen gemacht, die Laternen sind mit Wahlplakaten behängt. Direkt
       vor dem Bahnhof steht ein großes Banner der AfD, das ein „Ende der
       Spaltung“ verspricht. Der parteilose Frank Vettel tritt hier für die Blauen
       an, seine Kontrahenten sind die lokale CDU-Vorsitzende und
       Stadtratsverordnete Ulrike Heidemann und der parteilose Marco Terei.
       
       Ruhig war es in dem 12.000 Einwohner:innen zählenden Bad Freienwalde
       auch vorher nicht. Im Juni [2][überfielen mutmaßlich rechter Jugendliche
       und junge Männer das Vielfaltsfest] des Bündnisses „Bad Freienwalde ist
       bunt“. Die circa 12-köpfige Gruppe verwüstete mit Schlagstöcken und
       Quarzhandschuhen das Fest, mindestens zwei Personen wurden verletzt, es gab
       Knochenbrüche. Bisher konnte die Polizei nur [3][einen Tatverdächtigen]
       ermitteln, er ist in der Neonazi-Partei III. Weg organisiert.
       
       Weit über Bad Freienwalde hinaus sorgte der Überfall für Entsetzen. Die
       Festveranstalter:innen erfuhren [4][viel Solidarität]. Dem
       amtierenden Bürgermeister Lehmann warfen jene vor, den Angriff zu
       verharmlosen und keinen Kontakt mit den Betroffenen gesucht zu haben.
       
       Nun stellt sich die Frage: Was für einen Einfluss hat der Ausbruch rechter
       Gewalt auf die Wahl? Und wie wird der nächste Bürgermeister oder die
       nächste Bürgermeisterin mit der polarisierten Stadtgesellschaft umgehen?
       
       ## Wie geht es weiter?
       
       30 Prozent der Wähler:innen in Bad Freienwalde machten bei den
       Kommunalwahlen 2024 ihr Kreuz bei der vom Verfassungsschutz als gesichert
       rechtsextrem eingestuften AfD. Bei der Bundestagswahl 2021 waren es sogar
       44 Prozent. Seit Jahren lässt sich auch ein Erstarken rechter Jugendkultur
       beobachten, Kader gewaltbereiter rechtsextremer Jugendgruppen wie die
       „Deutsche Jugend Voran“, die neonazistische Kleinstparteien der III. Weg
       und deren Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“ sind in Bad
       Freienwalde aktiv. Das erzählen auch die Sticker, die an den
       Laternenpfosten kleben.
       
       Gleichzeitig sind da jene, die sich für Vielfalt und Demokratie einsetzen.
       „Mir ist es wichtig, vor allem jungen Menschen zu zeigen, dass das nicht
       der einzige Weg ist, dass es hier auch eine Gesellschaft gibt, die
       zugewandt und inklusiv ist, nicht menschenverachtend“, sagt Judith Strohm
       von eben jenem Bündnis, das im Juni angegriffen wurde. Im ländlichen Raum
       gebe es genauso queere Jugendliche, binationale Paare und Menschen mit
       Behinderung wie in der Stadt. Es sei Aufgabe, eine Gesellschaft für alle zu
       gestalten. Antidemokratische Tendenzen müssten offensiv den Blick genommen
       werden, fordert die 47-Jährige.
       
       Im Wahlkampf zumindest wird das Thema Rechtsextremismus meist vermieden.
       „So etwas wie im Juni darf nicht wieder vorkommen“, – so oder so ähnlich
       sagen es fast alle Kandidat:innen. Die Debatte bleibt aber bei der
       Diskussion über mehr Polizeipräsenz gegen rechte Umtriebe stehen. Zu groß
       scheint das Konfliktpotenzial, zu groß auch der Einfluss der
       AfD-Wähler:innen, die fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.
       
       ## Das Gute nicht aus dem Blick verlieren
       
       Gegenüber Fremden sind die Bad Freienwalder nicht sonderlich gesprächig.
       Bei der Suche nach politischen Antworten ist Ratlosigkeit spürbar. Wenn die
       Leute reden, sagen sie wenig Gutes über ihr eigentlich recht hübsches
       Städtchen, das den Beinamen Kurstadt trägt. Fünf Regelschulen und eine
       Sonderschule gibt es, mehrere Einkaufsmöglichkeiten, eine historische
       Altstadt und ein Moorbad. Die Rede kommt immer wieder auf die
       Fertigstellung des Kreisverkehrs, bezahlbaren Wohnraum und die
       stillliegende Hotelbaustelle. Und einfach darum, „dass sich zu lange nichts
       geändert hat“, wie ein Passant sagt.
       
       Diese Unzufriedenheit müsse man ernstnehmen, meint Ulrike Heidemann,
       CDU-Anwärterin für das Bürgermeisteramt, zur taz. „Dass es ein ganz großes
       Misstrauen gibt, ist auch hier im Kommunalen spürbar“. Gleichzeitig dürfe
       man aber nicht aus dem den Blick verlieren, dass sich in den letzten Jahren
       trotz der knappen Mittel im Stadthaushalt einiges getan hat. „Das kann man
       sehen, wenn man durch die Stadt fährt, dass die Häuser alle saniert und die
       Straßen in der Innenstadt schon ganz gut gemacht sind“.
       
       Die Straßenplanerin ist seit neun Jahren in der CDU Bad Freienwalde, seit
       2023 sitzt sie auch im Stadtrat und leitet den Bauausschuss. Dort habe sie
       Politik richtig erlernt, sagt die 43-Jährige. Sie schätzte das sachliche
       Arbeiten. Selbstverständlich werde es in den Ausschüssen einen sachlichen
       Austausch mit allen geben. Nicht geben werde es jedoch vorherige Absprachen
       mit der AfD, um Mehrheiten zu bilden. „Das ist für mich die Brandmauer“,
       betont Heidemann.
       
       Den „Alles anders“-Ansatz ihrer zwei parteilosen Kontrahenten sieht sie
       deshalb skeptisch. Beide verfügen bisher über noch keine kommunalpolitische
       Erfahrung in der Stadtverordnetenversammlung. Ihre Konkurrenten werben
       hingegen mit ihrer Neuheit und Frische. Der aus der Wirtschaft kommende
       Kandidat Marco Terei wertet seine Parteilosigkeit als Vorteil, um mit allen
       auf Augenhöhe sprechen zu können.
       
       ## Das Ende der Brandmauer?
       
       Das Stadtparlament gilt in Bad Freienwalde als gespalten. Die Verordneten
       der CDU, Wählervereinigung NCC, Grüne und Linke, die zusammen die
       überfraktionelle „Allianz für die Kurstadt“ bilden, stehen dort oft der
       AfD, Wählervereinigung 2019 und der SPD gegenüber. Mit „Spaltung
       überwinden“ meint der parteilose AfD-Kandidat Vettel deshalb nicht nur eine
       gesellschaftliche Spaltung, er meint auch ganz konkret das Ende der
       Spaltung im Stadtparlament. Und so sagt er bei einem Wahlforum am Dienstag
       ausdrücklich: „Ich will ein Ende der Brandmauer“. Rund ein Drittel der
       Leute klatscht, der Rest demonstrativ nicht.
       
       Rund 200 Leute sind an diesem Abend gekommen, um sich die Standpunkte der
       Kandidat:innen zu Bildung, Demokratie, Wirtschaft, Inklusion,
       Gesundheit, ÖPNV und Kultur & Sport anzuhören. Organisiert hat das
       Wahlforum die Stephanus Stiftung, ein sozialer Träger und einer der
       größten Arbeitgeber in Bad Freienwalde. Es betreibt dort unter anderem
       Werkstätten und Wohnangebote für Menschen mit Behinderung sowie für
       Geflüchtete.
       
       Richtig konkret wird es dann erst bei den Fragen der Bürger:innen: „Fühlen
       Sie sich den Zielen der Bundes-AfD verbunden?“, fragt ein Mann den
       parteilosen AfD-Kandidaten. Dieser antwortet: „Diese Frage gehört, wenn Sie
       mich fragen, nicht in diese Veranstaltung. Aber wenn wir es jetzt mal
       konkret machen, also zum Beispiel ‚Was halten Sie von Remigration‘? Dann
       sage ich ‚Das ist nicht meine Politik‘“. Trotzdem tritt Vettel am Sonntag
       für die AfD an.
       
       Es ist offen, [5][wie die Bürgermeister:innenwahl am Sonntag ausgehen
       wird]. Ob es eine der drei Kandidat:innen im ersten Anlauf schafft,
       oder es eine Stichwahl geben wird. Klar ist aber das: Auch nach der Wahl
       wird keine wirkliche Ruhe in Bad Freienwalde einkehren. Hinter der Fassade
       der Kurstadt brodelt es.
       
       26 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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