# taz.de -- Politische Stadtführung in Berlin: Spaziergang in die Vergangenheit
       
       > Berlinski Tour macht die deutsch-polnische Geschichte im Berliner
       > Stadtgebiet begehbar: in Gruppen oder auch allein mit dem Smartphone in
       > der Hand.
       
 (IMG) Bild: Auftakt der Tour: die Skulpturengruppe „Züge in das Leben – Züge in den Tod“ am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin
       
       Schönes Wetter, die Sonne scheint an diesem letzten Tag im August. Direkt
       an dem kleinen [1][Denkmal „Züge in das Leben – Züge in den Tod“] in Berlin
       Mitte chillen ein paar Obdachlose, für die die Bronzeskulptur, die hier
       aufgestellt wurde, eine Art Treffpunkt zu sein scheint. Der Ort erinnert an
       die sogenannten Kindertransporte, bei denen um die 10.000 Kindern ab Ende
       1938 die Flucht aus Nazi-Deutschland ermöglicht wurde. Nach den
       Novemberpogromen, auch bekannt als „Reichskristallnacht“, war endgültig
       klar, wie bedroht jüdisches Leben im Deutschen Reich war. Vor allem
       Großbritannien erklärte sich daraufhin bereit, die Kinder aufzunehmen.
       
       Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939, der sich eben
       zum 86. Mal jährte, stoppten diese „Züge in das Leben“. Auch von hier, vom
       Bahnhof Friedrichstraße, ging es für sie ab jetzt hauptsächlich in den Tod,
       vornehmlich in die in Polen errichteten Vernichtungslager. Die 2008
       eingeweihte, von Spenden finanzierte Skulptur, die Kinder mit zerbrochenen
       Koffern zeigt und vom dem Bildhauer Frank Meisler erstellt wurde, der
       selbst dank eines Kindertransports gerettet werden konnte, erinnert an die
       damaligen Geschehnisse.
       
       Heute riecht es direkt neben dieser streng nach Urin, direkt auf ihr hat
       jemand eine leere Bierflasche abgestellt. Man kann also nicht sagen, dass
       anlässlich des Jahrestages hier besonders viel Mühe in die Denkmalpflege
       investiert worden wäre.
       
       Dafür gibt es vom Deutsch-Polnischen Haus [2][unter dem Label Berlinski]
       eine Sonderführung mit Audioguide, mit dem sich auf die Spuren einstigen
       polnischen Lebens in Berlin begeben lässt – im Gedenken an den Einmarsch
       der deutschen Truppen in Polen. Die in Polen geborene Journalistin und
       Schriftstellerin Dorota Danielewicz leitet sie an.
       
       ## Drei Touren durch verschiedene Berliner Stadtteile
       
       Zuerst gibt sie eine Einführung in das, was einen unterwegs erwarten wird,
       und vor allem braucht sie eine ganze Weile, bis alle einigermaßen
       verstanden haben, wie der Audioguide zu benutzen ist. Kaum einer der
       Teilnehmenden ist jung genug, um sich selbst einen Digital Native nennen zu
       können, und dementsprechend entsteht erst einmal gehörig Verwirrung beim
       Aufklappen des interaktiven Stadtplans auf dem Handy, der unter anderem
       anzeigt, wo man sich gerade befindet. Man soll schließlich fortan nicht nur
       den Worten Danielewiczs lauschen, sondern sich nebenbei anhören, was der
       Audioguide [3][zu einzelnen Stationen] der Tour zu sagen hat.
       
       Zwischen den Erklärungen schaltet sich einer der Obdachlosen von deren
       Hangout „Züge in das Leben – Züge in den Tod“ ein und fragt, ob ihm nicht
       endlich mal jemand ein Bier spendieren könne. Wirkt lustig, aber auch ein
       wenig am eher bedrückenden Thema an diesem Mittag vorbei.
       
       Drei Touren hat Berlinski erstellt, die durch verschiedene Berliner
       Stadtteile führen, heute geht es nur durch Mitte, dazu gibt es eine Art
       Best-of des gesamten Programms. Das funktioniert dann beispielsweise so,
       dass Danielewicz auf ein Gebäude zeigt, in dem sich eine Zahnarztpraxis
       befindet, und dann heißt es: Apropos Zahnarzt, da gab es auch diesen
       polnischen Dentisten vor dem Krieg, in Charlottenburg, bei dem auch viele
       Promis der damaligen Zeit verkehrten und wo sich der bekannte deutsche
       Boxer „Bubi“ Scholz seine Mundschutze anfertigen ließ.
       
       Wie wichtig historische Stadtführungen wie die von Berlinski sind, ist
       sowieso klar. Spuren jüdischen und polnischen Lebens wurden von den Nazis
       eliminiert und vieles von dem, was vielleicht noch übrig geblieben war, von
       den Alliierten weggebombt. Beispielsweise das Hotel Kontinental, das sich
       gleich neben dem Denkmal befand und von dem nichts übrig geblieben ist. In
       dem aber hat Jósef Piłsudski genächtigt, in der Nacht auf den 9. November
       1918, nachdem er aus der Gefangenschaft in Magdeburg entlassen wurde.
       
       Zwei Tage später wurde er Oberbefehlshaber der polnischen Armee und bald
       darauf polnischer Staatschef. Der Hauch der Geschichte umweht einen jetzt,
       vermengt mit dem Geruch von Urin.
       
       10 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /ZDF-Doku-zu-Juedischsein-in-Berlin/!5628363
 (DIR) [2] https://berlinski-tour.de/
 (DIR) [3] https://berlinski-tour.de/karte
       
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