# taz.de -- Käfer zertrümmern: Im Zerstörungsrausch
       
       > Wozu sind Menschen bereit, wenn Autoritäten ihnen die Erlaubnis dazu
       > geben? Ein Happening in Bremen offenbart ein großes Gewaltpotenzial.
       
 (IMG) Bild: Es ist noch Nachschub da: Käfertreffen auf dem Messegelände in Hannover
       
       Nachher liegt da nur noch ein Haufen Schrott und die Frage ist, was der
       bedeuten kann: Zeigt er die Therapiebedürftigkeit des Publikums an? Bevor
       das Publikum die Bühne der Bremer Schwankhalle betreten hat, hatte da noch
       ein liebevoll gepflegter VW Typ 1, grün-metallic, gestanden, wahrscheinlich
       in einer Zeit gebaut, als auch der Konzern ihn schon offiziell als Käfer zu
       bezeichnen begonnen hatte und die vormalige Stadt des
       Kraft-durch-Freude-Wagens Fallersleben schon lange Wolfsburg hieß.
       
       Aber das spielt keine Rolle für „Die Verwandlung“. Das möglicherweise
       gerade in seiner Stumpfheit gute Framing hat Manuel Gerst entworfen. Das
       Happening lief 2024 zuerst in Köln, dann lief es in Berlin, es lief in
       Stuttgart, es lief nun zur Saisoneröffnung der Spielstätte für Performing
       Arts in Bremen, und in Augsburg beim Brecht-Festival läuft es bestimmt
       auch, denn da ist Mark Schröppel Intendant, der als Produktionsleiter
       sicherstellt, dass sich die große Zuschauerfamilie keine Sorge machen muss,
       „darüber, wie das Zeug weggeschafft werden soll“, [1][wie es bei Franz
       Kafka heißt], natürlich auch in Bremen.
       
       Von Kafkas Erzählung hat die Show den Titel und den ersten Satz entlehnt,
       laut dem Gregor Samsa sich eines morgens in ein ungeheures Ungeziefer
       verwandelt in seinem Bett wiederfindet. Er wird, zu Beginn, auf Deutsch und
       auf Englisch in weißer Schrift über die Bühne projiziert. Dann geht der
       Spot an: im Zentrum das Auto, links und rechts Tische mit Gegenständen.
       
       Wer auf die Bühne will, muss zuvor einen Haftungsausschluss unterzeichnen.
       Viele tasten noch nach den unter den Stuhl geklebten Kits, in denen sich
       das Formular, ein Stift, eine Schutzbrille sowie Arbeitshandschuhe
       befinden, da hat das Kaputtmachen schon begonnen, wie auf Befehl.
       
       ## Brachiale Werkzeuge
       
       Dabei ist hier nichts befohlen, sondern Gewalt nur erlaubt und nahegelegt
       worden: Es stehen brachiale Werkzeuge parat, Vorschlaghämmer, eine
       Mistforke, Äxte. Deren implizite Handlungsanweisung übertönt den Appell der
       moderateren Requisiten wie Sprühsahne, Kürbis oder Farbspraydosen. Und
       Impulse zu unbewaffneter Zärtlichkeit werden schnell verworfen: „Als ich
       auf der Bühne stand, dachte ich, das Auto zu streicheln, wäre seltsam“,
       erläutert die junge Frau, die als erstes ihren Sitz verlassen hat, später
       ihre Motivation. „Also habe ich den Hammer genommen.“
       
       Dieses protestantisch-schnörkellose Denken prägt den Vorgang in Bremen:
       „Ihr habt das jetzt mehr so nur zerstört“, wird Schröppel im Nachgespräch
       sagen. Anderswo hätten andere Optionen des Umgangs mit dem Käfer anfangs
       mehr im Vordergrund gestanden. Aber auch dort hatte am Ende jeweils ein
       verbeulter, verklebter und beschleimter Trümmerhaufen dagelegen, und das
       ist schon in Ordnung. Alle wissen das, und das reicht, um den Wunsch, sich
       der Aktion entgegenzustellen – Mensch, Leute, das ist doch der arme Gregor,
       wieso hasst ihr ihn so?! – als lächerlich im Keim zu ersticken.
       
       Wäre auch gefährlich. Die Zerstörungswilligen wirken wie in ihrem
       Vernichtungswerk gefangen. Es habe Freude gemacht, wird später behauptet.
       Im Geschehen teilt sich das nicht mit: Es sieht aus, als würde hier eine
       Pflichtaufgabe abgearbeitet, verbissen, meist stumm. Nur manchmal rutscht
       jemandem ein verdruckster Juchzer raus.
       
       Adorno hatte die Neigung zu besinnungsloser Gewalt [2][eher bei der
       Landbevölkerung verortet.] Das Vorurteil bestätigt sich in Bremen nicht.
       Hier nutzen vornehmlich Insassen der urbanen Kunstblase die Gelegenheit,
       straffrei eine Windschutzscheibe einzuschlagen. Kafka? Symbolische Ebenen?
       Darauf wird geschissen. Dann ist es vorbei, vom Wrack wird abgelassen, es
       kommt ein knatschiger Song aus den Boxen, zum Schluss noch Goldkonfetti.
       
       Zuschauen ist hier eher ein Aushalten. Die Stimmung danach ist ganz und gar
       nicht gelöst. „Meine Traumvorstellung wäre“, sagt Manuel Gertz beim Talk,
       als ginge es darum, sich für etwas zu entschuldigen, „dass eine Stunde lang
       nichts passiert, keiner sich rührt, das Publikum das einfach aushält.“ Aber
       ganz ehrlich wirkt das nicht.
       
       28 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.projekt-gutenberg.org/kafka/verwandl/chap001.html
 (DIR) [2] https://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/gedaechtnisorte-gedenkstaetten/copy_of_gedenkstatten/Adorno,%20Erziehung%20nach%20Auschwitz.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Kolumne Großraumdisco
 (DIR) Schwankhalle
 (DIR) Bremen
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Auf dem Flohmarkt in Berlin-Neukölln: Platten verkaufen im Schatten eines Eichhörnchens
       
       Menschen, die von nichts wissen, glauben, es falle schwer, sich von alten
       Platten zu trennen. Nun: Es kommt darauf an, wie viele davon man hat.
       
 (DIR) Unterwegs mit viel Bier: Zum Ende hin noch letzte krakelige Notizen
       
       Auf der „Bierbutterfahrt“ reisen Hamburger Bierenthusiasten mit dem Bus
       durch Schleswig-Holstein. Ein durchaus alkoholhaltiger Reisebericht.
       
 (DIR) Mütter beim Tanzen: Pinke Glitzerherzen und einstimmiges „Wuuuhu“
       
       Die Berliner Party „Mamagehttanzen“ beginnt schon um 19 Uhr und dauert nur
       drei Stunden. Wie tanzt es sich so früh und ganz ohne Männer?
       
 (DIR) Mit dem Faltboot im Spreewald: Paddeln, bis die Schleuse kommt
       
       Südöstlich von Berlin teilt sich die Spree in Europas größtes Binnendelta
       auf. Dort mit dem Boot hineinzukommen, ist nicht einfach.
       
 (DIR) Politische Stadtführung in Berlin: Spaziergang in die Vergangenheit
       
       Berlinski Tour macht die deutsch-polnische Geschichte im Berliner
       Stadtgebiet begehbar: in Gruppen oder auch allein mit dem Smartphone in der
       Hand.