# taz.de -- Bonner Schau zu Susan Sontag: Sie machte Denken zur öffentlichen Praxis
> Susan Sontag sollte man sich jetzt zu Gemüte führen. Warum, macht eine
> Ausstellung über die Essayistin in der Bonner Bundeskunsthalle deutlich.
(IMG) Bild: Susan Sontag während der Veranstaltung „Drei Amerikaner in Berlin“, Akademie der Künste, Berlin, September 1976
Susan Sontag war vieles: Schriftstellerin, Theoretikerin, Weltbürgerin,
Diva. Sie konnte arrogant, ungeduldig, verletzend sein – und sie war
kompromisslos in ihrem Denken. „Ich schreibe, um herauszufinden, was ich
denke“, notierte sie in ihren Tagebüchern. Denken war für Sonntag ein
offener, nie abgeschlossener Prozess. Und genau das macht sie heute wieder
so aktuell. Sie verkörperte etwas, das im digitalen Zeitalter selten
geworden ist – die Bereitschaft zur Revision, zum öffentlichen Widerruf,
zum Eingeständnis: Ich habe mich geirrt.
In der Bonner Bundeskunsthalle wird dieser Mut derzeit greifbar. Die
Ausstellung „Susan Sontag. Sehen und gesehen werden“ zeigt, wie konsequent
Sontag sich auch gegen die eigene Biografie stellte. So etwa im Fall der
[1][Regisseurin Leni Riefenstahl.] Zunächst feierte Sontag Riefenstahls
während der NS-Zeit entstandenen Filme als formal brillante Meisterwerke.
Doch nach der Veröffentlichung von Riefenstahls Fotoband über die Nuba im
Sudan 1963 erkannte sie in dieser Ästhetik eine gefährliche politische
Verführung.
„Faschistische Kunst glorifiziert die Unterwerfung, feiert den blinden
Gehorsam, verherrlicht den Tod“, schreibt Sontag 1974 in ihrem Essay
„Fascinating Fascism“. Damit markierte sie nicht nur eine persönliche
Kehrtwende, sondern verhinderte maßgeblich Riefenstahls Comeback in den
USA. Solche Wendungen machen Sontag zu einer unbequemen, aber aufrichtigen
Denkerin. Während das Internet heute oft nach Eindeutigkeit verlangt – nach
Haltung, Schlagzeile, Shitstorm –, lebte Sontag intellektuelle Unruhe. Sie
dachte öffentlich, riskierte Widerspruch.
Dass sie sich früh für Fotografie und Film interessierte, lange bevor diese
im Kulturbetrieb anerkannt waren, passt ins Bild. In ihrem 1977
veröffentlichten Essay [2][„On Photography“ beschrieb sie die Kamera als
Instrument] der Macht, das die Welt nicht nur abbildet, sondern formt.
„Fotografieren heißt, sich das Abgebildete anzueignen“, schrieb sie. Ein
manipuliertes Foto aus dem Jahr 1945 – in der Ausstellung zu sehen –
illustriert das perfekt: Die gehisste Flagge über dem Berliner Reichstag
wurde nachträglich mit mehr Rauch und zusätzlicher Symbolik aufgeladen. Was
wie Dokumentation aussieht, ist Inszenierung.
Sontag warnte vor der Illusion objektiver Bilder. Heute, in Zeiten von
Deepfakes und KI-generierten Inhalten, erscheint ihre Skepsis fast
prophetisch.
## Mut zur Meinung
Doch Sontag war nicht frei von Eitelkeit und Affekt. Ihre Lust an scharfen,
polemischen, oft aphoristischen Formulierungen brachte Klarheit, spitzte
aber auch bis zur Missverständlichkeit zu. In einer von algorithmisch
befeuerter Empörung, verkürzten Kontexten und digitaler Gnadenlosigkeit
geprägten Öffentlichkeit würden manche ihrer provokanten Aussagen heute
wohl nicht zur Debatte, sondern direkt zur Eskalation führen. Ihr Mut zur
Meinung war bewundernswert – aber nicht immer maßvoll.
Und dennoch: Während in den USA unter Donald Trumps zweiter Amtszeit vieles
von dem, wofür sie stand – liberale Öffentlichkeit, kultureller Zweifel,
moralische Verantwortung – wieder zur Disposition steht, erinnert Sontags
angstfreie Streitlust daran, wie wichtig Denken als öffentliche Praxis ist.
Dafür braucht es allerdings mehr als den Mut einer Einzelnen. Es braucht
eine Gesellschaft, die Widerspruch aushält. Und den Raum öffnet für etwas,
das Sontag nie für Schwäche hielt: das Eingeständnis, falsch gelegen zu
haben.
6 Aug 2025
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## AUTOREN
(DIR) Verena Harzer
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