# taz.de -- Buch über grünen Kolonialismus: Die einen schürfen, die anderen müssen umziehen
       
       > Ein Autor:innenkollektiv beleuchtet globale Ausbeutungsmechanismen
       > im Welthandel und zeigt mögliche Alternativen zum „Grünen Kolonialismus“
       > auf.
       
 (IMG) Bild: Durch den Lithiumabbau gefährdet: Salzsee in der Atacamawüste
       
       Die Energiewende setzt die globalen Ausbeutungsverhältnisse der
       Industrialisierung fort – so lautet die zentrale These der 25
       internationalen Autor*innen von „Grüner Kolonialismus“. Dies sei ein
       blinder Fleck in der Debatte, den das Buch beseitigen will.
       
       Der Bau von Windrädern, Solaranlagen und Elektroautos benötigt [1][Unmengen
       an Rohstoffen]. Viel Kupfer und Lithium kommt etwa aus Chile. Der Bergbau
       verschmutzt die knappen Wasserressourcen in der Atacamawüste und raubt den
       dort traditionell lebenden Menschen die Lebensgrundlage. Die lukrativen
       Teile der Wertschöpfungskette finden anschließend in China, den USA,
       Deutschland und Japan statt. Auch für die Produktion des „neuen
       Allheilmittels“ Wasserstoff wird enorm viel Energie gebraucht. Angeblich
       menschenleere Regionen in Marokko und der Westsahara werden mit
       Photovoltaikanlagen vollgestellt und eingezäunt, was Hirtenvölkern den Weg
       versperrt.
       
       Der CO2-Emissions-Handel wiederum ermöglicht es Firmen, statt eigener
       Einsparungen zum Beispiel Waldschutzprojekte irgendwo auf der Welt zu
       finanzieren – auf Kosten von Bevölkerungen, die den Wald nutzen, ohne ihn
       zu übernutzen. All diese Entwicklungen setzten die Strukturen des
       Kolonialismus fort, so die Argumentation der Autor:innen.
       
       ## Monetäre Abflüsse Richtung Norden
       
       Christian Dorninger hat Berechnungen zu Ungerechtigkeiten im Welthandel
       angestellt. So wird die Arbeitszeit im Globalen Süden durchschnittlich
       achtmal so niedrig bezahlt wie im Norden, wo die Waren dann billiger zu
       haben sind. Vergleichbares gilt für Energie, Landverbrauch und Rohstoffe.
       „Das bedeutet, dass die monetären Abflüsse in Preisen des Nordens die
       Entwicklungshilfe um das 86-Fache übersteigen,“ so der Wissenschaftler aus
       Österreich.
       
       Vor allem Technik und Innovationen sollen die Probleme lösen, die das
       Ölzeitalter geschaffen hat. Doch „die Klimakrise ist nicht auf die fossilen
       Energieträger an sich zurückzuführen – der Kapitalismus ist der Übeltäter,“
       bringt Hamza Hamouchene aus Algerien die Position des
       Autor*innenkollektivs auf den Punkt. Nötig sei eine grundlegende
       Transformation, die beim Umweltschutz nicht Markt, Wirtschaftswachstum und
       neue Geschäftsfelder ins Zentrum stellt, sondern die dauerhafte
       Tragfähigkeit des Planeten. Das aber setze völlig andere Strukturen und
       Institutionen voraus – auch international.
       
       Die UN seien auch deshalb in der Krise, weil sich die 1974 von der
       UN-Vollversammlung verabschiedete Vision einer neuen Wirtschaftsordnung
       nicht durchsetzen konnte, schreibt Mary Ann Manahan von den Philippinen.
       Der Vorschlag war damals von kurz zuvor unabhängig gewordenen Ländern
       eingebracht worden. Doch schon bald gewann die neoliberale Ideologie die
       Oberhand, die nur für praktikabel hält, was auch profitabel ist. Ein Trio
       aus Ecuador ergänzt: „Auf der subjektiven Ebene gibt es bei der Bevölkerung
       des geopolitischen Nordens die tief verwurzelte und implizite Überzeugung,
       dass sie es irgendwie verdient, besser zu leben und sicherer vor
       Bedrohungen aller Art zu sein … als die rassifizierte Bevölkerung des
       Südens.“
       
       An solchen Stellen fühlt sich die Leserin an Werke aus dem 20. Jahrhundert
       erinnert; auch [2][Frantz Fanon] wird zitiert. Die Rolle Chinas, der
       arabischen Staaten und die großen Unterschiede innerhalb von Ländern, die
       mit dem Etikett „Globaler Norden“ oder „… Süden“ versehen werden, kommen
       nicht zur Sprache. Auch Sätze wie „Man muss sich von industriebezogenen
       Konzepten verabschieden“ oder die Forderung, das ganze Verkehrssystem zu
       ändern und nicht allein Verbrenner durch E-Autos ersetzen, verbleiben auf
       der Meta-Ebene von „Wünsch dir was“. Dennoch liefert das Buch eine Fülle
       interessanter und wichtiger Informationen und belegt vielfältige
       Ungerechtigkeiten.
       
       Im dritten Teil des Werks geht es um Lebensweisen, die den Planeten nicht
       überfordern. Die Natur dient als Vorbild: Sie nutzt Sonnenenergie,
       maximiert die Vielfalt und setzt auf Kooperation. „Als afrikanisches
       ethisches Paradigma ist Ubuntu unvereinbar mit kapitalistischen
       Verhältnissen, Privateigentum und allgegenwärtiger Ungleichheit“, berichtet
       Zo Randriamaro aus Madagaskar.
       
       Ökofeminismus hat auf dem Kontinent eine lange Tradition, wenn auch nicht
       unter diesem Begriff. Frauengruppen verbinden Umweltschutz und
       Nahrungssicherheit und versuchen, dem männlich dominierten
       Wirtschaftsmodell die eigene Energie und Macht zu entziehen. Sie wollen
       lebenswerte Räume und soziale Bindungen erhalten oder reparieren, „die es
       einer Gesellschaft ermöglichen, sich selbst zu reproduzieren, ohne andere
       Gesellschaften oder Lebensformen zu zerstören“. Agrarökologie,
       gemeinschaftliche Landnutzung und die Begrenzung des Fischfangs sind
       wichtige Elemente. In Bangladesch gibt es seit den 1990er Jahren eine
       Landwirtschaftsbewegung, die auf biologische Vielfalt, eigenes Saatgut, den
       Verzicht auf Agrochemie und den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit setzt. Auch
       die [3][Degrowth-Bewegung] plädiert für eine völlige Neuausrichtung der
       Ökonomie, statt bloßer Schrumpfung des Bestehenden.
       
       Was das für die hiesige Arbeitswelt bedeuten würde? Viele Jobs in der
       Industrie, im Finanz-, IT- und Tourismussektor würden überflüssig, während
       mehr Leute in der Nahrungsmittelproduktion und der Forstwirtschaft
       gebraucht würden. Angesichts der Machtverhältnisse und der aktuellen
       Entwicklungen scheinen solche Visionen in weite Ferne zu rücken. Doch die
       Endlichkeit der Ressourcen wird das „grüne Wachstum“ bald als Illusion
       entlarven. Was danach kommt, ist völlig ungewiss. Es ist gut, wenn es dann
       Ideen und Beispiele gibt, die nicht autoritär sind.
       
       30 Aug 2025
       
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