# taz.de -- „Der Nachwendekindertalk“: Abgegrenzt und ausgeliefert
       
       > Chipi kritisiert das Verhalten der Bundesregierung im Fall Maja T. Marie
       > fragt sich: Prägt ihre Westidentität ihre Beziehungen?
       
       In der neuen Folge Mauerecho – Der Nachwendekindertalk sprechen Marie und
       Chipi über die zunehmende Unverbindlichkeit in Freundschaften, die mehr und
       mehr in sozialen und klassischen Medien diskutiert wird. Gibt es
       Ost-West-Unterschiede bei diesem Thema? Und was hat eigentlich der
       Kapitalismus mit unseren Beziehungen zu tun? Außerdem geht es um Maja T.
       [1][Maja T., ein*e nicht-binär*e Aktivist*in, soll 2023 beim Szeneaufmarsch
       „Tag der Ehre“ in Budapest Angriffe auf Rechtsextreme verübt haben.] Seit
       einem Jahr sitzt Maja T. in Isolationshaft. Seit vier Wochen ist Maja T.
       außerdem im Hungerstreik. Wie ist das Verhalten der Bundesregierung in
       diesem Fall zu bewerten?
       
       Im ersten Teil des Podcasts geht es um Freundschaft und den Diskurs um
       Me-Time und soziale Verpflichtungen auf Social Media. Zunehmend sei in
       Freundschaften eine Tendenz zum „erwartungslosen Egoismus“ zu beobachten,
       schreibt [2][Yasmine M’Barek in der Zeit.] Es gehe darum, Grenzen zu
       setzen, Me-Time zu nehmen und Verantwortung auch mal abzugeben – im Namen
       der eigenen Selbstfürsorge. Doch wann kippt die Selbstfürsorge in Egoismus?
       Immerhin kommen Beziehungen nicht ohne eine gewisse Abhängigkeit
       voneinander aus, eine komplette Abgrenzung ist also ohnehin nicht möglich.
       
       Chipi meint: Wir wollen zwar Verbindungen mit anderen Menschen, in unserem
       neoliberalen, kapitalistischen Egoismus wollen wir für diese aber nicht
       sorgen und keine Arbeit in sie reinstecken. „Das ist auch eine sehr
       ökonomische Betrachtungsweise von Beziehungen“, ergänzt Marie. „Es gibt
       eine Kosten-Nutzen-Rechnung.“ Das habe aber vielleicht nicht nur etwas mit
       Eigennutz zu tun, sondern sei auch eine strukturelle Folge einer immer
       prekärer werdenden Arbeitswelt.
       
       Gibt es in Beziehungen unterschiedliche Prägungen, je nachdem, ob man aus
       dem Osten oder aus dem Westen kommt? Chipi sagt: „Im Sozialismus gab es ein
       anderes Gemeinschaftsgefühl, weil du automatisch in einem Dorf sozialisiert
       wurdest und aufgewachsen bist.“ Doch Marie fügt an, dass es auch im Westen
       – gerade durch Religionsgemeinschaften wie dem Katholizismus – eine solche
       Prägung gab, die jedoch zunehmend an Bedeutung verlor. Wissenschaftliche
       Studien hätten schon in den 90ern ergeben, dass die Individualisierung im
       Westen weiter fortgeschritten sei.
       
       ## Ein Generationsunterschied?
       
       Ist das sich verändernde Gemeinschaftsgefühl also eher ein
       Generationenunterschied? Heute scheint es kaum Unterschiede zwischen
       „Ossis“ und „Wessis“ zu geben, stellen Marie und Chipi mit Blick auf ihre
       Freundschaften fest. Marie fragt sich, ob es nicht auch eine Verklärung
       ist, dass Menschen früher bessere Beziehungen geführt haben. In anderen
       Kulturkreisen sei auch heute noch festzustellen, dass der Sinn für
       Gemeinschaft eine größere Rolle spielt, sagt Chipi. Beide plädieren dafür:
       Steckt wieder mehr Arbeit in eure Freundschaften!
       
       Im zweiten Teil des Nachwendekindertalks sprechen Marie und Chipi über Maja
       T. Nachdem Maja T. in Deutschland infolge eines europäischen Haftbefehls
       gefasst worden war, wurde der*die Aktivist*in nach Ungarn ausgeliefert,
       was im Nachhinein vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig
       eingestuft wurde. Die Haftbedingungen, gerade für eine queere Person, seien
       nicht ausreichend geprüft worden. Ohnehin hätte man schon im Vorhinein
       infrage stellen können, ob in Ungarn unter der rechtsautoritären Regierung
       von Viktor Orbán die Rechtsstaatlichkeit in einem solchen Fall wirklich
       gegeben ist, findet Marie. „Es ist ein Versagen der Institutionen, die
       daran beteiligt waren, dass die Auslieferung stattfindet.“ Gerade weil in
       einer Demokratie die Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden sollte.
       
       In dem Budapest-Komplex sind außerdem sechs weitere Personen angeklagt.
       Fünf Personen haben eine deutsche Staatsbürgerschaft, [3][der sechste
       Angeklagte, Zaid A., nur einen deutschen Aufenthaltstitel.] Obwohl
       Auslieferungen nach Ungarn als rechtswidrig eingestuft werden, könnte sie
       ihm dennoch drohen, weil er die syrische Staatsbürgerschaft hat. Das zeigt
       Chipi zufolge: „Wir sind nicht gleich vor dem Gesetz.“ Gerade als POC fühle
       er sich dadurch bedroht.
       
       In Deutschland sollte es jedoch auch zu denken geben, dass sich selbst
       Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der postfaschistischen
       Fratelli d’Italia gegen Auslieferungen an Ungarn einsetzt. Auf EU-Ebene
       wünscht sich Chipi endlich härtere Sanktionen gegen Ungarn. Die EU halte
       Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gegenüber anderen Teilen der
       Erde hoch, versage aber letztendlich darin, sie in Europa wirklich
       umzusetzen.
       
       Was können Menschen tun, um Maja T. zu unterstützen? Marie meint, dass der
       Fall gerade auch von der Öffentlichkeit lebe, die ihm zuteilwird. Chipi
       fordert die Zuhörer*innen auf, Briefe an ihre Abgeordneten zu schreiben
       und den öffentlichen Druck aufrechtzuerhalten.
       
       Damit verabschieden sich Marie und Chipi in die Sommerpause. Die nächste
       Folge Mauerecho erscheint am dritten August.
       
       „Mauerecho – Ost trifft West“ ist ein Podcast der [4][taz Panter Stiftung].
       Er erscheint jede Woche Sonntag auf [5][taz.de/mauerecho] sowie überall, wo
       es Podcasts gibt. Besonderen Dank gilt unserem Tonmeister Daniel Fromm.
       
       13 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Inhaftierte-Aktivistin-in-Ungarn/!6100301
 (DIR) [2] https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2025-05/communitygedanke-freundschaft-mentalitaet-geben-nehmen
 (DIR) [3] /Linken-droht-Auslieferung-nach-Ungarn/!6073407
 (DIR) [4] /stiftung
 (DIR) [5] /Podcast-Mauerecho/!t6064118
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marie Eisenmann
 (DIR) Dennis Chiponda
       
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